Als Franz Kafka vor 100 Jahren, am 3. Juni 1924, in einem Sanatorium bei Wien starb, war er vom Weltruhm noch weit entfernt. Der Grund dafür ist einfach: Der erst 40-Jährige hatte viel zu wenig veröffentlicht, um sich in der literarischen Welt einen Namen zu machen.
Das hat sich gründlich geändert: Zu seinem Todestag wird der Autor in Kinofilmen und Fernsehserien gefeiert. In seiner Heimat Prag wandeln unzählige Touristen täglich auf den Spuren des berühmtesten Sohns der Stadt. Und auf TikTok erklärt eine stetig wachsende Fangemeinde in unzähligen Videos, warum Kafka für sie einfach der Größte ist.
Warum hat Kafka auf TikTok so viele Fans?
Auf TikTok wird längst nicht mehr nur getanzt. Das soziale Netzwerk hat sich inzwischen auch zu einer großen Plattform für junge Leser entwickelt, die sich unter dem Hashtag #BookTok über Literatur austauschen. Tausende Videos beschäftigen sich auch mit Kafka - vielleicht, weil sein Werk so gut die Entfremdung beschreibt, die im digitalen Zeitalter für viele allgegenwärtig ist.
Viele Videos beziehen sich auch auf "Briefe an Milena". Frauen vergleichen darin die wunderschönen Liebesbriefe, die Kafka über Jahre an eine unglückliche Liebe schrieb, mit den kargen Textnachrichten, die sie selbst von ihren Dates bekommen. So hat es Franz Kafka 100 Jahre nach seinem Tod geschafft, zum idealen Liebhaber der Generation TikTok zu werden.
Spielt er noch eine Rolle im Deutschunterricht?
Nicht unbedingt. Während kaum ein Abiturient um die Lektüre von "Faust I" von Johann Wolfgang von Goethe herumkommt, gehören Kafkas Werke nicht in jedem Jahr zur Pflichtlektüre an Gymnasien, Real- und Gesamtschulen. Trotzdem lassen sich nur wenige Deutschlehrer die Gelegenheit entgehen, mit ihren Schülern zumindest "Die Verwandlung" zu lesen. Auch weil es sich um einen relativ kurzen Text handelt und er damit wie geschaffen für den Unterricht ist. Und natürlich wegen seiner literarischen Qualität und seinem Unterhaltungswert.
Und was sollte man gelesen haben?
Literaturfreaks würden wahrscheinlich sagen: alles! Tatsächlich ist Kafkas Werk im Vergleich zu anderen Autoren der Weltliteratur überschaubar. Es gibt nur drei unvollendete Romane, dafür zahlreiche, meist recht kurze Erzählungen.
Zu seinen bekanntesten Werken gehört "Die Verwandlung" mit einem der berühmtesten ersten Sätze der Literaturgeschichte: "Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt."
Auch das Romanfragment "Der Prozess" ist inzwischen eines der bekanntesten literarischen Werke des 20. Jahrhunderts. Die Handlung dreht sich um den Bankangestellten Josef K., der aus unbekannten Gründen verhaftet wird. Sein Prozess zieht sich über ein ganzes Jahr und führt schließlich zu seiner Hinrichtung. Bis zum Schluss wissen weder Josef K. noch die Leser, welches Verbrechen ihm überhaupt vorgeworfen wurde.
Was genau heißt "kafkaesk"?
Der Begriff kam in den fünfziger Jahren in Mode. Er bezeichnete ursprünglich alptraumhafte Situationen, in denen der Einzelne völlig willkürlichen, meist bürokratischen, jedoch nur scheinbar rationalen Prozeduren ausgeliefert ist. Der Begriff bezieht sich dabei vor allem auf das Schicksal von Josef K. in "Der Prozess".
Inzwischen wird der Begriff auch häufig als Synonym für "absurd" genutzt - das geht an der eigentlichen Bedeutung aber vorbei.
Wollte Kafka wirklich, dass sein Werk nach seinem Tod vernichtet wird?
Kafka hatte seinen Freund Max Brod dazu aufgefordert, nach seinem Tod alle erreichbaren Manuskripte, Tagebücher und Briefe zu vernichten. Er wollte so verhindern, dass private Aufzeichnungen in fremde Hände gelangen. Außerdem widerstrebte es ihm, dass seine unvollendeten Werke an die Öffentlichkeit gelangen.
Bekanntlich erfüllte Brod den Wunsch seines Freundes nicht - und rettete so einen wahren Schatz der Weltliteratur.
War Kafka depressiv?
Generationen von Germanisten haben sich daran abgearbeitet, die in Kafkas Werken geschilderten Erfahrungen von Isolation und Ich-Zerfall mit der Psychologie des Autors in Verbindung zu bringen. Tatsächlich waren die Lebensumstände des Autors ziemlich schwierig.
Seinen Lebensunterhalt verdiente er als Angestellter einer Versicherung, was seine literarische Arbeit stark einschränkte. Er wohnte bis weit über das 30. Lebensjahr bei seinen Eltern, obwohl er seinen Vater als Tyrannen betrachtete. Trotz einiger Liebschaften schaffte er es nie, zu einer von ihnen eine dauerhafte Beziehung aufzubauen.
"Er war nicht so depressiv, wie er heute gesehen wird, aber Frohnatur kann man ihn nicht nennen", erklärte sein Freund Max Brod einmal in einem Interview.
Quellen
- Deutsche Presse Agentur
- Autorenseite beim S. Fischer Verlag
- Deutschlandfunk Kultur
- Goethe Institut
- TikTok
Über dieses Thema berichtet der WDR auch im Fernsehen am 03.06.2024 um 18.45 Uhr in der "Aktuellen Stunde".