Ukraine unter Druck: Ist die Aufrüstung in Europa alternativlos?

Stand: 06.03.2025, 18:46 Uhr

Zwischen Trump und Putin: Europa will aufrüsten und der Ukraine helfen. Doch ist "Frieden schaffen mit Waffen" alternativlos?

Die EU-Staaten treffen sich am Donnerstag in Brüssel zu einem Verteidigungsgipfel. Es geht um die Unterstützung der Ukraine und um den Milliarden-Plan der EU-Kommission zur Aufrüstung. Der Hintergrund: Die USA mit Präsident Donald Trump haben die Ukraine-Hilfen ausgesetzt - keine Militärunterstützung, keine Geheimdienstinformationen. Das europäische Ziel heißt deshalb "Frieden durch Stärke" aus eigener Kraft.

Das ist auch die offizielle deutsche Position: Der noch amtierende Kanzler Olaf Scholz (SPD) hat sich schon mit seinem wahrscheinlichen Nachfolger Friedrich Merz (CDU) abgesprochen. Dessen Formel dafür lautet "Whatever it takes". Dafür soll auch die Schuldenbremse reformiert werden.

Im Zeitalter der Aufrüstung angekommen?

Die Zeitenwende, die Scholz nach dem russischen Angriff auf die Ukraine vor drei Jahren ausgerufen hat, wird damit immer drastischer. Es scheint so, als sei Europa definitiv im Zeitalter der Aufrüstung angekommen: In Frankreich erwägt Präsident Emmanuel Macron den sogenannten Schutzschirm französischer Atomwaffen auf europäische Partner auszuweiten. In Deutschland wird über die Rückkehr zur Wehrpflicht diskutiert.

Michael Gahler, CDU-Abgeordneter im EU-Parlament, verwies am Donnerstag im WDR auf die Dringlichkeit: "Wir hätten eigentlich schon nach 2014, nach der russischen Besetzung der Krim und dem NATO-Beschluss, zwei Prozent Verteidigungsausgaben zu haben, systematisch aufrüsten müssen." Das habe sich nun geändert: "Jetzt ist sowohl die europäische als auch die deutsche Ebene aufgewacht."

Mulmiges Gefühl bei Menschen in NRW

Was ist von diesen massiven Aufrüstungsplänen zu halten? "Ich finde das gerade sehr schwierig zu entscheiden, was richtig und was falsch ist", sagte eine Passantin bei einer WDR-Straßenumfrage in Witten am Donnerstag: "Ich möchte natürlich auch nicht in einem Kriegsland leben, das heißt, man möchte sich verteidigen. Aber eigentlich möchte ich gar nicht in die Situation kommen, dass wir uns verteidigen müssen."

Das Unbehagen an der gegenwärtigen Weltlage deckt sich mit den Stimmen, die am WDR-Thementag "Krieg und Frieden" vor der Bundestagswahl in NRW eingeholt worden sind. Damals sagte Ingrid aus Lindlar angesichts deutscher Waffenlieferungen an die Ukraine: "Ich habe Angst, dass wir noch mehr in Kriegshandlungen hineingezogen werden." Die Mutter der 67-Jährigen hatte den Zweiten Weltkrieg in Engelskirchen erlebt, wo zahlreiche Fliegerbomben niedergingen.

Tobias aus Neuss meinte hingegen, der "Verbrecher Putin" verstehe nur "die Sprache des Stärkeren": "Die NATO und der Westen hätten schon von Anfang an alles geben sollen." Der 39-Jährige ist mit einer gebürtigen Ukrainerin verheiratet und betonte: "Wenn wir jetzt nichts tun, geht das nach hinten los."

Friedensforscherin: "Bedrohungsanalyse fehlt"

Friedensforscherin Corinna Hauswedell | Bildquelle: picture alliance/SZ Photo/Metodi Popow

Gibt es also keine Alternative zur Aufrüstung? Doch, findet die Friedens- und Konfliktforscherin Corinna Hauswedell. Sie kritisierte am Donnerstag im WDR, dass beim EU-Sondergipfel in Brüssel über 800 Milliarden Euro gesprochen wird, ohne dass es eine Analyse der Bedrohungslage gebe. Das hält Hauswedell aus friedenswissenschaftlicher Sicht für "ausgesprochen unseriös und auch risikoreich".

Zu einer Bedrohungsanalyse gehöre der Vergleich vorhandener Rüstungspotenziale: "Die sehe ich im Augenblick in der offiziellen Politik nicht." Hauswedell verwies auf eine Untersuchung der Friedensforscher Herbert Wulf und Christopher Steinmetz, die kürzlich im Auftrag von Greenpeace erstellt wurde. Das Ergebnis der Studie: Die NATO ist Russland finanziell überlegen - auch ohne die USA.

Studie: Keine Rüstungsdominanz Russlands

Die Rüstungsausgaben Russlands liegen laut Hauswedell zwischen 300 bis 350 Milliarden US-Dollar. Bei den NATO-Staaten ohne die USA seien es hingegen etwa 430 Milliarden US-Dollar. Die Greenpeace-Studie komme deshalb zum Schluss, dass Aufrüstung Geldverschwendung sei: "800 Milliarden Euro sind kein strategisches Sicherheitskonzept."

Ein strategisches Konzept bedeute vor allem diplomatische Anstrengungen, so Hauswedell: "Das erwarte ich von der EU." Man müsse darüber sprechen, was das konkrete Ziel der großen Summen sei.

Friedensforscherin zu EU-Aufrüstungspläne: "Geldverschwendung" WDR 5 Morgenecho - Interview 06.03.2025 12:49 Min. Verfügbar bis 05.03.2026 WDR 5

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Lehren aus dem Kalten Krieg

Friedensprozesse, so Hauswedell, wie sie "jetzt dringend nötig" auch in der Ukraine gebraucht würden, kämen nur zustande, wenn die Zusammenarbeit von Staaten auf eine andere Basis gestellt werde: "Das finde ich weder naiv noch harmlos, sondern das ist leider eine der großen Lehren aus dem Kalten Krieg."

Damals, als sich der Osten und der Westen mit riesigen Atomwaffenarsenalen gegenüberstanden, gab es die Forderung der Friedensbewegung: "Frieden schaffen ohne Waffen". Heute stellt sich die Frage: "Frieden schaffen mit Waffen"?

Unsere Quellen:

  • Interview mit Konfliktforscherin Corinna Hauswedell im WDR 5 Morgenecho
  • Interview mit Michael Gahler (CDU) im WDR 5 Morgenecho
  • Gespräche bei einer WDR-Straßenumfrage in Witten
  • WDR-Thementag "Krieg und Frieden"
  • tagesschau.de
  • Greenpeace-Studie zum Kräftevergleich zwischen NATO und Russland