Buchcover: "25 Jahre Writers in Exile" von Najem Wali (Hg.)

"25 Jahre Writers in Exile" von Najem Wali (Hg.)

Stand: 24.01.2025, 07:00 Uhr

"Gefährdete Stimmen einer Welt in Gefahr", so lautet der Titel einer Anthologie mit Stimmen von Exil-Schriftstellern in Deutschland. In diesem Buch kann das Leid und die Verlorenheit von Vertriebenen vernommen werden, die zunehmend bedroht sind in einem Europa, das immer weiter nach rechts rückt und gegen Fremde Politik macht. Eine Rezension von Stefan Berkholz.

Najem Wali (Hg.): 25 Jahre Writers in Exile. Gefährdete Stimmen einer Welt in Gefahr
Secession, 2025.
240 Seiten, 25 Euro.

"Fremdsein und Exil beginnen, wenn der Mensch begreift, dass er allein und verlassen ist, wenn er nach festem Boden unter seinen Füßen sucht und dieser unter ihm nachgibt. Die Fremde beginnt, wenn das Herz zu klagen beginnt."

Najem Wali im Prolog zu dieser Anthologie.

"Die Freundschaft mit der Welt, mit den anderen, ist gestört. So beginnt das Exil zunächst »dort«, im Heimatland, wenn der Mensch seine schöpferische Fähigkeit oder das Leid erkennt, und die »geografische« Verbannung ist seine tragische Fortsetzung."

Najem Wali ist einer der vertriebenen Schriftsteller. 1980 flüchtete er aus dem Irak vor Saddam Hussein und dessen Folterknechten. In Hamburg hat er deutsche Literatur studiert und sich auf das Thema "Exilliteratur" spezialisiert. Als ersten Beitrag hat Wali nun als Herausgeber dieser Anthologie einen Text von Swetlana Alexijewitsch, der Literaturnobelpreisträgerin von 2015, aufgenommen. An Küchentischen hat sie die Stimmen von Verlorenen, Verratenen und Verstummten aus der Stalinzeit zu Gehör gebracht.

"Sie haben alle im Lager gedient oder gearbeitet (…). Ja, sie reden von ihrer ›Arbeit‹. Das Lager war für sie einfach eine Arbeit! Ein ganz normaler Dienst! Und Sie reden von Verbrechen! Von Seele und Sünde. Die im Lager saßen, das war nicht irgendwer, das war das Volk, und die Aufseher, das war auch das Volk, kein fremdes von weither, nein, dasselbe Volk. Unser Volk. Heute, da tun alle so, als hätten sie Häftlingskleidung getragen. Heute sind alle Opfer. Schuld an allem ist allein Stalin. Ach…"

Man versteht in diesen literarischen Protokollen von Swetlana Alexijewitsch etwas mehr vom tief sitzenden Fatalismus, dieser Verstörung vieler Menschen Russlands. Zum Abdruck gekommen ist eine Geschichte aus ihrem preisgekrönten Buch von 2013: "Secondhand-Zeit. Das Ende des roten Menschen". Es ist eine frühe Fassung von 2009, vielleicht die Urfassung. Swetlana Alexijewitsch stammt aus Belarus, seit dem Herbst 2020 lebt sie im Exil in Berlin. Eine zweite namhafte Schriftstellerin ist Asli Erdogan, in der Türkei verfolgt, gefoltert, seit Jahren lebt sie in Deutschland, im Exil.

"Eine Halbblinde bin ich. Gleichmäßig verteilt sind meine Ängste auf Licht und Dunkelheit. An verschatteten Mauern taste ich mich entlang, zwischen kaum wahrnehmbaren Reflexionen. In einer eilig aufs Papier geworfenen, gleich wieder verworfenen Entwurfs-Welt. Lasse mich von der Absenz verführen, vom ersten Wort an zu schwindeln, krieche über die Blätter Papier, die nackt sind wie gepflügte Erde und warten. Im Strom noch nicht entstandener 'Ichs'."

Asli Erdogan verfasst leidensgetränkte, poetische, filigrane Texte, sie gibt ihrer Verlorenheit in der Welt eine Stimme, fasst Alpträume in Worte, bannt Gespenster der Verfolgung.

Unterteilt ist die Anthologie in drei Kapitel: "Ein Blick in die Heimat"; "Weg ins Exil"; und das längste Kapitel, mehr als einhundert Seiten lang: "Beheimatet im Exil". Darin kommt der 26-Jährige Iraker Mubeen Kishany zu Wort, der nach Todesdrohungen floh und seit 2023 als Stipendiat des Writers-in-Exile-Programms in Deutschland lebt.

"Ein jeder von uns hat den Tod öfter gesehen, als ihm lieb war, ein jeder von uns war auf dem Weg zu ihm. Ein jeder von uns hat Krieg erlebt und das Leben im Aufblitzen eines Geschosses enden gesehen, ein jeder von uns hat in einem Grab aufgehört zu wachsen und sich mit ihm für den Rest seiner Tage fortbewegt."

Najem Wali bringt in dieser Anthologie Flüchtlinge zu Gehör, die zunehmend bedroht sind in einem Europa, das immer weiter nach rechts rückt und gegen Fremde Politik macht. In diesem Buch kann das Leid und die Verlorenheit von Vertriebenen vernommen werden.