Nach insgesamt mehr als 50 Jahren unter der Herrschaft von Baschar al-Assad oder seinem Vater Hafiz und fast 14 Jahren Bürgerkrieg zeichnet sich in Syrien ein Machtwechsel ab. Keine zwei Wochen nach dem Beginn einer Großoffensive hat die islamistische Rebellenallianz die Hauptstadt Damaskus eingenommen. Der bisherige Machthaber Baschar al-Assad hat in Russland Asyl bekommen. Er soll sich mit seiner Familie in Moskau aufhalten.
Was passiert gerade in Syrien? Wer war der Diktator Baschar al-Assad? Was planen die Rebellen? Und was bedeutet die neue Situation für syrische Flüchtlinge in Deutschland? Fragen und Antworten.
Was passiert gerade in Syrien?
Die Ereignisse in Syrien überschlagen sich, und die Lage ist noch unübersichtlich. Nachdem Aufständische schon Ende November einige syrische Städte erobert hatten, drangen Rebellen am 8. Dezember in die Hauptstadt Damaskus ein, fast ohne Gegenwehr der Armee. Bewaffnete Islamisten und Zivilisten feierten gemeinsam den Sturz des Regimes. Das von Islamisten angeführte Rebellenbündnis und Ministerpräsident Mohammed al-Dschalali versuchen offenbar, gemeinsam einen geordneten Machtübergang zu organisieren. Die Zukunft von Syrien ist derzeit völlig offen.
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Was muss man über das bisherige Regime wissen?
Nachdem sein Vater Hafiz al-Assad nach fast 30 Jahren an der Macht in Syrien starb, übernahm sein damals 34-jähriger Sohn Baschar die Herrschaft im Land. Bei seinem Amtsantritt hofften viele Menschen auf einen Wandel. Doch dann stürzte der Machthaber das Land in einen Bürgerkrieg.
Der heute 59-Jährige hat lange jeden Widerstand in dem Vielvölkerstaat unterdrückt. Unter seiner Herrschaft wurden Intellektuelle und andere Regierungskritiker inhaftiert. Mit der Niederschlagung des Aufstands gegen ihn im Jahr 2011 wurde der Bürgerkrieg ausgelöst, der Hunderttausende Menschen das Leben kostete und Millionen weitere in die Flucht trieb. Das Regime setzte Giftgas gegen das eigene Volk ein. Assad wurde lange vom Iran und Russland gestützt. Jetzt ist er nach Moskau geflohen.
Assad soll trotz der Lage in Syrien zuletzt im Luxus gelebt haben. In Sozialen Netzwerken kursiert ein Video mit dem Fuhrpark Assads, wie ihn die Rebellen in der Nähe des Haupt-Präsidentenpalastes entdeckt haben. CNN hat nach eigenen Angaben die Echtheit des Videos bestätigt, das mehr als 40 Luxusautos zeigt.
Wer sind die Rebellen und was planen sie?
Rebellen führten den Umsturz herbei. Seit Ende November hatten Aufständische in Syrien mehrere Städte unter ihre Kontrolle gebracht und nahmen schließlich die Hauptstadt Damaskus ein. Die Islamistische Gruppe Hayat Tahrir al-Scham führt das Bündnis an. Sie hatte zuvor Verbindungen zu den Terrororganisationen Islamischer Staat (IS) und Al-Kaida. Im Staatsfernsehen kündigten die Rebellen eine neue Ära für Syrien an.
Im Zuge der Machtübernahme von islamistischen Rebellen in Syrien sind zunächst zahlreiche unter Assad Inhaftierte freigelassen worden. Exil-Syrer auf der ganzen Welt wurden von den Aufständischen aufgefordert, in ihre Heimat zurückzukehren. Wie es dort jetzt weitergeht und welche Gruppe oder welches Bündnis die Macht übernehmen könnte, ist unklar.
Ungewiss ist auch, ob die Rebellen ihre Ankündigungen wahr machen, alle Volksgruppen in den Neuanfang zu integrieren. Für den Moment müssten die Milizen erstmal Damaskus richtig kontrollieren, sagt ARD-Korrespondent Ramin Sina. Es habe zahlreiche Plünderungen gegeben, Gebäude seien in Brand gesetzt und eine Ausgangssperre verhängt worden.
Was bedeutet die neue Situation für syrische Flüchtlinge in Deutschland?
Wie sich die neue Lage auf die Flüchtlingssituation auswirken wird, hängt davon ab, ob es nach dem Sturz von Assad einen weitgehend friedlichen Übergang geben wird oder ob Selbstjustiz und Machtkämpfe für neue Instabilität sorgen. "Sollte sich die Situation positiv entwickeln, würden etliche Syrer zurückkehren wollen", sagte der fluchtpolitische Sprecher von Pro Asyl, Tareq Alaows, der Deutschen Presse-Agentur.
Ob syrische Flüchtlinge in ihre Heimat zurückkehren werden, hängt auch davon ab, welche Regierung sich bildet. Viele Syrer bejubeln Assads Ende, andere fürchten zugleich eine neue, andere Gewaltherrschaft unter den aufständischen Islamisten.
Wie geht es mit den Asylanträge von Syrern in Deutschland weiter?
In Deutschland will das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) erst mal nicht mehr über Asylanträge von Syrern entscheiden. Die Behörde teilte dem WDR schriftlich mit, dass die Lage in Syrien aktuell zu unübersichtlich und daher schwer zu bewerten sei. Deshalb könne derzeit keine abschließende Entscheidung über den Ausgang eines Asylverfahrens getroffen werden. Eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums erklärte, die Asyl-Entscheidungen seien nicht erledigt, sondern rückpriorisiert. Das bedeutet, andere Entscheidungen werden vorgezogen.
In der deutschen Politik ist allerdings schon eine Diskussion darüber entbrannt, ob die Menschen aus Syrien in ihre Heimat zurückkehren sollten. Unionsfraktionsvize Jens Spahn schlug zum Beispiel ein "Startgeld" von 1.000 Euro plus einen Flug nach Syrien vor, um Menschen zur Rückkehr zu bewegen. Die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckhard warnte hingegen vor einer vorschnellen Diskussion. Es sorge für große Unsicherheit, wenn jetzt die Vorstellung entstehe, Deutschland wolle Schulkinder mit syrischen Wurzeln sofort zurückschicken.
Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sieht eine Debatte über den künftigen Umgang mit syrischen Schutzsuchenden in Deutschland kritisch. Faeser bezeichnete Spekulationen darüber als "unseriös". Wegen der unklaren Lage in Syrien seien konkrete Rückkehrmöglichkeiten im Moment noch nicht vorhersehbar.
Die Gesellschaft für bedrohte Völker hat die Bundesregierung aufgefordert, zunächst demokratische Strukturen in Syrien zu stärken und erst danach über die Rückkehr von Geflüchteten zu sprechen.
Wie viele Syrerinnen und Syrer leben in Deutschland?
Nach Daten des Statistischen Bundesamtes befanden sich Ende vergangenen Jahres 972.460 Menschen mit syrischer Staatsbürgerschaft in Deutschland. 711.650 von ihnen wurden als Schutzsuchende ausgewiesen. In NRW lebten am 31. Dezember 2023 laut Statistischem Landesamt 286.035 Syrerinnen und Syrer.
Bei der Zahl der Asylanträge waren Menschen aus Syrien in diesem Jahr weiter die stärkste Gruppe. Nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) stellten von Januar bis November 74.971 Syrerinnen und Syrer einen Asylantrag. Bei den Entscheidungen bekamen mehr als 83 Prozent einen Schutzstatus zugesprochen.
In den allermeisten Fällen wurde aber kein Asyl gewährt, sondern ein sogenannter subsidiärer Schutzstatus (68.945 Fälle). Hierbei muss den Betroffenen ein ernsthafter Schaden entweder von staatlichen oder nichtstaatlichen Akteuren drohen.
Unsere Quellen:
- Nachrichtenagentur dpa
- Nachrichtenagentur Reuters
- Nachrichtenagentur AFP
- Nachrichtenagentur epd
- Tagesthemen