Bustour durch Israel: Betroffene erzählen
Aktuelle Stunde. 07.10.2023. UT. Verfügbar bis 07.10.2025. WDR. Von Astrid Houben.
Angriff auf Israel: "Wir sind unter Belagerung"
Stand: 09.10.2023, 18:12 Uhr
Die radikal islamische Hamas hat von Gaza aus einen überraschenden Großangriff mit tausenden Raketen gestartet, ihre Milizen haben die Grenze überschritten und Zivilisten getötet und entführt.
Im israelischen Fernsehen war zu sehen, wie bewaffnete Terroristen aus Gaza in israelische Ortschaften wie die 30.000-Einwohner-Stadt Sderot eindringen. Sderot liegt zwei Kilometer von der Grenze entfernt. Ein Video zeigt, wie Kämpfer auf einem Balkon stehen. Terroristen versuchen in Häuser einzudringen, an einer Bushaltestelle liegen Menschen erschossen auf dem Boden. Eine Frau berichtet voller Angst, wie sie mit Mann und Kind in ihrem Bunker auf Hilfe wartet.
"Unsere schlimmsten Befürchtungen sind wahr geworden", heißt es in einer Nachricht von Gal Naim, einem Anwohner von Sderot, an die ARD. "Terroristen, die uns töten wollen, laufen durch unsere Straßen. Es erinnert an die ISIS-Terroristen, die mit ihren Jeeps durch die Wüste im Irak und in Afghanistan gefahren sind. Sie sind vor meiner Tür. Wir sind unter Belagerung in unseren Häusern bei unseren Lieben. Wir hören Schüsse und Explosionen durch die Straßen hallen."
"Dies ist ein Krieg"
Brennende Autos in Sderot
"Israel im Krieg" titelt die Zeitung "The Jerusalem Post" am Samstag auf ihrer Internetseite und zitiert damit Premierminister Benjamin Netanyahu. Die radikal islamische Hamas, die von der EU, den USA und Israel als Terrororganisation eingestuft wird, hat Israel am Samstagmorgen massiv attackiert. Als Folge flog Israel Luftangriffe auf den Gazastreifen und bombardierte die Stadt.
Wie geht es den Menschen in Israel?
Erst vor wenigen Monaten war die Aktuelle Stunde mit ihrer 25. Bustour in Israel und im Westjordanland unterwegs. Auch im Sommer erlebte WDR-Reporter Christian Dassel dort auf den den Stationen seiner Reise schon Spannungen. Jetzt ist die Lage total eskaliert. Wie geht es den Menschen, die wir damals trafen, am Tag des Angriffs?
Israeli: "Extrem brutaler Angriff"
Der israelische Lehrer und Künstler Yaron Bob lebt in der Nähe des Gaza-Streifens. Im Sommer während der Bustour zeigte er noch alte Raketenteile, die er zu Kunstwerken umbaut. Dem WDR sagte er nun am Samstag, so etwas wie diesen brutalen Angriff habe er noch nie erlebt. Er sei sehr traurig. Es seien ja nicht nur die Raketen.
In engen Schutzräumen gefangen
Auf Anweisung der israelischen Behörden müssten sie in ihren engen und heißen Schutzräumen bleiben und die Türen geschlossen halten. Wer Waffen hat, solle sich vorbereiten. Nun warte man auf die israelische Armee. Yaron Bob wohnt zwei Kilometer von der Grenze zu Gaza. Er hört Maschinengewehr-Feuer, es herrsche Chaos, er lebe jetzt in einer Kriegszone. Die Anspannung ist ihm während des Gesprächs anzusehen.
Elektrizität gebe es nicht, auch der Strom für die Handys sei knapp. Natürlich wolle man erfahren, was gerade los sei. Man rufe Freunde an, um zu erfahren, ob alle ok sind. Dabei höre man sehr schlimme Geschichten und Gerüchte. Bob fürchtet, dass die Gewaltspirale noch Tage andauern werde.
Bestimmt gebt es auf beiden Seiten Menschen, die Frieden wollten. "Aber die radikal islamische Hamas, die Führung im Gaza-Streifen, hat die Verantwortung für die aktuelle Eskalation", so Yaron Bob. "Sie füllt die Menschen im Gaza mit Hass."
Palästinenser: "Kein Angriff, sondern Reaktion"
Taqi Spateen, ein palästinensischer Künstler aus Betlehem, sagt dem WDR am Samstag, er könne noch nicht richtig entscheiden, was er fühlen soll. Während der Bustour im Sommer sprach er vor allem über Kunst und deren Kraft in Kriegszeiten. Nun aber ist er schockiert.
"Armee sollte gegen Armee kämpfen"
Spateen macht die israelische Regierungen für die Eskalation der Gewalt verantwortlich und spricht nicht von einem Angriff, sondern von einer Reaktion auf den stetig steigenden Druck für das Leben der Palästinenser in den besetzten Gebieten. Er selbst habe Gewalt von Soldaten ohne Grund erlebt.
Der Künstler spricht nicht von "Terroristen", sondern von "Widerstandskämpfern". Er selbst wünsche sich Frieden mit seinen Nachbarn, aber die israelische Regierungen hätten Jahr für Jahr Raketen auf die Palästinenser geschossen, ein Frieden mit der politischen Führung von Israel könne er sich nicht vorstellen.
Der palästinensische Künstler Spateen ist gegen das Töten von Zivilisten. Er findet, dass Armee gegen Armee kämpfen sollte. Dennoch falle es ihm schwer, die Menschen in Gaza zu verurteilen. Diese würden sich für das Leid rächen, das ihnen lange selbst widerfahren sei, sagt er am Tag des Angriffs.
Der Israel- und Nahost-Experte Peter Lintl von der Stiftung Wissenschaft und Politik hingegen sagte dem WDR, dass Israel auf die aktuellen Angriffe reagieren müsse. Viele Menschen in Israel seien enttäuscht über die Reaktion der arabischen Staaten. Diese hätten sich zuletzt eher bedeckt gehalten und die Angriffe der Hamas nicht klar verurteilt.
Quellen:
- dpa
- Haaratz
- The Jerusalem Post
- Tagesschau
- Aktuelle Stunde
Über dieses Thema berichtete der WDR auch in der Aktuellen Stunde am 07.10.2023 um 18.45 Uhr.