Buchcover: "Ich bin nicht von der Zeitlichkeit" von Betty Paoli

"Ich bin nicht von der Zeitlichkeit" von Betty Paoli

Stand: 21.10.2024, 07:00 Uhr

Leidenschaftliche Liebesgedichte machten sie berühmt, als Journalistin schrieb sie auch scharfsinnige Literaturkritiken und Essays. "Ich bin nicht von der Zeitlichkeit" gibt Einblick in das bemerkenswerte Werk von Betty Paoli. Eine Rezension von Dorothea Breit.

Betty Paoli: "Ich bin nicht von der Zeitlichkeit". Ausgewählte Werke
Herausgegeben und mit einem Nachwort von Karin S. Wozonig.
Residenz Verlag, 2024.
224 Seiten, 26 Euro.

"Ich bin nicht von der Zeitlichkeit" von Betty Paoli

Lesestoff – neue Bücher 21.10.2024 05:50 Min. Verfügbar bis 21.10.2025 WDR Online Von Dorothea Breit


Download

Es ist Mitte des 19. Jahrhunderts, als der angesehene Schmied Wilhelm sich umsieht nach einer passenden Ehefrau. Sein Blick fällt auf die hübsche Anna.

"Der einzige mißliche Punkt, der andere Freier ferne hielt, Annas gänzliche Mittellosigkeit, war bei einem Mann von Wilhelms Sinnesart gerade ein Grund mehr, ihr vor andern den Vorzug zu geben. Es schmeichelte seiner Eitelkeit, daß seine Frau alles und jegliches ihm verdanken sollte."

Anna wird Wilhelms ergebene Ehefrau und liebende Mutter einer Tochter. Sie kennt nur Gehorsam, verehrt den Ehemann ebenso wie sie ihn fürchtet. Gewitterwolken ziehen erstmals auf, als Annas Jugendfreundin Friederike sie besucht. Wilhelm mag sie nicht und Anna bemerkt zu spät, dass die Freundin sie missbraucht. 

"Sie war weit entfernt, den wahren Zusammenhang der Dinge zu ahnen ; die Möglichkeit, daß ihre Freundin sich eines so schimpflichen Verbrechens schuldig gemacht haben könnte, kam ihr nicht in den Sinn, aber die Verpflichtung, die sie eingegangen war, lag wie ein Alp auf ihrer Brust. Nie hatte sie ohne die Beistimmung ihres Mannes das Geringste beschlossen, geschweige denn gethan, und nun sollte sie ihm, ihrem sichtbaren Gewissen, etwas verheimlichen."

Ein familiäres Drama nimmt seinen Lauf, dessen Tragik in der Ungleichheit der Geschlechter und Abhängigkeit der Frau vom Ehemann wurzelt. Die österreichische Schriftstellerin Betty Paoli hat ihr Leben lang dagegen angeschrieben. "Ich bin nicht von der Zeitlichkeit" versammelt neben der Novelle "Anna" eine hervorragende Auswahl an Gedichten, Kritiken, Essays und Feuilletons, herausgeben von Karin S. Wozonig.

Die überzeugte Humanistin Betty Paoli schrieb leidenschaftlich über Liebe und weibliches Begehren in ihrer autobiografisch grundierten Lyrik. Kritisch und gelehrt übertrug sie die Unterdrückung der Frau und die Heuchelei der Männer in die subtile Sprache der Poesie.

"O, wäre mir das heitre Loos gefallen,
Das still beglückend andern Frauen fällt,
In schirmender Beschränkung hinzuwallen
Durch eines engen Kreises kleine Welt ;
....
Doch anders hat sich mein Geschick gewendet,
Ein Kampfplatz nur war meine Lebensbahn ;
Der Kindheit Blüthenruh ward mir entwendet
Und hingeopfert einem eitlen Wahn !
....
Nur ein Mal wagt’ ich, Besseres zu hoffen ;
Verheißend lag vor mir ein schönes Glück ;
Doch kaum erblüht, sank es, zu Tod getroffen,
Und eine Wunde nur blieb mir zurück."

Mit Herzblut goss sie ihr Leben in das der Biedermeierzeit verpflichtete Korsett vierzeiliger Verse im Kreuzreim: eine ledige Mutterschaft, den Verlust des Neugeborenen. Oft ist es ein Ich, das zu einem Du spricht – von Liebesglück und -leid, sich nach romantischer Erfüllung sehnt und Tod erlebt, wie in dem Langgedicht "Briefe an einen Verstorbenen". Den Freunden Anastasius Grün und Adalbert Stifter, der Freundin Ida und der Dichterin Annette von Droste-Hülshoff widmete Betty Paoli Gedichte. Das unbeachtete Werk letzterer hob sie in einer Rezension hervor, begleitet von einer scharfzüngigen Abhandlung über die gefällige Literaturkritik ihrer Zeit.

"Erfaßte sie die Würde ihres Berufes, so würde sie das Gewöhnliche, Unbedeutende, klanglos zum Orkus hinabsteigen lassen und ihre wahre Sendung allein erkennen, ein Dolmetsch zu sein zwischen dem Genius und den Massen, eine Stimme, die das irregehende Talent zurechtweist, eine mutige Hand, die dem Schlechten und Verwerflichen den gleißenden Mantel (...) abreißt."

Ihr Wissen um die Kunst der Dichtung war enorm, ihr Urteil streng und differenziert, mit Ironie gewürzt auch über "Unsere Moden". Ihre Bestimmung, die Kraft der Poesie, das Glück im Tun ist in jedem ihrer lyrischen Werke präsent. In den Versen "Die naturalistische Schule" formulierte sie gleichsam eine Theorie der Dichtung gegen die neue Strömung des Realismus.

"....
Soll diesem Chaos, wüst und fahl,
Sich eine blüh’nde Welt entringen,
So muß mit schöpferischem Strahl
Die Poesie es erst durchdringen.

Denn sie nur weiß das Lösungswort
Verworr’ner Rätsel aufzufinden,
Das Stückwerk hie, das Stückwerk dort
Zu einem Ganzen zu verbinden.
...."

Der leichtfüßig schwingende Rhythmus der Sprache trägt die Leserin von Seite zu Seite durch dieses Buch, das Einblick gibt in das fast vergessene Werk einer Schriftstellerin, die Grundsätzliches über Dichtung und Wahrheit zu sagen hatte, das bis heute nichts an Gültigkeit verloren hat.