Frankreich macht es, Schweden macht es, Italien macht es: In diesen Ländern sollen demnächst neue Atomkraftwerke (AKW) gebaut werden. Und auch die neue belgische Regierung unter Rechtsnationalist Bart De Wever hat den Ausbau der Atomenergie angekündigt. Das besorgt besonders die Menschen im Nachbarland NRW - schließlich liegt das AKW in Tihange, das immer wieder mit technischen Problemen aus- und auffiel, nur 60 Kilometer von Aachen entfernt.
Atomkraft vor weltweiter Renaissance
Nicht nur in Europa, auch weltweit steht die Atomkraft vor einer Renaissance. Einer Studie der Internationalen Energieagentur (IEA) zufolge streben derzeit mehr als 40 Länder rund um den Globus nach einem Ausbau der Atomenergie. So wollen sie den steigenden Strombedarf decken.
Dabei galt die Atomkraft lange Zeit als Auslaufmodell. Auslöser war die Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima am 11. März 2011. Diese führte dazu, dass der Bundestag auf Antrag von Union und FDP für den Ausstieg aus der Atomenergie stimmte. Zwölf Jahre später war es dann soweit: Am 15. April 2023 wurden die letzten drei noch laufenden AKW in Deutschland abgeschaltet.
Wie stehen die Parteien zum Thema Atomenergie?
Könnte es auch in Deutschland zu einem Comeback der Atomkraft kommen? Das muss auf politischer Ebene entschieden werden. Entsprechend positionieren sich die Parteien auch im aktuellen Bundestagswahlkampf. Was zum Thema Atomenergie in den Wahlprogrammen steht:
SPD: Für die SPD kommt eine Rückkehr zur Atomkraft nicht in Frage. "Die Atomkraft in Deutschland ist stillgelegt und das ist gut so", heißt es im Wahlprogramm. Die Partei möchte nun ein geeignetes und sicheres Endlager für die radioaktiven Stoffe suchen und bereitstellen.
CDU/CSU: Für die Union ist die Kernenergie laut Wahlprogramm eine "Option", man setze auf "Forschung zu Kernenergie der vierten und fünften Generation". Die Union will zudem prüfen, ob der Betrieb der zuletzt abgeschalteten AKW wiederaufgenommen werden kann, sollte das "unter vertretbarem technischem und finanziellem Aufwand noch möglich" sein.
Grüne: Für die Grünen ist die Atomkraft eine "Hochrisikotechnologie". Eine Rückkehr sei "keine Option" und "weder für das Erreichen der Klimaziele noch für die Versorgungssicherheit notwendig".
FDP: Die FDP will die Nutzung "sicherer Kernkraftwerke" ermöglichen. AKW der "neuen Generation" sollen gebaut werden können. Zudem will die FDP es den Betreibern der abgeschalteten AKW rechtlich ermöglichen, diese wieder in Betrieb zu nehmen.
AfD: Die AfD will "neue, dringend benötigte Kernforschungszentren und Kernkraftwerke schaffen". Was mit den abgeschalteten AKW passieren soll, wird im Wahlprogramm nicht erwähnt.
Linke: Die Linke will den Ausstieg aus der Atomkraft im Grundgesetz festschreiben. Die Langzeitkosten der AKW sollen die Energiekonzerne tragen.
BSW: Das BSW lehnt einen Neubau "konventioneller Atomkraftwerke" ab. Es gebe jedoch "technologisch vielversprechende Ansätze im Bereich der Kernfusion". Diese sollten erforscht und entwickelt werden.
Was kostet Atomstrom?
Eine eindeutige Antwort ist nicht möglich, da die Atomkraft immense Folgekosten nach sich zieht - für den Transport von Brennstäben und deren Endlagerung zum Beispiel. Diese sind nicht direkt in der Stromrechnung mitinbegriffen. Letztendlich müssen Verbraucherinnen und Verbraucher aber dennoch dafür aufkommen, und zwar indirekt durch Steuern, Abgaben und Subventionen.
Selbst wenn man die Folgekosten nicht berücksichtigt, ist Atomstrom laut Berechnungen der US-Investmentbank Lazard mit 18 Cent pro Kilowattstunde die teuerste Form der Stromerzeugung. Wenn man die Folgekosten miteinbezieht, wie das etwa das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft in einer Studie im Auftrag von Greenpeace gemacht hat, kommt man sogar auf bis zu 39 Cent pro Kilowattstunde.
![Das Atomkraftwerk Emsland in Lingen | Bildquelle: IMAGO/Detlef Heese Das Atomkraftwerk Emsland in Lingen](/nachrichten/atomkraftwerk-atommuell-106~_v-ARDAustauschformat.jpg)
Atomstrom: Teuer in der Produktion
Eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Solarenergie hat die sogenannten Stromgestehungskosten verschiedener Energiearten verglichen. Dabei wird die gesamte Strommenge, die während des Betriebs einer Anlage erzeugt wird, ins Verhältnis zu den Kosten für Bau und Betrieb der Anlage gesetzt. Hier schneidet die Atomkraft am schlechtesten ab: Die Kosten bewegten sich zwischen 13,6 und 49 Cent pro Kilowattstunde und seien damit deutlich höher als bei Solar- und Windenergie, die im Schnitt unter 10 Cent pro Kilowattstunde lägen. Dazu kommt: In dieser Studie sind die Folgekosten der Atomkraft noch nicht einmal eingepreist.
Dass Atomkraft derzeit die teuerste Art ist, Strom zu erzeugen - darüber herrscht wissenschaftlich breiter Konsens. Und das belegen auch aktuelle Zahlen über explodierende Kosten beim Neubau von Atomkraftwerken wie etwa in Hinkley Point (Großbritannien) oder im französischen Flamanville. Der Bau des AKW Flamanville in der Normandie sollte ursprünglich fünf Jahre dauern und 3,3 Millarden Euro kosten. Letztendlich habe es 17 Jahre gedauert und 23,7 Milliarden Euro gekostet, berichtet die Tageszeitung "Le Monde". Auch der französische Rechnungshof bemängelte Mitte Januar zusätzliche Baukosten, Verzögerungen und Unsicherheiten und stellte generell die Rentabilität von Atomkraftwerken in Frage.
Dennoch müssen diese hohen Kosten nicht zwangsläufig beim Verbraucher ankommen. In Frankreich ist der Strompreis dauerhaft gedeckelt, der Energiekonzern EDF (Électricité de France) ist in staatlicher Hand. Nicht zuletzt wegen dieser Zuschüsse ist EDF hoch verschuldet; 2024 waren es knapp 50 Milliarden Euro. Ein ähnliches Szenario ist in Deutschland derzeit schwer vorstellbar.
Welche Folgen hätte eine Rückkehr zur Atomkraft?
Durch den jahrzehntelangen Betrieb der AKW sind in Deutschland 27.000 Kubikmeter hochradioaktiver Abfall angefallen. Sie sind in mehreren Zwischenlagern untergebracht, darunter Ahaus und Jülich in NRW. Schon für diesen Müll gibt es derzeit kein Endlager, die Suche läuft seit Jahrzehnten ohne Erfolg. Dazu käme der zusätzliche Müll, der bei einer Rückkehr zur Atomkraft entstehen würde.
![Atommüll Zwischenlager Ahaus | Bildquelle: WDR / dpa / Guido Kirchner Atommüll Zwischenlager Ahaus](/nachrichten/atomkraftwerk-atommuell-102~_v-ARDAustauschformat.jpg)
Endlager: Jahrzehntelange Suche
Wann die ersten Castor-Behälter mit hochradioaktiven Abfällen endgelagert werden können, ist unklar. Die Bundesgesellschaft für Endlagerung will Ende 2027 Regionen vorschlagen, die für einen Endlager-Standort erkundet werden sollen. Bis das Endlager dann betrieben werden kann, dürfte es noch mehrere Jahrzehnte dauern.
Nicht nur das Entsorgungsproblem spielt eine Rolle, auch die Beschaffung des für Atomkraft nötigen Urans ist politisch heikel. Laut der EU-Behörde Euratom stammten 2023 knapp 45 Prozent des importierten Urans aus Russland und Kasachstan. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine gibt es zwar Wirtschaftssanktionen der EU gegen Russland. Diese beziehen sich aber nicht auf atomare Brennelemente, die friedlich genutzt werden. Entsprechend läuft der Handel mit Russland und seinem Verbündeten Kasachstan ungestört weiter.
Sollte Deutschland zur Atomkraft zurückkehren, würde das also auch Putins Kriegskasse weiter füllen - und Deutschlands Energieversorgung wieder abhängiger von Russland machen, nachdem man sich gerade erst mühsam und teuer von russischem Öl und Gas verabschiedet hatte.
Unsere Quellen:
- Nachrichtenagenturen dpa, AFP
- Parteiprogramme von SPD, Union, Grünen, FDP, AfD, Linke und BSW
- Der Spiegel
- Le Monde
- Bundesgesellschaft für Endlagerung
- Euratom
- Fraunhofer Institut für Solarenergie
- Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft
- World Nuclear Industry Status Report
- Internationale Energie Agentur