Eine Woche der schlechten Nachrichten für die AfD: Am Montag entschied das Oberverwaltungsgericht Münster, dass der Verfassungsschutz die Partei weiter als rechtsextremistischen Verdachtsfall einstufen und beobachten darf.
Am Dienstag erlitt der Thüringer Landeschef Björn Höcke eine Niederlage vor Gericht: Wegen des Verwendens einer verbotenen NS-Parole in einer Rede ist er vom Landgericht Halle zu einer Geldstrafe von 13.000 Euro verurteilt worden. Sollte das Urteil rechtskräftig werden, würde er als vorbestraft gelten. Der Münsteraner Soziologe Andreas Kemper beobachtet die AfD seit ihrer Gründung und hat mehrere Aufsätze über Höcke veröffentlicht.
WDR: Laut einem Gerichtsurteil muss es sich Höcke schon seit längerem gefallen lassen, dass man ihn als Faschisten bezeichnet. Man darf es also rechtlich machen - aber sollte man es auch?
Andreas Kemper: Ich finde das richtig, ja. Das ist die korrekte Bezeichnung. Wenn ich das wissenschaftlich betrachte, komme ich zu dem Ergebnis, dass Höcke eine faschistische Ideologie verfolgt. Da wäre es für mich als Soziologe verwerflich, das nicht so zu benennen.
WDR: Wie genau sieht die wissenschaftliche Begründung aus?
Kemper: Dafür muss man eintauchen in die verschiedenen Faschismustheorien. Wenn man sich auf die Theorie von Roger D. Griffin bezieht, die die Ideologie in den Mittelpunkt stellt, heißt es dort: Eine faschistische Ideologie liegt dann vor, wenn einerseits von einem Ultra-Nationalismus ausgegangen wird, andererseits aber auch Revolutionsvorstellungen vorhanden sind, die das eigene Land in einem Zustand der Dekadenz und des Niedergangs sehen, aus dem es erwachen muss. Beides ist bei Höcke quasi schulbuchartig gegeben, wenn man sich seine Reden seit 2013 anhört.
WDR: Wie bewusst bezieht sich Höcke in seiner Rhetorik auf die NS-Zeit?
Kemper: Vor der AfD hat Höcke unter Pseudonym in Neo-Nazi-Organen Texte veröffentlicht und war bei einer Neo-Nazi-Demo mittendrin und hat dort mitskandiert. Jetzt mit der AfD sieht er seine Mission darin, die vermeintliche Sprachherrschaft der Linken zu durchbrechen. Damit meint er aber nicht Linksradikale, sondern schlichtweg alle, die links von ihm stehen. Dafür benutzt er ganz bewusst verbotene Parolen.
WDR: Wie zum Beispiel den Satz "Alles für Deutschland", für den er jetzt verurteilt wurde, weil dies eine Losung der SA war.
Kemper: "Alles für Deutschland" klingt ja zunächst harmlos. Das erinnert vielleicht an eine Fußballmannschaft, von wegen: Wir geben alles für Deutschland. Aber in Wirklichkeit ist das ein totalitärer Begriff, der ins Fanatische reicht. Da ist die Nazi-Formel "Du bist nichts, dein Volk ist alles" nicht weit davon entfernt.
WDR: Ist Höcke wirklich von allem überzeugt, was er sagt? Inwiefern benutzt er faschistische Rhetorik, um zu provozieren und eine bestimmte Klientel zu erreichen?
Kemper: Höcke will nicht provozieren, das ist überhaupt nicht sein Ding. Er hält sich ja eher zurück mit Provokationen, im Gegensatz zu Alice Weidel. Wenn Weidel gegen die Queer-Bewegung vorgeht, ist das Kalkül, da geht es um Machtpolitik. Höcke hingegen meint das, was er sagt, in der Form quasi ernst.
WDR: Ist Höcke der heimliche Chef der AfD?
Kemper: Höcke und seine Gefolgsleute bestimmen auf jeden Fall den Kurs der Partei. Am Anfang war in der AfD ein verschärfter Neoliberalismus tonangebend. Diese Strömung ist immer weiter zurückgedrängt worden in Auseinandersetzungen, bei denen Höcke beteiligt war. Bernd Lucke, Hans-Olaf Henkel, Frauke Petry, Jörg Meuthen - sie alle waren innerparteiliche Kontrahenten von Höcke, die ihn teilweise als zu rechts sahen. Am Ende haben sie die Partei verlassen, Höcke und sein Flügel haben sich immer durchgesetzt. Ihn kriegt man nicht mehr aus der AfD heraus.
Das Interview wurde im Rahmen unseres Podcast "0630 - der News-Podcast" geführt. Zur besseren Lesbarkeit und Verständlichkeit haben wir es bearbeitet und gekürzt, ohne den Sinn zu verfälschen.