Buchcover: "Monique bricht aus" von Edouard Louis

"Monique bricht aus" von Edouard Louis

Stand: 03.02.2025, 07:00 Uhr

Die Entwicklung des Franzosen Édouard Louis vom gequälten Außenseiter zum gefeierten Pariser Intellektuellen konnten seine Leser und Leserinnen genau mitverfolgen. Louis hat mehrere Bücher über sich und seine Familie aus dem nordfranzösischen Arbeitermilieu geschrieben – nun erscheint ein weiteres. In "Monique bricht aus" erzählt er von seiner Mutter. Eine Rezension von Judith Heitkamp.

Édouard Louis: Monique bricht aus
Übersetzt von Sonja Finck.
S. Fischer Verlag, 2025.
160 Seiten 20 Euro.

O-Ton Édouard L.:
"Chaque histoire est un dialoge avex l’autre et nous permet de comprendre plus en profondeur (...) c’est ce que j‘ai envie de faire."

Édouard Louis schreibt an einem Werk dass einem Fresko gleichen soll, so nennt er das, une oeuvre fresque, jede Geschichte stehe dabei im Dialog mit den anderen und trage zu ihrem tieferen Verständnis bei. Selbstbewusst verweist er auf Vorbilder wie Proust oder Balzac und deren Roman-Welten.

Und während in Frankreich gerade der siebte autofiktionale Louis-Roman erschienen ist, in dem es um einen seiner Brüder geht, lesen wir nun auf Deutsch das zweite Buch über seine Mutter Monique. Von Monique wissen wir schon, dass sie sich mit über 50 von einem aggressiven, alkoholkranken Partner und aus dem engen Dorf befreite und nach Paris ging. Das war der Titel "Die Freiheit einer Frau". Doch auch in Paris geriet sie an den falschen Mann.   

"Es geht wieder von vorne los, sie sagte, unterbrochen von Schluchzern, ich weiß auch nicht, warum mein Leben so scheiße ist, warum ich immer an Männer gerate, die mich nicht glücklich machen, die wollen, dass ich leide, das habe ich doch nicht verdient."

O-Ton Édouard Louis:
"In dem Moment, in dem sie mich angerufen hat, wusste ich sofort, dass ich auch davon erzählen muss, denn diese Geschichte sagt etwas über die Gewalt – Gewalt wiederholt sich, sie kommt zurück."

"Monique bricht aus" erzählt also von einem zweiten Entkommen, diesmal als Abenteuergeschichte: Wie sie die Flucht planen, wie Louis von Athen aus, wo er sich im Rahmen einer Schreibresidenz aufhält, das Taxi bestellt, wie sein Schriftsteller-Kollege und Freund Didier Eribon eingreift, und zum Schluss besuchen Mutter und Sohn die Hamburger Theaterfassung des ersten Mutterbuchs und sind beide glücklich. 

O-Ton Édouard Louis:
"Und dabei habe er sich immer ein bisschen geschämt über die Freude, sagt Louis, er habe gedacht, er müsse die harten Geschichten erzählen, so wie in den anderen Büchern, um gegen die Klassengewalt zu kämpfen."

"Monique bricht aus" ist ein kurzer, schlichter Text, weniger fragmentarisch als gewohnt, mehr plot-driven, auf gute Weise stilistisch einfach geschrieben und von Sonja Finck wunderbar ins Deutsche hinübergeschwungen. Allerdings gehen Abenteuer und Happy End auf Kosten der differenzierten Überlegung, auf Kosten des Blicks auf gesellschaftliche Zwänge, der die anderen Bücher diese ungewöhnlichen Autors so überzeugend macht.

Sie seine Darstellung von Monique und ihre eigene Realität – keine Thema, dass da ein Unterschied sein könnte. Warum sie wieder in die gleiche Situation kam – bleibt offen. Und die Rolle des Autors in dieser Geschichte ist die des Retters und Ritters. Wenig Reflexion über die Position des transfuge de classe, des Klassenaufsteigers, wie noch in "Die Freiheit einer Frau", wo Louis die Verachtung thematisierte, die ihm half, ihn wegkatapultierte in ein anderes Leben, die Mutter aber verletzte und verriet. Nun geht es eher um Rechtfertigung.

"Genau wie meine Schwester hatte sie mir übelgenommen, dass ich ein Buch über meine Kindheit und unsere Familie geschrieben hatte. Doch paradoxerweise hatte ich das Geld, das wir jetzt für sie ausgeben konnten, nur verdient, weil ich dieses Buch und alle folgenden geschrieben hatte."

Dieses Buch jedenfalls habe seine Mutter sich ausdrücklich gewünscht, so steht es im Text. Die Geschichte eines siegreichen Mutter-Sohn-Teams also. Was allerdings auch nur ein Narrativ ist, das wieder aufgenommen und umgedeutet werden kann. Wer weiß. Es ist sehr reizvoll, das bekannte biographische Material- und Beziehungsgeflecht immer wieder erweitert und neu angeordnet zu lesen und Édouard Louis in seinen Erkenntnisprozessen zu begleiten. Überraschen wolle er gar nicht, sagt er mit Blick auf das entstehende Romanfresko, sondern immer weiter graben in der Realität, die er untersuche, mit jedem neuen Buch etwas tiefer.

O-Ton Édouard Louis:
"A chaque livre on creuse en peu plus (...)"