Vor Kurzem war ich im Krankenhaus für eine kleine OP. Dabei wurde auch eine Gewebeprobe entnommen und zur Analyse ins Labor geschickt. Das braucht ein paar Tage. Als ich eine Woche später bei meiner Ärztin in der Praxis sitze, legt sie mir den Befund vor. Und ich mache große Augen: Nicht etwa wegen des Ergebnisses - alles unauffällig - sondern wegen der Tatsache, dass das Krankenhaus den Befund per Fax in die Praxis geschickt hat. Und meine Ärztin hat dieses Fax dann für die eigene Dokumentation eingescannt.
Schon im Vorhinein haben mich einige Vorgänge stutzig gemacht. Ultraschallbilder habe ich ausgedruckt von meiner Ärztin mitgenommen, um sie im Krankenhaus vorzulegen. Eine Einweisung auf Papier hatte ich auch mit dabei. Fragebögen zu vorherigen Behandlungen, Allergien, Medikamenteneinnahmen etc. musste ich dort handschriftlich ausfüllen. In meinem Kopf dabei die Frage: Warum der Papierkram? Ist das alles nicht irgendwo schon gespeichert - auf meiner Gesundheitskarte oder in einer digitalen Akte? Wie naiv von mir.
Ich war kein Notfall. Aber wäre ich als solcher bewusstlos ins Krankenhaus gekommen, wäre die Situation nicht anders gewesen. Die Ärztinnen und Ärzte hätten keine Infos darüber gehabt, ob ich Diabetikerin bin, ob ich gegen Narkosemittel eine Allergie habe, welche Medikamente ich so nehme. Sie müssten zunächst aufwendige Tests machen, meinen Hausarzt erreichen - und das alles, obwohl es vielleicht auf jede Minute ankommt. Ziemlich treffend als "Brieftaubenniveau" beschreibt der Intensiv- und Notfallmediziner Christian Karagiannidis den Ist-Zustand im deutschen Gesundheitswesen und fordert gemeinsam mit vielen Kolleginnen und Kollegen die schnelle Einführung einer elektronischen Patientenakte (ePA), damit sich "die Versorgung erheblich und auch nachhaltig verbessern wird."
Schon seit 2003 liegt das Vorhaben, die ePA einzuführen, auf dem Tisch. Anfang der 2000er waren bei tausenden Patienten, die ein Blutfettsenker-Mittel einnahmen, schwere Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten aufgetreten. Viele Patienten starben, weil ihre Ärzte nicht von der Einnahme anderer Medikamente wussten. Ulla Schmidt (SPD) hat als damalige Gesundheitsministerin daraufhin das Projekt auf den Weg gebracht. Und wo sind wir jetzt - 20 Jahre später, 20?! Anscheinend haben die vielen vermeidbaren Todesfälle nicht gereicht, um Tempo zu machen.
Seit 20 Jahren kein Vorankommen
Fünf Legislaturperioden weiter ist das Gesundheitsministerium wieder SPD-geführt. Und Karl Lauterbach verspricht jetzt den "Turbo-Schub" einzulegen. Denn die ePA gibt es zwar seit 2021, aber sie wird von nicht einmal einem Prozent der Krankenversicherten genutzt.
Erstens, weil kaum einer davon weiß und zweitens, weil man sich selbst darum kümmern muss, sie einzurichten. Das geht meist über eine spezielle App der jeweiligen Krankenkasse. Weil das kaum einer macht, will Lauterbach die ePA jetzt automatisch und verbindlich für alle einführen. Nur wer ausdrücklich der Speicherung von Patientendaten widerspricht, bekommt keine digitale Akte. Ich finde das sinnvoll und fair. Doch wie immer in Deutschland bei solchen Vorhaben: Das Wort Digitalisierung ist noch nicht ganz ausgesprochen, da melden die Datenschützer Bedenken an.
Wie mühsam und langwierig das Gezerre um digitale Lösungen und Datenschutz aussehen kann, habe ich vor Kurzem bei Recherchen zum E-Rezept erlebt, das eigentlich auch längst Standard sein sollte.
Realsatire. Das ist aber tatsächlich aktuell die einzige Form des E-Rezepts, die funktioniert, hat mir die Ärztin erklärt. Theoretisch soll der QR-Code in einer App zur Verfügung gestellt werden und der Patient geht damit in die Apotheke. Weil aber das Identifikationsverfahren in der App aufgrund von Datenschutzbestimmungen so kompliziert gestaltet wurde, nutzt das kein Mensch. Das E-Rezept gibt es also als Ausdruck in der Praxis. Kein Vorteil gegenüber dem rosa Zettel - sieht nur moderner aus.
Wie so oft: Datenschutz versus Digitalisierung
Natürlich haben die Datenschützer Recht, wenn sie eine hohe Sicherheit bei der Sammlung und Bereitstellung von Gesundheitsdaten verlangen. Natürlich dürfen wir nicht zu gläsernen Patienten werden. Und natürlich müssen wir selbst am Ende entscheiden können, welche sensiblen Infos von uns weitergeben werden. Und genau das soll bei der ePA der Fall sein. Ich als Patientin kann bestimmte Gesundheitsdaten für bestimmte Personenkreise freigeben oder sperren: Diagnosen, Behandlungen, Medikamentenpläne. Vielleicht will ich ja nicht, dass der Augenarzt von einer Depression weiß. Und trotzdem sehen einige Datenschützer die ePA kritisch und warnen davor, dass die Daten in kriminelle Hände geraten.
Man muss doch auch einfach mal sehen: Was wägen wir denn da gegeneinander ab? Wenn doch nachgewiesenermaßen Todesfälle oder schwere Krankheitsverläufe verhindert werden können durch digital verfügbare Patientendaten, sind dann theoretisch mögliche Hackerangriffe ein (sorry für die Wortwahl) Totschlagargument? Und wenn die Gefahr doch so groß ist, dass sensible Daten abgegriffen werden, dann frage ich mich: Warum klappt es denn in anderen europäischen Ländern?
Elektronische Patientenakten im Ausland längst Alltag
Estland hat seit fast 15 Jahren eine nationale Infrastruktur, in der digitale Gesundheitsdienste und der Zugang zu Patientendaten gebündelt sind. E-Rezept, elektronische Patientenakten, Videosprechstunden, Informations- und Terminbuchungsportale sind da längst Alltag. In Dänemark erhält jeder mit der Geburt eine persönliche Identifikationsnummer. Über die gibt es Zugang zum nationalen Gesundheitsinformationsportal, wo die gesamte Krankengeschichte inklusive aller Diagnosen, Behandlungen, Operationen und Medikationspläne oder Laborwerte abgespeichert ist. Mehr als jeder dritte Däne besucht das Portal jeden Monat und setzt sich mit der eigenen Gesundheit auseinander.
Und auch in einem weiteren Punkt sind uns andere Länder voraus: bei der Nutzung von Gesundheitsdaten für die Forschung. Während der Pandemie als neue Erkenntnisse dringend notwendig waren, mussten Forschende in Deutschland immer nach Großbritannien oder Israel schauen. Kommt Long-Covid auch nach der dritten Impfung vor? Wie viele Patienten haben Impfnebenwirkungen in Deutschland? Keine Ahnung, "weil wir dazu Null Daten aus der eigenen Versorgung hatten und das ist immer noch so", sagt Michael Hallek, Mediziner und Forscher an der Uniklinik Köln. Solche Erkenntnisse seien auch wichtig, wenn es um gezielte Therapien geht, etwa bei Krebserkrankungen.
Außerdem werfen viele von uns sowieso schon mit Gesundheitsdaten nahezu um sich. Hand hoch, wer den Schrittzähler im Smartphone aktiviert hat, wer mit einer Smartwatch den Puls checkt oder wer in Sportapps Kalorien und Kilometer zählt! Und diese Daten stellen wir bereitwillig großen Konzernen im Ausland zur Verfügung, ohne großartig nach Datenschutz zu fragen.
Wenn es nach mir geht, kann die digitale Patientenakte nicht schnell genug kommen. Wir haben schon zu viele Jahre bei dieser absolut sinnvollen Entwicklung verpennt. Mehr geordnet gespeicherte Daten bedeuten mehr Wissen und in der Folge bessere Gesundheitsversorgung.
Sind Sie vom Papierkram genervt? Oder nutzen Sie die elektronische Patientenakte schon? Was spricht für Sie dafür und was dagegen? Lassen Sie uns darüber diskutieren! In den Kommentaren bei WDR.de oder auf Social Media.
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