Folge 2: Jew News – Die Judenthemen des Jahres 2021!
In der zweiten Folge von "Freitagnacht Jews - Der Podcast" reitet Daniel Donskoy durch die Höhen und Tiefen der Medienwelt. Gibt es sie, die objektive Berichterstattung über "die Judenthemen" des Jahres? Zu Wort kommen Menschen, die wissen, wer uns wie manipuliert.
Daniel Donskoy: In der ersten Folge des Freitagnacht Jews Podcasts haben wir uns gefragt, was es denn eigentlich zu feiern gab, in diesem feierlichen Festjahr "1700 Jahre jüdisches Leben In Deutschlan". To be honest, die erste Bestandsaufnahme war schon ziemlich ernüchternd. Von Holocaustrelativierung bis zu blankem Judenhass auf deutschen Straßen war wirklich für jeden was dabei. Aber wir lassen uns von den ganzen Party Poopern nicht die Laune verderben und starten den nächsten Abschnitt unserer Tour de Force durch die Höhen und Tiefen der Medienwelt. Ja, in Folge 2 geht es um DIE Medien - die Ausgeburt des Bösen, die Spielwiese der Mächtigsten und Einflussreichsten dieser Welt. Juden regieren natürlich auch hier ganz klar aus ihrem von Baron Rothschild persönlich finanziertem Elfenbeinturm heraus und implementieren ihre parasitären Gedanken in die schuldbefreiten Köpfe der Bevölkerungen dieser Welt.
Wir schauen sie uns ganz genau an, die Blätter, Gazetten und Feuilletons voller Debatten und Meinungen und die auch immer ausgewogenen, solidarischen, absolut differenzierten, hochgradig dialektischen Diskurse auf den beliebten Webseiten Twitter.Shitstorm, Instagram.Intifada und TikTok.Conspiracy. Gibt es sie, objektive Berichterstattung über "die Judenthemen" des Jahres? Israel-Palästina; der Fall um das Liebesdreieck rund um die vermeintlich antisemitische Journalistin Nemi El-Hassan, eine rassistische Springer-Kampagne und dem sich stets bemühenden, aber doch verhaltensauffälligen WDR. Es ging um den Publizisten Max Czollek und die Reinheit seines Jude-Seins – und um das geballte Unverständnis der deutschen Mehrheitsgesellschaft.
Klingt nach Spaß, oder? Das finden wir auch – und versprechen eine Folge, die euch nicht nur kognitiv und emotional überfordern wird, sondern im Idealfall triggert sie euch so sehr, dass ihr gar nicht anders könnt als unter dem Hashtag #FreitagnachtJews euren Beifall oder Missmut in voller Gänze in die frisch polierte Kloschüssel zu kotzen – auch Twitter genannt. Wir freuen uns sehr auf eure hasserfüllten Kommentare.
Die Medien, die Meinungsmacher – haben sie vielleicht irgendetwas damit zu tun wie wir die Welt verstehen? Natürlich. Medien helfen uns dabei die Wirklichkeit einzuordnen, geben uns Bildwelten vor. Im Idealfall gibt es objektive Berichterstattung, die uns erlaubt, eine eigene Meinung zu bilden. Nicht umsonst heißt es ja bei Springer "BILD Dir deine Meinung" - aber bitte die Richtige.
Samira El Ouassil: Freitagnacht Jews – Der Podcast mit Daniel Donskoy – das Spezial zum Festjahr "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland" – eine vierteilige Produktion von Turbokultur im Auftrag des WDR. Folge 2: Jew News – Die Judenthemen des Jahres 2021!
Daniel Donskoy: Unser erstes Schmankerl und auch gleich ein ziemliches Heavyweight ist die Berichterstattung rund um die militärische Auseinandersetzung zwischen Israel und der Hamas im Mai 2021. Direkt das erste Problem: War es ein Krieg, eine Auseinandersetzung, war es Israel versus Palastine, war es Hamas versus Siedler – Unterdrücker gegen Unterdrückte – war es Angriff, Verteidigung oder doch alles zusammen? Aber vielleicht erst einmal zwei Schritte zurück: Wie funktioniert denn sowas überhaupt? Berichterstattung aus Kriegssituationen?
In Kriegssituationen sind die Gazetten voll – voll von Einschätzungen und Meinungen. Krieg herrscht an vielen Orten dieser Welt – die Invasion der Ukraine durch Russland hat ihn für uns nahbarer gemacht – er hat uns plötzlich wieder mit militärischer Gewalt konfrontiert, wie schon lange nicht mehr. Wir setzen uns intensiv mit den Folgen dieses Konflikts auseinander – weil er auch unser eigenes Leben betrifft – uns bewegt – uns Angst macht. Doch die meisten militärischen Auseinandersetzungen auf dieser Welt kriegen wir nur marginal mit und lassen sie nicht an uns ran. Liegt es an mangelndem geopolitischen Interesse? Fehlt die emotionale Bindung? Anders ist es, wenn es um Israel und Palästina geht. Dieser Konflikt, dieser Krieg, hat gefühlt einen medialen und gesellschaftlichen Sonderstatus. Viele der Journalist:innen, mit denen wir im Rahmen dieses Podcasts gesprochen haben, erklärten uns das mit der besonderen Verantwortung; mit der sogenannten Staatsräson, der sich Deutschland verpflichtet hat. So auch 2021…
Von den traditionell teutonischen Tagesthemen über die düstere Dachauer Dorfbäckerei zur intellektuell irritierten Insta-Influencerin wurde auch im Mai 2021 ganz Deutschland wieder mal zu – Nahostexpert:innen. WIR. JETZT. AUCH. Nein genauer, wir werden zu Expert:innen für Nahostexpert:innen. Wie berichteten die Medien 2021 über die militärischen Auseinandersetzungen? Was berichten Medien? Warum berichten Medien? Gibt es eine objektive Wahrheit, die man berichten kann? Was kommt bei den Menschen an?
Daniel Donskoy: Wir treffen Helge Fuhst.
Samira El Ouassil: Zweiter Chefredakteur von ARD-aktuell, der ARD-Gemeinschaftsredaktion für Tagesschau und Tagesthemen.
Daniel Donskoy: Achtung! Von den Öffentlich-Rechtlichen! Ich will von Helge wissen: Wurde im Mai 2021 objektiv berichtet und wenn ja - wie? Kommt das Öffentlich-Rechtliche seinem Bildungsauftrag nach oder sind sie vielleicht noch schlimmer als die BILD-Zeitung sie beschreibt ?
Helge Fuhst: Also, ich glaube, was wir bei der Tagesschau und Tagesthemen machen, da haben wir nicht nur den Anspruch, dass es auf Fakten basiert, ich glaube – auch uns passieren natürlich Fehler, aber die versuchen wir dann wirklich schnell zu korrigieren und die passieren uns glaube ich eher selten.
Wir versuchen, über alle Konflikte in der Welt ausgewogen zu berichten. Aber wenn wir auf Nahost gucken, da führt bei uns keiner eine Strichliste oder so, also dass das nun perfekt paritätisch wäre. Ich glaube, wenn wir durchzählen wahrscheinlich nicht, aber das ist dann nicht gewollt, sondern zur Hälfte dem Aktuellen geschuldet. Also die große Herausforderung ist da, sobald wir natürlich mal ausschnittsweise auf eine Seite gucken, kriegen wir gleich Kritik von der anderen Seite.
Daniel Donskoy: Herr Fuhst, Herr Fuhst, das war sehr PC – aber wir sind hier ja nicht bei den Tagesthemen – also ganz konkret: Was sind die Herausforderungen?
Helge Fuhst: Na, ich glaube, der Hauptpunkt ist, weil die Geschichte des Konflikts so lang ist und so viele Wendungen hatte, dass eine Momentaufnahme natürlich immer gefährlich ist. In dem Sinne, dass man dem nicht ganz nachkommen kann, es komplett einzuordnen. Aber wenn Du auf letztes Jahr schaust, zum Beispiel. Und als wir ja so etwa zwei Wochen lang wirklich gefühlt Tag und Nacht berichtet haben, über die Bomben, die auf Israel geflogen sind, und dann in die andere Richtung, die Verteidigungs- und Abwehr-Angriffe. Und da haben wir an einzelnen Tagen Kritik bekommen, allein schon, weil wir in einem Liveticker, den wir online haben, natürlich nicht in jeder neuen Meldung den ganzen Konflikt und die Entstehung neu erzählen konnten, sondern dann nur eine kurze neue Info dazu kam. Und natürlich ist das verkürzt, aber man darf es eben nicht aus dem Zusammenhang reißen wirklich, sondern muss schon es fair einordnen und schauen, wie wir das Ganze begleiten, über Tage.
Daniel Donskoy: Ich höre hier raus, dass man sich mehr Fairness von uns Rezipient:innen wünscht. Sind wir etwa Schuld, wenn etwas missverständlich ausgedrückt wird? Welche Information sollen wir aus einer Nachricht ziehen, wenn beispielsweise rein faktisch getitelt wird, dass zehn Palästinenser und ein Israeli gestorben sind? Sollen wir das lesen als: Israel gewinnt – während mehr Palästinenser sterben? Oder was bedeutet in so einem Fall eine "faire" Einordnung?
Helge Fuhst: Dein Beispiel ist perfekt, wenn man nur Zahlen hinstellt – natürlich zeigen wir die und bilden die ganzen Fakten erst mal ab. Aber man braucht die Einordnung, um das zu verstehen. Und ich glaube, das ist ohnehin das Wichtigste bei vielen Themen, aber eben ganz besonders bei diesem Thema: große Bildungslücken und Aufklärung. Wir können als Medien versuchen, im Nachrichtenbereich unseren Teil zu leisten, aber in viel mehr Bereichen der Gesellschaft müssen wir viel mehr noch berichten. Zum einen was in Nahost passiert, aber auch wenn wir über Antisemitismus sprechen oder über jüdisches Leben in Deutschland, bei all diesen bräuchten wir viel mehr Informationen und viel mehr Bildung.
Daniel Donskoy: 2021 wurde tatsächlich viel berichtet. Neben Israel und Palästina viel über das jüdische Leben in Deutschland – aber war das zielführend? Es geht eben nicht um Quantität, sondern um Verantwortungsbewusstsein; um das Verständnis, dass jede Schlagzeile, jeder Beitrag, jedes Portrait eine gesellschaftliche Bewandtnis haben. Vor allem wenn wir Diagramme und Zahlen sehen, dürfen wir nicht vergessen, dass es im Krieg um Menschen geht – man muss dabei immer auf dem Schirm haben, welche Macht Worte und Bilder besitzen. Ein Beispiel, das faktisch nicht falsch war – eine Schlagzeile der Online-Ausgabe der "Rheinischen Post":
Samira El Ouassil: "Nahost-Konflikt: Israelische Polizisten erschießen Palästinenser am Tempelberg" (RP Online)
Daniel Donskoy: Was faktisch nicht falsch ist, schafft hier ein verzerrtes Bild. Denn es handelte sich dabei um einen Kämpfer der terroristischen Organisation Hamas, der zuvor einen Israeli ermordete und weitere verletzte. Nach Kritik an der Überschrift, die von einer Nachrichtenagentur übernommen wurde, wurde der Titel geändert: "Tödlicher Anschlag in Jerusalem – Polizei erschießt Attentäter".
Samira El Ouassil und Daniel Donskoy: Wir lesen von "Hamas-Aktivisten" auf tagesschau.de - so als seien sie keine Terroristen - oder Headlines wie "Israelische Armee greift Hamas-Ziele an" und "Israel geimpft, Palästina leidet". Wir nehmen wahr, wie von Israel als "Regime" gesprochen wird, hören wie Claus Kleber von den "primitiven Raketen" der Hamas spricht.
Daniel Donskoy: Nachrichten sind also eine Frage des Framings. Heißt, es geht darum, was man benennt und was eben nicht. Wer durch eine bestimmte Wortwahl Aggressor wird und wer zum Angegriffenen. Wir sprechen mit …
Samira El Ouassil: Thomas Kaspar, Journalist und Chefredakteur der Frankfurter Rundschau.
Daniel Donskoy: Wie lassen sich solche einseitigen, tendenziösen Schlagzeilen vermeiden?
Thomas Kaspar: Du musst es multiperspektivisch machen, Du musst es einfach kontextualisieren, Du kannst es nicht einfach so dahin plappern, sondern Du musst halt einfach versuchen, die Perspektiven einzuholen. Du kannst dann sagen, dass (auch von den Stellen) ist (es) tatsächlich unrecht, das ist vielleicht gar keine so ganz gute Idee, jetzt ein kleines palästinensisches Dorf zu bombardieren.
Daniel Donskoy: Klar kann man das kritisieren, das habe ich gar nicht in Frage gestellt. Ich wollte mehr über falsche Betitelung erfahren.
Thomas Kaspar: Und an anderer Stelle muss man dann einfach mal ein bisschen nachdenken. 2021 war auch diese berühmte Schlagzeile, die wir auch viel diskutiert haben: Israelis erschießen Palästinenser. Und das war ganz nebenbei ein Attentäter, der von Sicherheitskräften gestoppt wurde. Und so ist es. Du musst einfach diese Komplexität auflösen und kontextualisieren. Anders geht es nicht. Du kannst nicht vorschnell ganz schnell Etiketten machen. Es ist einfach, aber ehrlicherweise Aufgabe von Journalismus.
Daniel Donskoy: Ja, das ist die Aufgabe von Journalismus. Ich würde mich freuen, wenn Thomas das einigen seiner journalistischen Kolleg:innen nochmal erklären würde. Und nun, eine kurze Nachricht von unserem Sponsor: A.H.!
WERBUNG: Treffe heiße Holocaust-Leugner aus Deiner Umgebung! 0190/181888! A! H!
Daniel Donskoy: Ah, ja. Das ist eine schöne Werbung. Ähm … Wir hören uns mal ein bisschen um – fragen Marina Weisband, wie sie die Deutsche Berichterstattung zu Israel wahrnimmt.
Samira El Ouassil: Marina Weisband – Publizistin und Politikerin.
Marina Weisband: Die deutsche Medienlandschaft schafft es sehr häufig nicht, sich aus Schablonen zu lösen. Es scheint in Deutschland immer noch unmöglich zu sein, Israel oder israelische Politik oder den Konflikt mit irgendeiner Form von Objektivität zu beurteilen. Wir haben immer: die Hamas macht etwas – Israel retalliiert (Anmerkung d. Red.: aus dem Englischen, schlägt zurück) und die Nachricht öffnet mit: Israel hat geschossen. Und das ist ein Narrativ, das es einfach gibt in den Medien.
Daniel Donskoy: Gut, Helge Fuhst von den Tagesthemen meint, dass Objektivität und Einordnung geboten sind. Thomas Kaspar von der Frankfurter Rundschau mahnt zur Vorsicht und Multiperspektivität – und Marina Weisband – habt Ihr gerade gehört. Aber lasst uns doch mal hören, was unser Liebling Lisa Schreckhart dazu sagt. Eine rechts besorgte Künstlerin mit bekannterweise viel Humor:
Lisa Schreckhart [Parodie]: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland ist schon recht amüsant. Mit ihrer politischen Korrektheit haben die Redakteure dort mehr Angst vor Shitstorms in sozialen Medien als die Israelis Angst vor den Raketen der Hamas. Aber gut – in Israel haben sie ja diesen Iron Dome, diese eiserne Kuppel – ein hochmodernes Raketenabwehrsystem. So was hätten die beim ÖRR sicherlich auch gerne. Aber würden Sie einen Fernsehsender bewaffnen?
Daniel Donskoy: Ehhhhh! Wir sprechen mit …
Samira El Ouassil: Richard C. Schneider, Journalist und ehemaliger Leiter des ARD-Studios in Tel Aviv.
Daniel Donskoy: Das C steht übrigens für Chaim – und das Interview fing leicht turbulent an. Du bist Deutscher. Du lebst in Israel, Du hast eine jüdische Identität, ist man extra gewillt oder kann man das ablegen in diesem Augenblick und sagen: Okay, ich bin hier als Berichterstatter und meine Position ist außen vor.
Richard C. Schneider: Also ganz ehrlich, die Tatsache, dass Du mir so eine Frage stellst, zeigt, dass Du wirklich schon mittlerweile in Deutschland angekommen bist. Ich wünsch Dir ein herzliches Willkommen zu Deiner deutschen Identität. Ich sage Dir auch warum: Du hättest mir die Frage nicht als Christ gestellt.
Daniel Donskoy: Ob nun als Christ, Moslem oder Jude – ich möchte vom deutschen Journalisten Richard C. Schneider wissen: Gibt es aus seiner Perspektive eine besondere Herausforderung ?
Richard C. Schneider: Wir kennen das ja, dass in dem Moment, wo es einen solchen Krieg gibt - je nachdem, wo die Medien politisch stehen, vor allem wenn sie eher links stehen, geht ganz schnell die große Aggression gegen Israel los. Menschenrechtsverbrechen und so weiter. Das wird ja ganz schnell dann rausgeholt. Und als jemand, der ja selber hier in seiner Zeit als Korrespondent vier Kriege gecovert hat, kann ich nur sagen, es gibt einfach wirklich ein ganz, ganz großes Problem, das häufig auch nicht verstanden wird, in Europa. Nicht nur in Deutschland ist die Komplexität eines sogenannten asymmetrischen Krieges. Wir sind ja in einem Zeitalter, in dem es ja kaum noch quasi in Anführungszeichen klassische Kriege gibt, wo zwei Staaten mit zwei sichtbaren Armeen aufeinander losgehen.
Daniel Donskoy: Disclaimer! Dieses Interview wurde aufgezeichnet, bevor Putin seinen Aggressionskrieg gegen die Ukraine begann. Einen Krieg, den man eher als "klassisch" bezeichnen könnte, wenn es nicht so makaber wäre.
Richard C. Schneider: Wir haben mittlerweile weltweit immer mehr Kriege zwischen einem staatlichen Akteur mit einer Armee, die man über die Uniform erkennen kann und, ich sage es mal neutral, Milizen, die sozusagen in Zivil oft aus zivilen Gebieten heraus agieren. Das verändert die Kriegsführung. Und Du hast, wenn Du jetzt als Journalist unterwegs bist und arbeitest, geht es ja nicht darum, die Stellung zu nehmen für die eine oder für die andere Seite. Das ist ja nicht Deine Aufgabe.
Daniel Donskoy: Um Richard C. Schneider zu zitieren – "Wo die Medien politisch stehen, vor allem wenn sie eher links stehen" – wird dieser Krieg anders wahrgenommen? Links eher Israelkritischer? Konservativ eher Israelsympathisierend? Ein Beispiel hierfür könnten die Publikationen des Springer Verlags sein. In dessen Satzung liest man folgendes:
Samira El Ouassil: "Wir unterstützen das jüdische Volk und das Existenzrecht des Staates Israel."
Daniel Donskoy: Wir sprechen mit Laura Cazés, Ihr kennt sie aus der ersten Folge.
Laura Cazés: Der Axel Springer-Konzern hat ein Selbstverständnis, für jüdisches Leben und pro Israel einzustehen. Ist das sinnvoll? Ist die Art und Weise, wie Springer Medien kommunizieren sinnvoll? Helfen sie Jüdinnen und Juden tatsächlich? Das kannst Du mich fragen als eine Person, die sich eher progressiv links verortet, dann würde ich Dir sagen: Nein! Gleichzeitig stellen wir fest, weil ich keine Medien unterstützen möchte, die Rassismus befeuern, die verkürzte Narrative befeuern, weil sie dann im zweiten Schritt auch ein Einfallstor bieten für antisemitische Erklärungsmuster. Und gleichzeitig ist es so, dass ganz viele jüdische Personen – und auch das ist eine wichtige Perspektive – angewiesen sind auf Bulldozer, die nicht Israelfeindlich sind.
Daniel Donskoy: Wie sieht es denn bei den Kollegen der Frankfurter Rundschau aus? Thomas Kaspar sagt dazu:
Thomas Kaspar: Wir sind eine linke Zeitung und es gibt auch eine große linke Tradition, sich kritisch mit Israel auseinanderzusetzen. Ich hoffe, dass wir nicht einseitig kritisch sind, aber natürlich setzen wir uns auch kritisch mit Israel auseinander und mit palästinensischen Belangen, klar.
Daniel Donskoy: Israelkritisch - klingt ja an sich okay. Wie sieht das jemand, der seit über 20 Jahren für ein linkes Blatt schreibt?
Samira El Ouassil: Jan Feddersen, Journalist und Redakteur der Berliner Tageszeitung taz.
Jan Feddersen: Ich bin in der taz-Zentrale seit exakt 25 Jahren und es gibt natürlich überhaupt nicht so was wie eine Blattlinie. Also das gab es vielleicht in früheren Zeiten bei anderen Blättern, aber das ist heute eigentlich in Zeitungen nicht mehr üblich. Üblich ist, dass es aber eine Crowd in der Redaktion gibt und man passt sich da an. Da gibt es tonangebende Personen, Männer, Frauen – und die meisten Jahre meiner taz-Zeit war eigentlich eine dominant antiisraelische Haltung gegeben. Und es gibt allerdings auch Kollegen und Kolleginnen, die diesen ganzen Scheiß nicht mitmachten.
Daniel Donskoy: Es geht also nicht nur um die politischen Ausrichtungen eines Blattes oder einer Redaktion, sondern auch um die persönlichen Einstellungen von Journalistinnen und Journalisten. Ich spreche mit:
Samira El Ouassil: Hanno Hauenstein, seit 2021 Ressortleiter im Kulturbuch der Wochenend-Ausgabe der Berliner Zeitung und dort unter anderem verantwortlich für die Bereiche Kunst und politisches Feuilleton.
Daniel Donskoy: Etwa ein Drittel seiner Texte im Jahr 2021 hatten Bezug zu Israel, dem Judentum oder Antisemitismus, Vorwürfen. Dieses Interesse erklärt uns Hanno Hauenstein auch mit seiner professionellen Karriere in Tel Aviv.
Hanno Hauenstein: Also, ich habe dezidiert für deutsche Medien geschrieben, ich habe damals die deutsche Perspektive sehr stark mitgenommen. Und mit den Jahren und mit der Verbindung und je öfter ich dort war, desto mehr habe ich irgendwie versucht – man merkt ja in Israel, es gibt eine andere Perspektive oder es gibt viele andere Perspektiven - und ich habe mehr versucht, diese einzubringen, um den Diskurs in Deutschland, wenn ich auf Deutsch geschrieben habe, zu einem gewissen Grad zu vervielfachen, zu pluralisieren. Ich habe auch in einer israelischen Redaktion gearbeitet. Da vor Ort ja war das anders, war das eine andere Erfahrung. Und je mehr man sieht von diesen zwei Ländern und verschiedenen Orten, desto glaube ich, differenzierter wird das Bild. Und ich versuche einfach diese Differenziertheit abzubilden, wenn ich über Israel schreibe.
Daniel Donskoy: Hanno Hauenstein schreibt nicht nur selbst gerne über Israel, er leitet auch die Wochenendausgabe, in der – so mein Eindruck – immer wieder ein auffällig kritischer Ton in Bezug auf Israel herrscht. Hier findet man auch sehr viele dieser mal mehr mal weniger differenzierten Meinungstexte, die sich mit Israel und der deutschen Verantwortung auseinandersetzen. Ich wollte von Hanno Hauenstein wissen, ob auch zionistische oder mit Israel sympathisierende Meinungen stattfinden?
Hanno Hauenstein: Es ist natürlich richtig, wenn Du – ich höre so eine leichte Kritik raus aus der Frage. Weil ich meine, ich habe in dem Jahr - ich mache ja die Kultur in der Wochenendausgabe - ich habe in dem Jahr viele Leute reingebracht, um irgendwie so eine Art Gegengewicht zu schaffen gegenüber bestimmten Debatten, gegenüber dem, was ich als Credo empfinde, der allgemeinen Mehrheits-Deutschen-Mediengesellschaft. Deswegen, ich glaube, es gibt kein wirkliches Gleichgewicht in der Wochenendausgabe selbst.
Daniel Donskoy: Gut, es muss ja auch nicht immer ausgewogen sein. Nach den Gesprächen mit den Journalist:innen und Redakteur:innen großer deutscher Tageszeitungen entsteht für mich der Eindruck, dass jede und jeder versucht, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu einer nüchternen Verhandlung dieses Themas beizutragen. Entweder durch größtmögliche objektive Faktentreue, ausgewogene Multiperspektivität oder durch unbestechliche Meinungsstücke. Also ist jeder auf subjektive Art objektiv – oder sind alle auf objektive Art und Weise subjektiv? Fuck, ich bin verwirrt. Was sagt die Wissenschaft?
Samira El Ouassil: Die Kognitionswissenschaftlerin Monika Schwarz-Friesel forscht am Institut für Sprache und Kommunikation der Technischen Universität Berlin. Sie hat bereits während des Gaza-Konflikts 2012 hunderte von Schlagzeilen analysiert. Ergebnis: In drei Viertel der Überschriften wurde Israel als der aggressive Part dargestellt. Auf Grundlage ihrer Forschung erklärt sie - Zitat:
"Wenn wir uns die globale Berichterstattung anschauen, stellen wir fest, dass das anti-Israelische Narrativ fest verwurzelt ist, auch in der Qualitätspresse. Kein anderes Land wird so reflexhaft und routiniert mit unsachgemäßer Kritik überzogen. Die europäischen Medien zeichnen ein Zerrbild Israels. Das kleine Land ist prinzipiell schuld, egal was es tut oder nicht tut. Was wir hier erleben, ist eine Fortführung der ur-alten antijüdischen Erzählung vom "ewig schuldhaften Juden". Auch in der jüngsten Berichterstattung zum Gaza-Konflikt gab es in den Medien wieder zahlreiche antisemitische Floskeln, unangemessene Bilder und Begriffe." – Zitatende.
Daniel Donskoy: Israel feuert Raketen auf Gaza – oder: Hamas schießt auf Israel – oder: Hamas schießt auf Zivilisten – oder: Israel antwortet auf Terror der Hamas. Wie entscheidet man – und wer – wie man eine Schlagzeile formuliert? Diese Frage stelle ich auch …
Samira El Ouassil: Willkommen zurück, Helge Fuhst!
Helge Fuhst: Man kann sich das ja nicht einfach so aussuchen. Also kann man theoretisch, aber da würde man ja verfälschen. So, das heißt, bei uns ist es so wie in den meisten Medienhäusern: Wenn wir auf Fakten basiert berichten, dann müssen wir ja schauen, wer war der Auslöser? Von wo nach wo geht es? Und das heißt, in diesem Fall wurde Israel angegriffen und hat sich gewehrt.
Daniel Donskoy: Jetzt würde aber vielleicht ein palästinensischer Journalist Dir antworten: Ja. Aber damit haben Sie gerade nicht die drohende Vertreibung von Palästinensern in Ost-Jerusalem eingeordnet, die zu Ausschreitungen auf dem Tempelberg geführt hat, auf welche die israelische Polizei mit extremer Vehemenz reagierte. Woraufhin die Hamas dann gesagt hat: Wenn ihr nicht aufhört, werden wir schießen. Dann hat die Hamas geschossen, dann hat Israel retalliiert – und das Ganze müssten wir 70 Jahre zurückdrehen, um zu erklären, wer wie angefangen und wer wem was weggenommen hat. Und das geht ja nicht. Oder?
Helge Fuhst: Und genau das meine ich! Da ist so viel Geschichte in diesem Konflikt. An welchem Punkt will man da ansetzen? Und das heißt, wenn man so eine Momentaufnahme macht wie in diesem Jahr, dann ist es in so einer Situation, die Einschätzung rechtfertigt tatsächlich, egal welcher Konflikt und was in dem Fall israelische Polizei gemacht hat oder irgendwer anders – rechtfertigt das wirklich, Menschen mit Bomben zu beschießen, ein Land mit Bomben zu beschießen? So und das sehe ich nicht so und das sehen die meisten Menschen nicht so und deswegen war in dem Moment eben so, wie wir berichtet haben und die meisten anderen Medienhäuser auch berichtet haben, dass Israel angegriffen wurde. Wie sich dann über die Tage und die Wochen das weiterentwickelt, wie lange es gerechtfertigt ist, dass Israel zurückschießt und aus Sicherheitsgründen, so wie es formuliert war, bestimmte Regionen beschossen hat in Gaza, das ist dann wieder eine Einschätzung danach, wo man drüber diskutieren kann.
Daniel Donskoy: Die meisten Autor:innen und Medienmachenden sind entweder davon überzeugt, dass sie objektiv berichten - multiperspektivisch. Manche sind sich der Unausgewogenheit in ihren Texten und Redaktionen bewusst – und manche zeichnen bewusst ein Bild, welches sie als "differenziert" ausweisen soll.
In einem Zeitungsartikel las ich kürzlich, dass die ARD-ZDF-Medienakademie in den letzten zwei Jahren keinerlei Fortbildungen zum Thema Israel/Palästina oder Antisemitismus angeboten hätte. Das konnte ich mir nicht vorstellen. Daher habe ich selbst bei der ARD-ZDF-Medienakademie angerufen – und nachgefragt. Mir wurde mitgeteilt, dass diese aktuell im offenen Seminarprogramm nicht angeboten werden – aus einem etwas unbefriedigenden Grund: Angebot und Nachfrage. In der Vergangenheit haben sich einfach nicht genug Journalist:innen dafür eingeschrieben.
Vollständigkeitshalber muss man aber sagen, dass auf Eigeninitiative der Landesrundfunkanstalten sogenannte In-House-Seminare bei der Medienakademie zum Thema Antisemitismus für die Mitarbeiter:innen gebucht werden können. Und auch unabhängig von der Medienakademie gibt es in den öffentlich-rechtlichen Sendern Bemühungen, mit Workshops und Kursen zu sensibilisieren. Für mich sieht das mehr nach Quantität als Qualität aus – vor allem wenn man bedenkt, dass trotz der vielen angebotenen Seminare immer wieder peinliche journalistische Fehler passieren, die Antisemitismus reproduzieren.
Ich würde sagen: Wenn man schon einen Antisemitismus-Exorzisten sucht, sollte man immer versuchen, zunächst mit jüdischen Institutionen zu sprechen. Denn wenn wir eines gelernt haben in den letzten Jahren, dann, dass die Betroffenheitsperspektive recht hilfreich sein kann, um bestenfalls die Thematik besser zu verstehen – oder um einfach empathischer zu werden. Aus meiner beschnittenen Perspektive gibt es hier noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten.
Bei traditionellen Medien buhlen natürlich alle Akteure um Aufmerksamkeit. Jeder will seine Einordnung der Welt verkaufen. Und bei diesem Konkurrenzkampf fällt es sogar ausgebildeten Medienmachenden schwer, die Wirklichkeit umfassend abzubilden, auch wenn sie sich an der idealistischen Hoffnung journalistischer Objektivität festhalten. Die einen verkaufen Objektivität, die anderen dealen mit dem Heroin der digitalen Moderne: Social Media Emotionen – TikTok, Twitter, Instagram. Eine Welt der narzisstischen Subjektivität auf der einen Seite – aber auf der anderen auch eine Möglichkeit, die Gegenwart auf gefilterte wie ungefilterte Weise in Echtzeit mit der Welt zu teilen. Klingt eigentlich schön, wäre da nicht das Problem der Verifizierbarkeit, Verknappung und Kontextlosigkeit.
Samira El Ouassil: Das israelische "Ministerium für Diaspora" verzeichnete im Mai 2021 im Vergleich zum Vormonat einen Anstieg von antisemitischen Beiträgen in Sozialen Medien um 200 Prozent.
Die Amadeu Antonio Stiftung veröffentlichte 2021 einen "de:hate"-Report über israelfeindlichen Antisemitismus in Popkultur und sozialen Medien. Die Autor:innen dieses Berichts stellten fest, dass die erneute Eskalation im Nahost-Konflikt dazu genutzt wurde, vermehrt Antisemitismus zu verbreiten. Auf Facebook, Twitter, TikTok und Instagram teilten Influencer:innen bewusst antisemitische Narrative. Viele jüngere Nutzer:innen kamen dabei zum ersten Mal mit Judenhass in Kontakt, den sie oftmals nicht sofort als solchen erkennen konnten, weil dieser durch Codierungen, Chiffren, Memes oder Emojis getarnt wird – oder durch scheinbar unverdächtig und rein solidarisch wirkende Hashtags wie beispielsweise #freepalastine. Die Kognitionswissenschaftlerin Monika Schwarz-Friesel weist in ihrer Forschung darauf hin, dass online mittlerweile so viel Judenhass verbreitet wird, dass es kompliziert wird, sich ein neutrales Bild dieses Konflikts zu machen. Neben Informationen etablierter Medien werden User:innen sozialer Medien mit einer Fülle an Ressentiments und Propaganda konfrontiert, die ein differenziertes Informieren erschweren.
Daniel Donskoy: Doch nicht immer ist dieser Hass codiert und schwer dechiffrierbar, wie es in den Sozialen Medien vorkommt. Wir hören jetzt Fathi Hamad, einen der politischen Führer der Hamas:
HAMAS-REDE
Daniel Donskoy: In dieser Rede ruft er 2019 zur weltweiten Tötung von Juden auf. Im Mai 2021 fokussiert er sich dann in seinen Ansprachen auf die Anleitung zur Enthauptung von Juden – mit Messern, die man sich kaufen soll.
HAMAS-REDE
Daniel Donskoy: Fun fact von Fathi: die Messer kosten nur 5 Shekel. Das sind umgerechnet 1,41 Euro. Noch nie war Judenmord so günstig!
Auch Mai 2021. Während meine Familie in Israel im Bunker sitzt, befinde ich mich in NRW am Set von "Faking Hitler", der Serie über die gefälschten Hitler-Tagebücher. Ich telefoniere mit meiner Mutter und stehe dabei inmitten von Hakenkreuzfahnen und Nazidevotionalien. Schon skurril. Auch mein Social Media Feed setzt mir zu. Viele der Menschen, denen ich folge, posten im Mai Solidaritätsbekundungen mit der leidenden palästinensischen Zivilbevölkerung. Manche posten und reposten Memes und Grafiken mit zutiefst antisemitischen Narrativen. Ich bin mir sicher, das geschah nicht immer bewusst, aber viele der Messages, die ich ihnen schickte, um dies zu kritisieren, um aufzuklären, blieben unbeantwortet – oder führten zu recht strangen Antworten wie: Klar sagst Du das, Du kommst ja von da. Dabei finde ich es alles andere als falsch, auf das Leid aufmerksam zu machen, aber von einem reflektierten Menschen, der sich mit gesellschaftlichen und geopolitischen Problematiken auseinandersetzt, erwarte ich Differenzierung.
Auch Mai 2021: Ich stolpere über die Instagram Story von Bella Hadid, eine der größten Influencerinnen der Welt. Sie erklärt darin, wie man am besten antwortet, wenn man sich mit jemandem über den Israel-Palästina-Konflikt austauscht. In einem Re-Post schlägt das Topmodel ihren Follower:innen vor, alle Israelis als weiße Kolonisatoren zu bezeichnen, die gerade eine ethnische Säuberung umsetzen. You know, der übliche Smalltalk-Guide eben. Nach heftiger Kritik löschte sie ihren Post, doch 42 Millionen Menschen wurden angehalten, eine antizionistische, extrem unterkomplexe und im Kern antisemitische Sprache anzuwenden.
Lisa Schreckhart [Parodie]: Wissen Sie, dass die Sozialen Medien von verklemmten Juden erfunden wurden, nur damit sie an Weiber rankommen? Ja! Der Mark Zuckerberg hat Facebook als Student programmiert, weil er Frauen vergleichen wollte – weil er keine abgekriegt hat. Und jetzt regen sich die Juden auf, wenn sie im Internet von schreienden Palästinenserinnen beleidigt werden. Antisemitismus nennen sie’s. Also nur weil der Jude immerzu unterpudert ist, baut er sich eine Daten-Krake und wundert sich, wenn ihm die Palästinenserinnen an den Tentakeln hängen bleiben.
Daniel Donskoy: Boah, Lisa … Wir sprechen nun mit einem echten Social Media Experten:
Samira El Ouassil: Sascha Lobo - Publizist, Autor, Podcaster.
Sascha Lobo: Ich glaube, dass in den sozialen Medien auch eine Vielzahl von sehr positiven Dingen passieren. Und das eine, was da deutlich passieren kann, ist, dass die Behandlung einzelner Personen, die basiert auf Diskriminierung und da zum Beispiel eben auch auf antijüdischer Diskriminierung, auf antisemitischer Diskriminierung, dass die plötzlich eine Reichweite entfalten kann und bekommen kann, die Handlungen nach sich ziehen muss. Wir hatten das in den letzten Jahren immer wieder, dass einzelne Übergriffe gegen Juden und Jüdinnen oder auch gegen Synagogen plötzlich ein Echo bekommen haben in den sozialen Medien. Und ich glaube, dass dadurch überhaupt erst vielen Leuten, die sich sonst gar nicht so drum gekümmert haben, bewusst geworden ist, wie virulent dieses Problem ist. Das war zumindest ein Aspekt in der Wahrnehmung. Und deswegen glaube ich, dass die sozialen Medien da nur zu verurteilen, schon deswegen, auch deswegen, aber nicht nur deswegen, halte ich für falsch. Was ich für richtig halte, ist mit den sozialen Medien auch erstmal zu sehen: Okay, da kommen natürlich hoch problematische Diskussionssphären mit hinein in die nachvollziehbare Öffentlichkeit. Die war schon vorher da, aber die werden jetzt nachvollziehbar von außen. Und damit meine ich nicht, dass Soziale Medien harmlos sind, immer, überall. Ganz im Gegenteil. Soziale Medien können nicht nur sichtbar machen, sondern auch verstärken oder überhaupt erst auslösen. Gerade auch, was Diskriminierung angeht. Ich glaube aber trotzdem, dass nur die Verantwortung hier in Richtung Soziale Medien – so zu sagen: um Gottes Willen, was da alles los?! - das ist gerade im Antisemitismuskontext deswegen sehr schwierig, weil es so tut, als sei das Problem nicht viel tiefer in der Gesellschaft, in den Köpfen, in den Kommunikationen, in den Strukturen drin, sondern irgendwie technologisch basiert.
Daniel Donskoy: Auch mit Laura Cazés haben wir über die Sozialen Medien gesprochen – Laura, wie siehst Du das?
Laura Cazés: Das ist ein krasses Phänomen – das ganz viel dessen, was dann letztlich in einem popkulturellen Mainstream in so kurzen Sequenzen aus Social Media ankommt, ganz häufig auch narrative Positionen sind, wenn wir von Kindermörder Israel und From the River to the Sea sprechen, die es eigentlich aus islamistischen Kontexten bis in den Mainstream geschafft haben. Und dass das unwidersprochen bleibt, während es in anderen Menschenrechts Bezügen völlig klar ist, wie viele Menschen auf der ganzen Welt unter islamistischen und faschistischen Strukturen leiden. Ja? Das ist unbenommen, aber in diesem Kontext wird in Kauf genommen, dass etwas verkürzt dargestellt wird. Und das spüren jüdische Menschen, ohne genau zu wissen, wie sie jetzt mit dem Finger darauf zeigen sollen, was antisemitisch daran ist.
Daniel Donskoy: Ja, genau – aber was ist denn antisemitisch daran? Hier ein kleiner Service von mir, wie man in all der Israel-Kritik antisemitische Klischees und Stereotypen erkennt. Wo endet die Kritik, wo fängt israelbezogener Antisemitismus an?
Samira El Ouassil: Mit der sogenannten 3D-Regel lässt sich bestimmen, ob eine Aussage legitime Kritik an Israels Politik ist – oder bereits Antisemitismus reproduziert. Dies ist der Fall, wenn die sogenannten 3Ds im Spiel sind: Doppelstandards, Delegitimierung und/oder Dämonisierung. Die Kognitionswissenschaftlerin Monika Schwarz-Friesel und der Historiker Jehuda Reinharz konkretisierten diese 3D-Regel durch fünf Erkennungsmerkmale:
1. Aberkennung des Existenz- und Selbstbestimmungsrechts Israels
2. Vergleich bzw. Gleichsetzung Israels mit dem Nationalsozialismus
3. Anlegen anderer Maßstäbe an Israel als an andere Länder
4. Verantwortlichmachen von Jüdinnen und Juden aus aller Welt für das Regierungshandeln Israels
5. Bezugnahme auf Israel oder Israelis mit antisemitischen Bildern, Symbolen oder Floskeln
Daniel Donskoy: Und nun eine kleine Nachricht von unserem Sponsor:
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Daniel Donskoy: Sowohl im etablierten Journalismus, als auch in den sozialen Medien bemühen sich Menschen, mal mehr, mal weniger um Ausgewogenheit, auch unbewusst werden dabei immer wieder antizionistische, antisemitische Stereotype in Form von Hashtags und Memes verbreitet. Daneben existieren im Zusammenhang mit israelbezogenem Antisemitismus auch Kampagnen, die die kontinuierliche Israelkritik als Hauptziel haben und teils bewusst mit den Ressentiments arbeiten.
Eine dieser Kampagnen ist die sogenannte BDS-Bewegung. Neben ihrem Online-Aktivismus ruft sie zu bestimmten Anlässen ihre Anhänger:innen auf, auf die Straßen zu gehen. Dabei muss man leider bei aller berechtigter Kritik an Israel und seiner Siedlungspolitik auch feststellen, dass bei einigen Demonstrationen mit ihrer Beteiligung auf organisierte Weise schockierender Antisemitismus öffentlich zur Schau gestellt wird. Die Klischees sind die gleichen: Der mächtige Jude als weißer Kolonisator, Apartheid, ethnische Säuberung.
Daniel Donskoy: Oh Mann, Samira! Nicht schon wieder Infos!? Oh Mann!
Samira El Ouassil: Die Abkürzung BDS steht für "Boycott, Divestment and Sanctions" – Boykott, Desinvestition und Sanktionen. Dabei handelt es sich nicht um eine feste Organisation, sondern um eine dezentrale Bewegung, die – kurz gesagt – zu internationalem wirtschaftlichem, akademischem und politischem Boykott Israels aufruft. Die BDS-Bewegung fordert Länder, Unternehmen, Organisationen und Kulturschaffende dazu auf, ihre Beziehungen zu Israel abzubrechen. Vorbild ist dabei der Kampf gegen das Apartheidregime in Südafrika. Laut BDS-Deutschland ist es das Ziel der Kampagne, die Besetzung und Kolonisation – Zitat "allen arabischen Landes" zu beenden. Was mit "allen arabischen Landes" gemeint ist, wirft allerdings Fragen auf. Omar Barghouti, eines der Gründungsmitglieder der Bewegung, meint:
"A Jewish state in Palestine in any shape or form cannot but contravene the basic rights of the land’s indigenous Palestinian population." - "Ein jüdischer Staat in Palästina, in welcher Form auch immer, kann nur gegen die Grundrechte der indigenen palästinensischen Bevölkerung des Landes verstoßen." Und weiter führt er aus: "Most definitely we oppose a Jewish state in any part of Palestine” – “Auf jeden Fall lehnen wir einen jüdischen Staat in jedem Teil Palästinas ab." 2019 stufte das deutsche Parlament die BDS-Kampagne als antisemitisch ein.
Lisa Schreckhart [Parodie]: Der BDS? Was soll das sein? Ich kenne ja nur BDSM – also sexuelle Praktiken, bei denen es um Dominanz und Unterwerfung geht. Manche empfinden ja Lust, wenn sie sich gegenseitig peinigen. Ist BDS dann vielleicht so ein sexuelles Ding zwischen Palästinensern und Juden? Ich denke ja nur laut – haben sie sich schon mal Israel und die besetzten Gebiete auf einer Karte von oben angeschaut? Für mich sieht das schon sehr nach einem Phallus aus – natürlich ohne Vorhaut.
Daniel Donskoy: Oh, ja, Lisa… genug BDSM, zurück zu BDS. Zu Ende gedacht – finde ich – bedingen die Forderungen der BDS-Bewegung eine Infragestellung des Existenzrechts Israels. Dennoch wird die Bewegung in Deutschland kontrovers diskutiert und die Einstufung des BDS als antisemitische Kampagne im Bundestag von einigen Politiker:innen, Wissenschaftler:innen wie Journalist:innen nicht geteilt. Wir sprechen mit Samuel Salzborn, der sich bereits seit 20 Jahren wissenschaftlich mit Antisemitismus beschäftigt.
Samira El Ouassil: Samuel Salzborn, Politikwissenschaftler und Beauftragter des Landes Berlin für Antisemitismus.
Daniel Donskoy: Wie würden Sie die "Boycott, Divestment and Sanctions" -Kampagne einordnen, kurz BDS?
Samuel Salzborn: Na ja, die BDS-Kampagne erfüllt in Bezug auf antiisraelischen Antisemitismus alle entsprechenden Kriterien. Als Kampagne halte ich sie für zweifelsfrei antisemitisch. Und ich glaube, dass die Diskussionen, die darüber geführt werden, oftmals von dieser Struktur eben ablenken, weil man irgendeine Person findet, bei der man vielleicht sagen würde, die hat ganz andere Motive, die ist vielleicht friedenspolitisch motiviert und gar nicht antisemitisch, lenkt es von der Struktur ab. Und die Struktur einer Organisation oder einer Kampagne, in diesem Fall, sehen wir ja an den entsprechenden Erklärungen, an den entsprechenden offiziellen Stellungnahmen, Verlautbarungen, Grundsatzerklärungen und die sind in Bezug auf den gegen Israel gerichteten Antisemitismus sehr, sehr klar, sehr, sehr eindeutig. Sie dämonisieren, sie delegitimieren, sie wenden doppelte Standards an, das heißt, als Kampagne halte ich BDS für zweifelsfrei antisemitisch.
Daniel Donskoy: An dieser Stelle will ich betonen: Palästinensische Stimmen brauchen Räume, Möglichkeiten um auf ihr Leid aufmerksam zu machen; dazu muss es gesellschaftlich auch Platz für ehrliche Kritik an Israels Politik geben, welche dieses Leid auch mit erzeugt. Dieses Anliegen, auch wenn es gut gemeint ist, darf aber nicht missbraucht werden, um antisemitische Narrative zu verbreiten. Ich verstehe, dass manche im BDS bestimmt Ideale sehen und ihre Hoffnungen in diese Bewegungen setzen – eine friedenspolitische Bewegung und Solidarisierung mit der palästinensischen Zivilbevölkerung, die leider Antisemitismus und Judenhass in Kauf nimmt und darüber hinwegsieht. Und das schadet der Sache und dem Kampf für einen gerechten Umgang mit dem palästinensischen Volk. Ich war dementsprechend irritiert, dass bei der Einstufung des BDS durch den Bundestag einige Politiker:innen diese nicht unterzeichnen wollten – darunter auch unsere heutige Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Wir sprechen mit:
Samira El Ouassil: Marlene Schönberger. Bundestagsabgeordnete für die Grünen aus Niederbayern, die im Bundestag unter anderem für die Themen Antisemitismusbekämpfung und jüdisches Leben zuständig ist.
Daniel Donskoy: Stufst Du die BDS-Bewegung als antisemitisch ein?
Marlene Schönberger: Ich sage ja.
Daniel Donskoy: Wie stehst Du dazu, dass die neue Bundeskulturstaatsministerin das nicht ganz so einfach sieht?
Marlene Schönberger: Ich würde sagen, die Debatte ist noch nicht zu Ende geführt. Aber ich glaube, dass man als Grüne eine ganz klare Haltung gegenüber BDS einnehmen muss.
Daniel Donskoy: Die neue Kulturstaatsministerin Claudia Roth hatte leider keine Zeit, um persönlich Stellung zu beziehen – aber im Gespräch mit Sawsan Chebli wollte ich wissen, wie sie als Tochter palästinensischer Flüchtlinge den Bundestagsbeschluss wahrgenommen hat. Wurde kritisch genug damit umgegangen?
Samira El Ouassil: Sawsan Chebli – SPD-Politikerin und Feministin.
Sawsan Chebli: Für BDS bin ich glaube ich eine Verräterin. Also nicht nur glaube, für einige weiß ich es explizit. Ich halte auch nichts von Boykott. Ich glaube, es bringt uns rational gesehen auch nicht weiter. Und ich glaube auch, dass vieles an dem, was BDS macht und für das sie stehen, antisemitisch ist. Für mich ist – da ist es auch wichtig, dass die Bundesregierung das klar macht, dass da in vielen Fragen rote Linie überschritten werden und dass es Antisemitismus ist. Ich finde es viel spannender, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, dass wir aufpassen müssen, dass nicht wirklich jede Kritik an Israel sofort zum Antisemitismus gemacht wird. Die Inflationierung des Begriffs Antisemitismus tut der ganzen Sache nicht gut. Weißt Du, wenn ich als Antisemitin bezeichnet werde, dann ist das einfach... – da läuft was schief im Diskurs.
Daniel Donskoy: Sawsan hat Recht. Ein inflationärer Gebrauch des Antsemitismusvorwurfs wird dann zum Problem, wenn dieser eine kritische Auseinandersetzung mit israelischer Politik verhindert, weil genau dann die Differenzierungen verloren gehen, um die wir auch hier in diesem Podcast ringen. Wir wollen Kritik nicht delegitimieren, sie muss stattfinden so wie auch palästinensische Perspektiven sichtbarer gemacht werden müssen. Wir wollen vor allem dafür sensibilisieren, wenn diese Kritik missbraucht oder instrumentalisiert wird, um Antisemitismus zu schüren. Genau deshalb muss man sich auch darum bemühen, dass Menschen, die sich für eine Verbesserung der Lebenslage der zivilen palästinensischen Bevölkerung einsetzen, Instrumente nutzen können, die nicht unwillentlich Antisemitismus reproduzieren. Auch mit Felix Dachsel habe ich über den BDS gesprochen.
Samira El Ouassil: Felix Dachsel - Journalist und Chefredakteur der deutschsprachigen Ausgabe der VICE.
Felix Dachsel: Also wenn es um BDS geht, was ich halt einfach klar ablehne und gefährlich finde, dann mache ich auch manchmal irgendwie vielleicht Äußerungen oder Tweets, die sind eher so wie als ob man für das eine Team ist oder für das andere Team ist und das ist aber – ja, ich glaube, das ist auch nicht ganz zu verhindern. Aber wenn einem wirklich was an dem Thema gelegen ist, muss man, glaube ich, immer wieder versuchen, auf die Fakten zurückzukommen.
Daniel Donskoy: Hier spricht Felix Dachsel etwas Wesentliches an. Es gibt ein grundsätzliches Problem in Sozialen Medien: Es wird implizit erwartet – oder auch explizit gefordert –, sich im digitalen Raum zu Gruppen oder politischen Positionen eindeutig zuzuordnen. Solidarisierung und Zugehörigkeiten performen, durch Teilen, Liken, Tweeten, Posten. Hashtags! Das "we stand with" der Woche. Daniel, warum hast Du nichts hierzu gesagt? Daniel, bist Du für oder gegen uns? Daniel, willst Du nicht diese Solidaritätsbekundung unterschreiben?
Dieses binäre Lagerdenken wird jedoch zumeist der Komplexität der Sachverhalte und Debatten nicht gerecht. Ansonsten könnten man die Welt ja nur einteilen in Juden und Antisemiten. Tschuldigung… Nicht-Juden. Aber wir halten es da gerne komplexer. Wer ist denn überhaupt ein Juicy Jew. Wer ein authentischer Antisemit. Kann und will man sich mit justiziablen Juden und angeblichen Antisemiten solidarisieren – oder steckt hinter allen identitätspolitischen Debatten vielleicht der Mossad? Springer? Angela Merkel - das führt uns zur nächsten Folge. Eines vorab: Es wird tres, tres noir. (franz.: schwarz)
Lisa Schreckhart [Parodie]: Ja, dieses Lagerdenken – damit kennt’s Ihr euch aus, Ihr Juden. Und jetzt wollt’s auch in Deutschland die medialen Autonomiegebiete besetzen und diskursive Grenzzäune errichten – oder was? Eins muss man Euch lassen – Ihr wisst sogar besser wie man Euch richtig kritisiert. Immer zu schlauer als die schärfsten Kritiker. Ich würde ja sogar sagen: Juden wären die besseren Palästinenser. Und natürlich die Deutschen die besseren Juden. Doch im Grunde ist es ganz einfach: Schwarz, Rot, Gold – das ist der Deal! Wer in Deutschland lebt, soll sich bitt’schö auch an die hiesigen Gepflogenheiten anpassen! Das sage ich als Österreicherin!
Daniel Donskoy: Halt die Fresse, Lisa!