Marianne Faithfull: Von der Skandalnudel zur Grande Dame

Von Ingo Neumayer

Sie flog in Privatjets und hauste auf der Straße. Lebte mit Mick Jagger und drehte mit Alain Delon. Sang für Metallica und ließ sich Lieder von Nick Cave schreiben. Am 30. Januar ist Marianne Faithfull im Alter von 78 Jahren gestorben.

Marianne Faithfull 1966

Marianne Faithfull wird 1946 in eine durchaus illustre Familie geboren. Ihre Mutter Eva ist die Großnichte des Skandalautoren Leopold von Sacher-Masoch und tanzt während der Weimarer Republik in Theaterproduktionen von Bertolt Brecht und Kurt Weill. Ihr Vater ist Literaturprofessor und verdingt sich während des Zweiten Weltkriegs als Spion. Während der Befreiung Wiens lernt er Eva kennen, wenig später heiraten die beiden.

Marianne Faithfull wird 1946 in eine durchaus illustre Familie geboren. Ihre Mutter Eva ist die Großnichte des Skandalautoren Leopold von Sacher-Masoch und tanzt während der Weimarer Republik in Theaterproduktionen von Bertolt Brecht und Kurt Weill. Ihr Vater ist Literaturprofessor und verdingt sich während des Zweiten Weltkriegs als Spion. Während der Befreiung Wiens lernt er Eva kennen, wenig später heiraten die beiden.

Marianne wächst nach der Trennung ihrer Eltern in London auf. Schon früh begeistert sie sich für Gesang und Theater, nimmt an Schauspielgruppen in der Schule teil und treibt sich auf Beat-Konzerten herum. Mit 17 bekommt sie dann die Chance, im Londoner Hammersmith Apollo vor den Hollies aufzutreten. Nur mit einer Gitarre geht sie auf die Bühne und singt Songs von Joan Baez.

Wenig später lernt sie auf einer Party Andrew Loog Oldham, den Manager der Rolling Stones kennen. Der findet Gefallen an Faithfull, nimmt sie unter seine Fittiche und stellt sie den Stones vor. Auch die sind begeistert von dem hübschen Teenager mit der geheimnisvollen Stimme. Mick Jagger und Keith Richards schreiben ihr einen Song namens "As Tears Go By", mit dem Faithfull gleich einen Riesenhit landet.

Es folgen weitere Hits wie "This Little Bird" oder "Summer Nights" und eine Hals-über-Kopf-Hochzeit mit dem Künstler und Galeristen John Dunbar. 1965 kommt ihr gemeinsamer Sohn Nicholas auf die Welt.

Doch Faithfull beendet die Beziehung kurz darauf. Sie beschließt, etwas mit einem der Stones anzufangen. Das funktioniert: "Ich habe mit drei von ihnen geschlafen und mich dann für den erfolgversprechendsten entschieden: den Sänger", sagt sie später dem "New Musical Express".

In den folgenden Jahren werden Jagger und Faithfull zum Traum aller Journalisten: Es gibt immer etwas zu schreiben. Mal wird Faithfull nur leicht bekleidet bei einer Drogenrazzia im Haus von Keith Richards erwischt, mal bricht sie kurz vor den Dreharbeiten zu einem gemeinsamen Film mit Jagger wegen einer Überdosis Schlaftabletten zusammen.

Auch auf die Musik der Stones hat Faithfull einen gewissen Einfluss. Sie empfiehlt Jagger Michail Bulgakows Roman "Der Meister und Margarita", der sich davon zu "Sympathy For The Devil" inspirieren lässt. In den Texten von "You Can't Always Get What You Want" und "Wild Horses" verarbeitet Jagger die Chaos-Beziehung der beiden, in der Drogen und Exzesse eine immer größere Rolle spielen.

Selbst die Konkurrenz bezieht sich angeblich auf sie: Mit dem "Vogel" im Beatles-Song "And Your Bird Can Sing" soll niemand anderes als Faithfull gemeint sein.

Marianne Faithfull ist das It-Girl der späten 60er Jahre. Kein Wunder, dass ihr ständig Theater- und Filmrollen angeboten werden. 1968 dreht sie mit Alain Delon "Nackt unter Leder". Doch die Erotik gibt es nur auf der Leinwand. Später sagt Faithfull über Delon, die Zusammenarbeit sei ein Albtraum gewesen: "Ich habe ihn verabscheut."

1970 trennen sich Faithfull und Jagger, worauf sie in eine tiefe Krise gerät. Faithfull ist schwer drogenabhängig und essgestört, verliert das Sorgerecht für ihren Sohn, unternimmt einen Selbstmordversuch und ist phasenweise obdachlos. Einzig die Tantiemen, die sie für den von ihr mitverfassten Stones-Song "Sister Morphine" erhält, bewahren sie vor dem dauerhaften Absturz.

In den 70ern verschwindet Faithfull weitgehend im Drogensumpf. Erst Ende des Jahrzehnts gelingt ihr mit dem Album "Broken English" ein Comeback. Auf der Platte zeigt sie sich stark von modernen Sounds wie Punk und New Wave beeinflusst. Und auch einen Skandal hat sie mal wieder in petto: Das Album ist der RAF-Terroristin Ulrike Meinhof gewidmet.

Durch die Unmengen an Drogen, Alkohol und Zigaretten, die Faithfull zu sich genommen hat, ist ihre Stimme brüchig geworden und ein ganzes Stück nach unten gerutscht. Das stellt sich aber nicht als Problem heraus, im Gegenteil. Denn Faithfull wendet sich im Laufe der 80er dem Jazz und Blues zu. Und ihre rauchige Stimme passt wie angegossen zu den Tom Waits-, Bob Dylan-, Leonard Cohen- und Billie Holiday-Songs, die sie interpretiert.

Die Vielseitigkeit bleibt das Merkmal von Marianne Faithfull: Für das Album "A Secret Life" arbeitet sie mit dem Soundtrack-Komponisten Angelo Badalamenti (u.a. "Twin Peaks") zusammen. Auf "The Seven Deadly Sins" interpretiert sie Lieder der Oper "Die sieben Todsünden" von Bertolt Brecht und Kurt Weill.

Um die Jahrtausendwende beschäftigt sich Faithfull intensiv mit der aktuellen Musikszene. Sie singt einen Song mit Metallica, lässt sich von Nick Cave und PJ Harvey Songs schreiben, covert Alternative-Rock-Bands wie die Decemberists und Black Rebel Motorcycle Club und nimmt Lieder mit Beck, Blur oder Cat Power auf.

Das hilft natürlich, um im Gespräch zu bleiben. Genauso wie die Auftritte auf Modeschauen (wie hier mit Karl Lagerfeld) oder die ausgewählten Filmrollen, die sie hin und wieder annimmt. 2008 wird sie für ihre Hauptrolle in der Tragikomödie "Irina Palm" für den Europäischen Filmpreis nominiert. Und sie trifft alte Bekannte wieder: Im selben Jahr nimmt sie den Song "Sing Me Back Home" zusammen mit Keith Richards auf. Ein Kreis hat sich geschlossen.

2014 feiert Faithfull ihr 50. Bühnenjubiläum mit einer ausgedehnten Tour. Inzwischen gilt sie als Grande Dame der Popmusik, als wort- und stimmgewaltige Zeitzeugin, die ihr musikalisches Werk äußerst vielseitig anlegt und damit Indierock-Fans wie Hochkultur-Interessierte gleichermaßen begeistert.

Während der Arbeit am Album "She Walks In Beauty" im Frühjahr 2020 erkrankt Marianne Faithfull schwer an Covid-19. Nach überstandener Infektion kann sie das Album, in dem sie Gedichte aus dem 19. Jahrhundert rezitiert, fertigstellen. Doch die Spätfolgen der Erkrankung machen ihr schwer zu schaffen.

Am 30.01.2025 stirbt Marianne Faithfull im Alter von 78 Jahren in London. Kondolenzen kommen auch von ihren langjährigen Weggefährten bei den Stones: "Ich bin so traurig und werde sie vermissen", schreibt Keith Richards. Und auch Mick Jagger trauert um "eine wunderbare Freundin, eine wunderschöne Sängerin und eine großartige Schauspielerin".

Stand: 31.01.2025, 10:05 Uhr