Wenn Paul von der Schule nach Hause kommt, spielt er am Computer "erst mal bisschen Fifa", wie er sagt, "zum Herunterkommen und so". Mittlerweile opfert der Elftklässler nur noch seine Zeit dafür, früher war es auch sein Erspartes. Rund 1.000 Euro verzockte er, indem er innerhalb des Spiels viele kleine Käufe tätigte - und zwar für sogenannte Lootboxen.
Wie süchtig machen Lootboxen?
Lootboxen sind kleine Wundertüten. Das Problem daran: Es gibt sie in zahlreichen Computer-Games, die auch Kinder und Jugendliche spielen. Dabei stehen sie im Verdacht, Glücksspiel zu sein und süchtig zu machen.
Loot, das bedeutet im Englischen Beute. Eine Lootbox funktioniert so: In einem Computerspiel öffnet man eine digitale Schatzkiste. Von dieser erhofft man sich zum Beispiel besonders gute Fußballspieler, mächtige Waffen oder irgendwelche Superhelden, die einem im Spiel gut voranbringen.
Häufig sind aber Nieten drin oder nicht das, was man sich erhofft. Und so ist die Versuchung groß, immer mehr zu kaufen. Schon mit wenigen Cent oder Euro ist man dabei. In der Summe kann das aber viel Geld sein.
"Hätte ich das gespart - ich hätte reisen können, ich hätte auf Konzerte gehen können, essen gehen mit Freunden", sagt Paul. Es gebe "so viel Besseres" als ein Computerspiel.
Suchttherapeut: Häufig Beginn einer Abwärtsspirale
Das Problem ist aber noch viel größer. Lootboxen seien häufig der Beginn einer Abwärtsspirale, sagt Sozial- und Suchttherapeut Christian Groß von der Bernhard-Salzmann-Klinik in Gütersloh in einer ARD-Dokumentation zu Lootboxen, die in der ARD-Mediathek zu sehen ist.
"Wenn es früh schon für mich eine gewisse Normalität ist, dass ich Geld für Spiele einsetze, dann werde ich eben auch später eher geneigt sein, Geld zum Beispiel für Glücksspiel oder für andere Aktivitäten in höherem Maße einzusetzen", sagt Groß.
Genau so erging es einem von Groß' Patienten. Es habe damit begonnen, dass er für ein Handy-Game weit mehr als 5.000 Euro ausgegeben habe, erzählt der Mann, der unbekannt bleiben möchte. Bald darauf verfiel er einer schweren Glücksspielsucht.
In Online-Casinos habe er mehr als 50.000 Euro verzockt. Lootboxen, auf die auch Kinder Jugendliche Zugriff haben, seien nicht anderes als das, meint er:
Könnten Lootboxen für Kinder und Jugendliche verboten werden?
Warum sind Lootboxen für Kinder und Jugendliche dann nicht verboten? Warum gibt es für das Fußball-Game "FC 24", das früher "FIFA" hieß, und viele andere Spiele nicht eine Altersbeschränkung, so wie es das Jugendschutzgesetz für Glücksspiele vorschreibt?
Weil eine Lootbox offiziell kein Glücksspiel sei, erklärt Professor Martin Maties, Leiter der Forschungsstelle eSport-Recht der Uni Augsburg, in der Doku. Um als Glückspiel zu gelten, sei dreierlei erforderlich:
- Geldeinsatz
- Zufallsfaktor
- Gewinnmöglichkeit
Bei Lootboxen gebe es offiziell aber keine Gewinnmöglichkeit, denn man könne kein reales Geld gewinnen, so Maties. So habe es die Rechtsprechung in Deutschland bislang immer gesehen.
Maties selbst sieht das aber anders. Denn Computerspieler könnten auf dem Schwarzmarkt im Internet ihre aus Lootboxen erworbenen Spieler, Waffen oder Helden für ein Vielfaches des Einsatzes verkaufen, argumentiert er.
Games-Hersteller lassen das nicht gelten. In ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen untersagen sie den Weiterverkauf von Lootbox-Inhalten. Somit sind Lootboxen auch weiterhin kein Glücksspiel.
Politik müsse handeln
Die Politik müsse handeln, fordert Therapeut Groß. Man müsse das Jugendschutzgesetz anpassen, sagt er. Denn solche Computerspiele "sind ein enormes Risiko", dass man "in Zukunft eine große Anzahl an jungen Menschen" mit einer Glücksspielsucht haben werde.
Hilfe für Spielsüchtige
Computerspielsüchtige und Angehörige sollten frühzeitig reagieren und Hilfe aufsuchen. Unter anderem an diesen Anzeichen erkenne man Computerspielsucht, so die Bundeszentrale für politische Aufklärung:
- Der Tagesablauf dreht sich nur um Computerspiele.
- Betroffene verlieren zunehmend die Kontrolle darüber, wie oft und wie lange sie spielen.
- Viele Jugendliche versuchen das Ausmaß ihres Spielverhaltens zu verheimlichen.
- Frühere Hobbys und Interessen treten immer mehr in den Hintergrund.
- Betroffene vernachlässigen oft die Körperhygiene, lassen soziale Beziehungen fallen und schwänzen die Schule.
- Betroffene zeigen Entzugserscheinungen wie Aggressivität und Unruhe.
Um das Problem anzugehen, sollten Eltern von computerspielsüchtigen Jugendlichen vor allem auf einfühlsame Gespräche setzen, rät die Bundeszentrale. Der Schlüssel zum Erfolg sei "Geduld, Einfühlsamkeit und Hartnäckigkeit". Unter anderem diese Selbsthilfemaßnahmen könne man ergreifen:
- Eltern sollten es ihrem Kind nicht erleichtern, weiterzuspielen, indem man ihm zum Beispiel Essen bringt und ihnen Aufgaben abnimmt.
- Man sollte gemeinsam Medienzeiten festlegen und die bisherigen Computerzeiten schrittweise reduzieren.
- Belohnungen, zum Beispiel fürs Einhalten der Medienzeiten, können das Kind motivieren. Die Art der Belohnung kann dabei gemeinsam vereinbart werden.
- Es ist gut, sein Kind dabei zu unterstützen, neue Hobbys und Freizeitbeschäftigungen zu finden.
- Eltern sollten gute Vorbilder sein und auch selbst auf ihre Mediennutzung achten.
Weitere Empfehlungen gibt die Bundeszentrale hier:
Die WDR-Dokumentation "Glücksspiel für Kinder? - Wie FIFA & Co an Kids verdienen" in der Reihe "Die Story" lief am 15.01.2024 im Ersten und ist noch in der ARD-Mediathek zu sehen.
Unsere Quellen:
- WDR-Doku "Glücksspiel für Kinder?"
- Landesfachstelle Glücksspielsucht NRW
- Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung