Buchcover: "Sturm" von George R. Stewart

"Sturm" von George R. Stewart

Stand: 04.02.2025, 07:00 Uhr

Im westlichen Pazifik wird ein neuer Sturm geboren. Nicht nur aus der Perspektive eines Meteorologen erleben wir, wie die Naturkatastrophe das Leben auf dem amerikanischen Festland auf dramatische Weise beeinflusst. Ein aktueller und eindringlicher Roman. Eine Rezension von Oliver Nowack.

George R. Stewart: Sturm
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt und mit einem Nachwort von Jürgen Brôcan und Roberta Harms.
Hoffmann und Campe, 2025.
384 Seiten, 26 Euro.

Im Winter 1937/38 erfährt der amerikanische Schriftsteller George R. Stewart in Mexiko aus Zeitungen über Stürme, die in seiner Heimat Kalifornien wüten. Fasziniert von diesen Naturgewalten kommt ihm die Idee, eine Geschichte zu schreiben. Sie beginnt im westlichen Pazifik mit zwei aufeinander strömenden Luftmassen:

"Wie ein Leben aus der Verschmelzung zweier gegenteiliger Keimzellen entsteht, so entsprang dem Kontakt der nördlichen Luft mit der südlichen etwas, das es zuvor nicht gegeben hatte. […] Ein neuer Sturm war geboren."

Ein Sturm, der noch ganz am Anfang steht. Ein amerikanischer Meteorologe, der im Roman namenlos bleibt, hat den Neuankömmling genau im Blick, wenn er aus den Meldungen von Schiffen und Messstationen die tägliche Wetterkarte erstellt. Doch für den jungen Mann ist der Sturm nicht nur ein Wetterphänomen. Sondern ein eigenes Wesen mit einer einzigartigen Persönlichkeit:

"Keine zwei Stürme glichen einander jemals. Dieser eine […] würde sein eigenes Dasein haben, zum Guten wie zum Schlechten, so wie jedes Menschenkind, das zur selben Stunde geboren wurde. Unter günstigen Bedingungen würde er glücklich aufwachsen, gedeihen und ein hübsches Sturmalter erreichen; doch ebenso war es möglich, dass er dahinsiechen oder plötzlich ausgelöscht werden konnte. Es blieb nur noch eine Kleinigkeit zu tun, und die erforderte keine Eintragungen auf der Karte. Der Juniormeteorologe musste dem Kind einen Namen geben."

So wird der titelgebende Sturm auf den Namen ‚Maria‘ getauft. Der Meteorologe verfolgt ihn auf seiner Reise Richtung amerikanisches Festland wie eine Vaterfigur.

Darüber hinaus hat der Roman eine ganze Menge an Personal und Geschichten zu bieten: Da gibt es zum Beispiel das Liebespaar Max und Jen. Auch vom Generaldirektor der Eisenbahn, von einem Piloten, ja sogar von Stromdrähten, einer Eule, einem Eber und einem Holzbrett erzählt der Roman. Und von einem Oberinspektor, der für die Straßen des Landes zuständig ist und die Schneepflüge für den Notfall an Ort und Stelle bringt:

"Es gehörte mehr dazu, einen Schneepflug zu fahren, als einen Lastwagen […]. Das Tempo musste schnell genug sein, damit der Schnee weit von der Straße geschleudert wurde, aber nicht so schnell, dass Vibrationen entstanden und der Straßenbelag aussah wie ein Waschbrett. Außerdem mussten die Räder exakt am Straßenrand gehalten werden. […] Selbst der erfahrene Oberinspektor musste die aufsteigende Furcht unterdrücken, er sei von der Straße abgekommen und stürze jeden Augenblick den Berghang hinab."

Stilistisch fährt Stewart alle Geschütze auf: Lyrische Passagen wechseln sich ab mit Zeitungs-Schlagzeilen, dokumentarischen Schilderungen, Abschnitten wörtlicher Rede und tiefgründigen Kapiteln über die Bedeutung des Menschen und sein Verhältnis zur Natur. Zugegeben, da kann man zwischenzeitlich schon mal den Überblick verlieren. Das ist aber nicht weiter schlimm. Denn für Stewart ist Maria "im Zentrum der Aufmerksamkeit", wie er im Vorwort von "Sturm" schreibt. Das restliche Personal hingegen ist am Ende vor allem Symbol für die Abhängigkeit des Menschen vom Wetter und von seiner Machtlosigkeit gegenüber der Natur.

Die zeigt sich, als Maria im zweiten Teil des Romans über den Staaten wütet: Tagelang fällt Regen und Schnee, Stromkabel gehen zu Bruch. Auch das Telefonnetz ist wegen zerstörter Leitungen überlastet und bei der Reparatur stürzt ein Monteur schwer:

"In der halben Stunde nach seinem Sturz den Berg hinunter, wusste niemand, dass er herabgefallen war. Trotzdem wurden die Leben vieler Menschen auf dem halben Globus von seinem Sturz beeinflusst. Ein Mann in Boise erreichte Sacramento telefonisch erst mit fünfzehnminütiger Verspätung und verlor ein in Aussicht gestelltes Jobangebot. Ein Mädchen in Omaha schaffte es nicht mehr, mit seiner Mutter in Honolulu zu sprechen, ehe diese in den Operationssaal musste, den sie nicht mehr lebend verließ."

Die Zeitungen berichten von den durch Maria entstandenen Verwüstungen. Und von Toten. Max und Jen werden als vermisst gemeldet. Der Oberinspektor dirigiert Räummaschinen durch den Schnee. "Sturm" setzt insbesondere die Macht der Naturgewalten und ihre Folgen für die Menschen sehr eindrucksvoll in Szene.

Es ist eine sehr ausgefallene Idee, einen Sturm als Roman-Hauptfigur zu wählen. George R. Stewarts 1941 im Original erschienener Roman "Storm" ist ein früher Klimaroman – zumal der Text immer wieder deutlich macht, wie auch Marias Entwicklung durch andere Windströmungen und Umweltfaktoren beeinflusst wird. Die Neuübersetzung von Jürgen Brôcan und Roberta Harms zeigt, dass Stewarts Werk auch 84 Jahre später nichts an seiner Aktualität eingebüßt hat. Der Blick auf Stürme ist nach der Lektüre dieser rund 370 Seiten definitiv nicht mehr nur bedrohlich. Sondern auch faszinierend.