Russisches Propagandanetzwerk enttarnt? 03:06 Min. Verfügbar bis 28.03.2026

Bettwanzen-Hysterie in Paris: Desinformation aus Russland?

Stand: 28.03.2024, 21:01 Uhr

Über Ostern nach Paris? Wer denkt da jetzt nicht sofort: Bettwanzen! Es war das unschöne Sommer-Thema 2023. Inzwischen verdächtigt die französische Regierung Russland, die Hysterie in den sozialen Netzwerken absichtlich geschürt zu haben.

In Frankreich waren Bettwanzen im vergangenen Sommer ganz plötzlich ein Riesen-Thema: Überall in Paris seien sie gesichtet worden, hieß es - in Hotels, Schulen, in Kinos und U-Bahnen. Einschlägige Fotos und sogar Videos der Parasiten in den sozialen Medien schienen die Plage zu belegen.

Das Problem wurde zum Thema im französischen Parlament, die Regierung berief eine Krisensitzung ein. Denn immerhin ist Paris im kommenden Sommer Gastgeber der Olympischen Spiele - und rechnet mit hunderttausenden Gästen. Viele Hotels engagierten Schädlingsbekämpfer mit speziell trainierten Hunden. Klassenräume und Kinosäle wurden geräumt und vorsorglich gesäubert. Vom französischen Verkehrsministerium angeordnete Untersuchungen der Metro-Bahnen ergaben allerdings: Keine Spur von Bettwanzen.

Da hatten aber auch in Deutschland schon zahlreiche Medien das Thema aufgegriffen: Wie schütze ich mich bei einem Paris-Besuch vor Bettwanzen? Kann man überhaupt noch nach Paris fahren? Auch der WDR berichtete mehrfach.

Die WDR-Wissenschaftsredaktion von Quarks stellte bereits im November fest, dass es weder amtliche Zahlen für Frankreich noch aktuelle Zahlen für Deutschland gibt - und dass Fake-Videos im Umlauf sind. Auch die bestätigten Fälle in französischen Bahnen fehlten.

Ukrainische Flüchtlinge sollen Schuld sein?

Ein halbes Jahr später scheint klar: Das Pariser Bettwanzen-Problem ist wohl weniger ein Fall für den Kammerjäger als vielmehr ein handfestes Politikum. Russland soll den Hype im vergangenen Sommer mit angefacht haben - das sagt die französische Regierung. Seit Beginn des Ukraine-Kriegs hätten russische Destabilisierungsversuche in Frankreich zugenommen, so der französische Europaminister Jean-Noël Barrot Anfang März - mit dem Ziel, die öffentliche Unterstützung für die Ukraine zu untergraben.

In sozialen Netzwerken, so Barrot, sei nämlich verbreitet worden, dass die vermeintliche Bettwanzenplage vor allem mit der Ankunft ukrainischer Flüchtlinge in Frankreich zusammenhänge. Das Thema sei "in den Onlinediensten aufgeblasen worden durch Konten, die mit Russland in Verbindung stehen", so Barrot.

Verfassungsschutz zu Desinformation aus Russland

Belege für seine Behauptung, dass die Bettwanzen-Geschichte wirklich von Russland aus lanciert wurde, hat Barrot bislang nicht kommuniziert. Dennoch: Experten sehen gezielte Desinformation schon seit Längerem als Teil der hybriden Kriegsführung Russlands. So heißt es im jüngsten Verfassungsschutzbericht, russische Cyberakteure nutzten auch Cyberangriffe, "um Desinformation und Propaganda zu verbreiten, oder unterstützen damit Desinformationskampagnen". Ziel sei es, "politische und gesellschaftliche Spannungen zu verstärken oder das Vertrauen in staatliche Stellen zu unterminieren. Letztlich sollen so russische Interessen durchgesetzt und die westliche Unterstützung für die Ukraine geschwächt werden."

Im Januar war bekannt geworden, dass das deutsche Außenministerium eine großflächige russische Desinformationskampagne auf X aufgedeckt hatte. Mehr als 50.000 gefälschte Nutzerkonten mit mehr als einer Million Tweets sollten demnach Stimmung gegen die deutsche Regierung und deren Unterstützung für die Ukraine machen.

Russisches Propagandanetzwerk mit Kontakten ins EU-Parlament

Doch es geht wohl nicht nur darum Stimmung zu machen, sondern auch darum, europäische Politiker gezielt zu beeinflussen. Die pro-russische Seite "Voice of Euope" soll beispielsweise Kontakte quer durch Europa - bis ins EU-Parlament gepflegt haben. Aus diesem Grund wurde das Portal mit Sitz in Prag von der tschechischen Regierung jetzt auf die Sanktionsliste gesetzt. Laut Nachrichtendiensten soll sogar russisches Geld an europäische Politiker geflossen sein. "Insgesamt spricht man von mehreren Hunderttausend Euro", sagt Martin Knobbe von "Der Spiegel" im WDR-Interview, der sich mit der Story intensiv befasst hat. Auch nach Deutschland soll Geld transferiert worden sein.

Dieses Vorgehen der gezielten Desinformation vonseiten Russlands, um europäische Politiker gegen die Ukraine aufzubringen, ist nicht neu. Demian von Osten, ehemaliger ARD-Korrespondent in Russland, sieht im Hinblick auf die Landtagswahlen im Herbst vor allem Deutschland als Angriffsziel. "Wenn man es schaffen kann, dort Putin-freundliche Parteien in die Parlamente zu bringen, dann wäre das sehr im Sinne Russlands", so von Osten. Es "würde Russland helfen, den Krieg in der Ukraine vielleicht irgendwann zu gewinnen."

Papst im Daunenmantel und Biden-Video

Besonders leicht scheinen Desinformationskampagnen aber in den sozialen Netzwerken zu funktionieren - das zeigt die folgenreiche Hysterie um die Bettwanzen in Paris. Auch ein Foto vom Papst im modischen weißen Daunenmantel ging viral, oder das Video, in dem US-Präsident Joe Biden dazu aufruft, nicht zur Wahl zu gehen.

In verdeckten Kampagnen würden zehntausende gefälschte, russische Accounts zum Beispiel auf X gezielte Falschinformationen verbreiten, sagt Desinformations-Expertin Julia Smirnova von der Londoner Denkfabrik ISD im WDR Interview. Seit Beginn des Ukraine-Kriegs sei eine deutliche Zunahme zu beobachten. Allen gemeinsam sei ein Narrativ, das die Ukraine als Gefahr für den Westen darstelle. Aktuell hätten beispielsweise viele Posts Inhalte, die die russische Behauptung unterstützen, die Ukraine stecke hinter dem tödlichen Anschlag auf die Moskauer Konzerthalle.

Um die westliche Demokratie zu destabilisieren, würden zum Beispiel auch westliche Medien diskreditiert. Was unter anderem häufig zu einer Flut von botgesteuerten Kommentaren unter Beiträgen in den öffentlich-rechtlichen Sendern führe, so Smirnova.

Europawahlen im Fokus

Auch angesichts der anstehenden Europawahlen könnten solche Trolle gerade sehr produktiv sein - nicht nur in Frankreich. Die EU Kommission hat daher am Dienstag Leitlinien für die Bekämpfung von politischen Falschinformationen vorgestellt: Anbieter wie TikTok, Instagram und andere sollen mit Künstlicher Intelligenz erzeugte Inhalte deutlich kennzeichnen. Sie sollen verhindern, dass sich Falschinformationen oder Deep Fakes rasend schnell verbreiten.

Wie die Verbreitung bisher so gut funktioniert, erklärt Cathleen Berger, Digitalexpertin bei der Bertelsmann-Stiftung: Per Automatisierung werden Posts, die in kurzer Zeit viele Male geklickt werden, Usern ungefragt in den Feed gespült. Nach Willen der EU sollen Plattformanbieter diese Automatisierung nun so anpassen, dass solche Posts erstmal verlangsamt, anstatt noch weiter angefeuert werden, "um da die Viralität herauszunehmen". Möglich sei das über bestimmte Filter-Algorithmen, so Berger.

Wie kann man selber Desinformation im Netz erkennen?

Dem einzelnen User empfiehlt Julia Smirnova, bei fraglichen Posts nach der Quelle zu suchen, "zu überprüfen, woher die Nachrichten kommen, ob das wirklich der Account einer Zeitung oder einem Fernsehsender ist - oder ob es wie eine Fälschung aussieht". Am besten gehe man dann direkt auf die Startseiten der entsprechenden Medien, um dort nach dem Ursprung der Meldung zu suchen. Vorsicht geboten sei auch bei Links, die über Plattformen wie Whatsapp verbreitet werden. "Immer schauen, wie die URL aussieht."

Bots zu erkennen, werde - auch durch KI - "zunehmend schwierig", sagt Nadine Eikenbusch von der Landesanstalt für Medien NRW. Sie empfiehlt, Quellen und die Intention von Inhalten zu überprüfen: Wer hat es veröffentlicht, was soll das Video auslösen? Wenn ein Text sehr emotional formuliert ist, lohne es sich, genauer hinzuschauen.

Bettwanzen - leichte Zunahme

Und was ist jetzt mit den Bettwanzen? Dass die Verbreitung dieser Parasiten in Frankreich tatsächlich zugenommen hat, räumten die Pariser Behörden ein. Wie übrigens auch in Deutschland. Zwar gibt es keine genauen Zahlen dazu - Schädlingsbekämper melden aber eine leichte Zunahme der Bettwanzen-Fälle. Was trotzdem wohl alles in keinem Verhältnis zu der Hysterie steht, die im Sommer in der französischen Hauptstadt unter Bewohnern und Touristen ausgebrochen war.

Über dieses Thema hat der WDR unter anderem im WDR 5 Morgenecho am 26. März 2024 und am 27. März 2024 berichtet.

Unsere Quellen:

  • WDR-Interview mit Cathleen Berger, Digitalexpertin bei der Bertelsmann-Stiftung
  • WDR-Interview mit Desinformations-Expertin Julia Smirnova von der Londoner Denkfabrik ISD
  • WDR-Interview mit Nadine Eikenbusch von der Landesanstalt für Medien NRW
  • Verfassungsschutzbericht 2022
  • Quarks.de bei Instagram
  • Nachrichtenagentur DPA