Auch dieses Jahr feiern in den Wochen nach Ostern zahlreiche katholische Kinder in NRW ihre Erstkommunion. Deutschlandweit gab es im vorvergangenen Jahr mehr als 150.000 Kommunionkinder. Viele legen vorher ihre erste Beichte ab - ein Ritual, an dem im Zuge des Missbrauchsskandals nun scharfe Kritik laut wird.
Kritik an Beichte stützt sich auf Studie zu sexueller Gewalt
Die Kritik kommt von Professor Harald Dreßing, forensischer Psychiater in Mannheim. Er leitete die umfangreiche MHG-Studie, die sexualisierte Gewalt von Priestern und Diakonen in den deutschen Diözesen untersucht hat. Grundlage waren insbesondere Gespräche mit Betroffenen und Beschuldigten sowie zahlreiche Strafakten.
"Da war aus allen Quellen ersichtlich, dass der Beichtstuhl einerseits ein Ort des sexuellen Missbrauchs war", sagte Dreßing am Donnerstag dem WDR.
Andererseits sei der Beichtstuhl auch "ein Ort, wo sexueller Missbrauch angebahnt wurde", so Dreßing weiter. Bedeutet: Priester hätten die Beichte ausgenutzt, um zu erfahren, ob ein Kind für einen sexuellen Missbrauch infrage komme - zum Beispiel weil es schutzsuchend sei, zu Hause Probleme habe und sonst niemanden kenne, dem es sich anvertrauen könne.
Dreßing: Kinderbeichte grundsätzlich nicht sinnvoll
Aber auch unabhängig von den Fällen der sexuellen Gewalt sei eine Beichte von jüngeren Kindern kritisch zu sehen, meint Dreßing. Denn die Kinderbeichte sei aus entwicklungspsychologischer Sicht nicht sinnvoll.
Kinder könnten im Alter der Erstkommunion - also etwa mit neun Jahren - die Themen Schuld, Sünde und Vergebung noch gar nicht erfassen, sagte Dreßing. Das setze erst mit etwa 14 Jahren ein. So werde die Beichte entweder zum inhaltslosen Ritual - oder schüre Ängste.
Stadtdechant: Kinderbeichte keine Pflicht mehr
Niemand werde vor der Erstkommunion zur Beichte gezwungen, entgegnet der Düsseldorfer Stadtdechant Frank Heidkamp. Früher sei das anders gewesen, sagte er am Donnerstag dem WDR. Doch heute gelte:
In seiner Gemeinde finde die Beichte vor der Erstkommunion auch nicht im Beichtstuhl statt, sondern im Altarraum, also "ganz öffentlich - natürlich mit dem Siegel der Verschwiegenheit" zwischen ihm und dem Kind, so Heidkamp.
Was die Kinder ihm dort beichten? "Es sind Probleme, die Kinder mit ihren Eltern haben, im Umgang mit Klassenkameraden, im Umgang mit Schöpfung", sagte Heidkamp. "Da sind Kinder auch in diesem Alter schon sehr sensibel."
Heidkamp: Viele Kinder fühlen sich nach Beichte befreit
Zur entwickungspsychologischen Einschätzung von Professor Dreßing könne er nichts sagen. Er selbst mache jedoch die Erfahrung, "dass viele Kinder schon ein Gewissen haben", also "entscheiden können: Was war richtig? Was war falsch? Und das auch loswerden wollen und sich nach einer Beichte dadurch auch befreit empfinden."
Es gehe bei der Beichte auch stets darum, über seine Beziehung mit Gott nachzudenken. Es gehe darum, nach Wegen zu suchen, wie man Probleme des Alltags im Sinne Gottes regeln könne. Und das sei auch mit Kindern möglich.
Die Sorge, dass es - unter anderem während und durch die Beichte - zu sexueller Gewalt von Geistlichen an Kindern kommen könnte, nimmt die katholische Kirche heute weitaus ernster als früher. In den Bistümern gibt es Präventionsarbeit und Schutzkonzepte. Für all die Menschen, die vor Jahrzehnten als Kinder in der Kirche sexuelle Gewalt erlebten, kommen diese Maßnahmen zu spät.