Gewalt gegen Politiker Aktuelle Stunde 04.05.2024 35:18 Min. UT Verfügbar bis 04.05.2026 WDR Von Diana Ahrabian

Schlägertrupp attackiert Politiker: "Neue Dimension antidemokratischer Gewalt"

Stand: 06.05.2024, 10:31 Uhr

In Dresden wurde der SPD-Politiker Matthias Ecke beim Plakatieren angegriffen und schwer verletzt. Immer wieder sind Politiker und Wahlkampfhelfer Ziel von Anfeindungen - auch in NRW.

Am späten Freitagabend haben vier Männer den sächsischen SPD-Spitzenkandidaten für die Europawahl, Matthias Ecke, beim Aufhängen von Wahlplakaten in Dresden angegriffen. Der 41-Jährige musste im Krankenhaus operiert werden.

Nur Minuten vor dem Angriff hatte laut Polizei in der Nähe eine vierköpfige Gruppe einen 28-jährigen Wahlkampf-Helfer der Grünen ebenfalls beim Plakatieren attackiert - laut Polizei waren es wahrscheinlich dieselben Täter.

Ein Angreifer stellt sich, drei weitere Verdächtige ermittelt

Die SPD in Sachsen sprach von einem "Schlägertrupp"-Angriff. Laut Zeugenaussagen waren alle vier Angreifer dunkel gekleidet, teilte die Polizei mit. Sie seien dem rechten Spektrum zugeordnet worden.

Nach der Operation gehe es Ecke "den Umständen entsprechend gut", berichtet das Portal t-online. Ein Dresdner SPD-Politiker habe mit Ecke im Krankenhaus gesprochen. Dieser lasse sich von den Angriffen nicht einschüchtern.

Am Sonntag stellte sich ein 17-Jähriger bei der Polizei in Dresden und räumte den Angriff auf den Politiker ein. Bisher war der junge Mann nicht durch Straftaten auffällig geworden. Am Montag wurden drei weitere Tatverdächtige ermittelt. Die Wohnungen der Beschuldigten im Alter von 17 und 18 Jahren seien am Sonntag durchsucht worden, teilte das Landeskriminalamt in Dresden mit.

Immer wieder Angriffe auf Politiker und Wahlkampfhelfer

Bereits zuvor hatte es Angriffe auf Mitglieder der Grünen gegeben, die in den sächsischen Städten Chemnitz und Zwickau plakatierten. Seit Jahresbeginn wurden laut Angaben des Innenministeriums in Sachsen schon mehr als 110 politisch motivierte Straftaten im Zusammenhang mit Wahlen registriert – davon 30 gegen Amts- oder Mandatsträger.

Politiker verurteilen Attacke auf Ecke in Dresden

Direkt nach der Attacke auf SPD-Politiker Ecke haben sich viele Politikerinnen und Politiker zu Wort gemeldet. "Wir erleben hier eine neue Dimension von antidemokratischer Gewalt", sagte etwa Bundesinnenministerin Faeser (SPD). Sie kündigte ein hartes Vorgehen des Rechtsstaats an. 

Bundespräsident Steinmeier nannte es unerträglich, "wenn Vertreter von Verfassungsorganen, Europawahlkämpfer oder kommunale Amtsträger bei ihrer demokratischen Arbeit angegriffen, behindert oder sogar geschlagen und verletzt werden".

"Die Reihe von Angriffen durch Schlägertrupps auf Plakatierteams demokratischer Parteien sind ein Angriff auf die Grundfesten unserer Demokratie." Henning Homann und Kathrin Michel (SPD-Vorsitzende in Sachsen)

NRW-Ministerpräsident Wüst sprach bei X von einem Angriff auf die Demokratie. "Demokraten kämpfen mit Worten, ringen um Positionen, aber niemals mit Gewalt." Alle Demokraten müssten jetzt die Reihen fest und in Solidarität schließen, forderte der CDU-Politiker.

Die FDP-Spitzenkandidatin für die Europawahl, Marie-Agnes Strack-Zimmermann aus Düsseldorf, erklärte auf X, es mache sie fassungslos, "dass Menschen, die sich für unsere Demokratie engagieren, immer stärker angegriffen und gefährdet werden".

Der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla schrieb ebenfalls bei X: "Physische Angriffe gegen Politiker aller Parteien verurteilen wir zutiefst. Wahlkämpfe müssen inhaltlich hart und konstruktiv, aber ohne Gewalt geführt werden."

Angriff auf SPD-Politiker WDR Studios NRW 04.05.2024 01:19 Min. Verfügbar bis 04.05.2026 WDR Online

Auch Angriffe auf AfD-Politiker

Nur einen Tag nach der Attacke auf SPD-Politiker Ecke wurden zwei AfD-Vertreter angegriffen. Am Samstagmorgen wurde ein AfD-Landtagsabgeordneter im niedersächsischen Nordhorn leicht verletzt, als er an seinem Infostand laut Polizei von einem 29-Jährigen angegriffen wurde.

Am Nachmittag desselben Tages griffen zwei Frauen und ein Mann einen Informationsstand der AfD in Dresden an. Laut Polizei beschädigten sie Aufsteller, Plakate und einen Tisch. Der Betreiber des Standes wurde demnach nicht verletzt. Kurz nach der Attacke konnte die Polizei die drei Tatverdächtigen aufgreifen. Der Staatsschutz ermittelt.

Genauso wie im Fall des Angriffs auf den Essener Grünen-Politiker Rolf Fliß. Er wurde am Donnerstag beleidigt und geschlagen, nachdem er gemeinsam mit einem Parteikollegen vor einem Restaurant von einer Gruppe Menschen angesprochen wurde.

Wahlplakate werden ebenfalls immer wieder demoliert. Am Donnerstag meldete die Polizei in Düsseldorf etwa, dass im Stadtteil Garath auf einer Strecke von rund 2.000 Metern knapp 30 Plakate beschädigt wurden. Drei Tatverdächtige seien gefasst worden. Auch hier ermittelt der Staatsschutz.

Scheibe an Büro der Grünen eingeschlagen

In der Nacht zu Sonntag wurde außerdem im Norden von Gelsenkirchen eine Scheibe am Wahlkreisbüro der Grünen eingeschlagen. Die Partei hat Anzeige erstattet, die Polizei ermittelt. Es gebe aber keine konkreten Hinweise auf einen politischen Hintergrund, sagte eine Polizeisprecherin. Es seien auch keine Botschaften am Tatort hinterlassen worden.

Wahlkampfhelfer und Politiker immer wieder Ziel von Anfeindungen

Konkrete Zahlen zu solchen Vorfällen sind schwer zu erheben. Nicht alle werden zur Anzeige gebracht. Der Essener Grünen-Politiker Fliß sagte dem WDR, er wolle sich nicht einschüchtern lassen. Klar ist aber: Viele der Politikerinnen und Politiker und Wahlkampfhelfer, die Anfeindungen erleben, ändern ihr Verhalten.

Genau das sei meist auch das Ziel solcher Bedrohungen, sagte die Konfliktforscherin Prof. Dr. Beate Küpper von der Hochschule Niederrhein vor wenigen Tagen: "Das sind gezielte Angriffe. Das gehört mit zur Strategie der äußeren Rechten, die sie schon seit etlichen Jahren verfolgt. Gezielt einzuschüchtern, gezielt auch Menschen einzuschüchtern, die sich demokratisch engagieren."

Sorgt Hass im Netz für Gewalt auf der Straße?

In Online-Netzwerken ist der Ton zum Teil schon lange rau, Drohungen gegen Andersdenkende an der Tagesordnung. Ist das auch ein Grund für die Anfeindungen und Attacken, die wir jetzt erleben? "Was wir beobachten können, ist tatsächlich, dass die Sprache verroht", sagt der Düsseldorfer Politikwissenschaftler Stefan Marschall dem WDR am Samstagabend. "Das hat auch etwas damit zu tun, dass auf Social Media viel schneller Hass und Hetze auch geteilt wird und viral geht".

Und dann könnten sehr schnell aus Worten Taten werden, so der Politik-Professor von der Heinrich-Heine-Universität. Die aktuellen Vorfälle könne man deshalb auch so verstehen, "dass die Stimmung insgesamt sich doch dreht und in einigen Hinsichten auch kippt".

Die SPD in Sachsen hat laut einem ARD-Bericht aus der Attacke auf ihren Europawahl-Kandidaten Ecke bereits Konsequenzen gezogen. Wahlkampfveranstaltungen seien schon jetzt stark geschützt, aber die kleineren Partei-Teams beim Plakatieren könne die Polizei nicht schützen. Deshalb sollen Plakate nicht mehr bei Dunkelheit aufgehängt werden, sondern nur noch tagsüber.

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