Inventur im Wald: Was ist noch da? Und was ist neu?
Aktuelle Stunde . 08.10.2024. 24:01 Min.. UT. Verfügbar bis 08.10.2026. WDR.
Förster Peter Wohlleben: "Echtem Wald geht es noch gut"
Stand: 08.10.2024, 10:29 Uhr
Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir (Grüne) stellt am Dienstag die Inventur zum Zustand der Wälder in Deutschland vor. Die Untersuchung liefert auf Basis umfangreicher Stichproben Informationen zu Wuchs und Schäden an Bäumen, den Anteilen der Baumarten sowie zur Holznutzung.
Förster Peter Wohlleben ist Sachbuchautor und Host des Podcasts "Peter und der Wald". Im WDR-Interview beschreibt er seinen Blick auf den Zustand der Wälder in Deutschland und erklärt, was einen gesunden Wald ausmacht und wie ein Wald zwischen Natur und wirtschaftlicher Nutzung bestehen kann.
WDR: Herr Wohlleben, wie geht es dem Wald heute?
Peter Wohlleben: Echtem Wald geht es erstaunlicherweise noch gut. Echter Wald heißt: alte Buchen, alte Eichen. Es gibt rund 70 heimische Baumarten und hohe Biomassevorräte. Das ist etwa das Drei- oder Vierfache von dem, was in einem Durchschnittswald steht. Aber der Wald, den wir so sehen, das sind überwiegend Plantagen mit nichtheimischen Baumarten und denen geht es sehr schlecht.
WDR: Hätte man den Wald einfach mal wachsen lassen, dann hätten wir nicht die Probleme, die wir beim Mountainbikefahren über die Feldwege sehen?
Wohlleben: Richtig. Fichten und Kiefern sind wie Maisäcker in groß. Man hat schon vor über 160 Jahren davor gewarnt, zu viele Fichten anzubauen, da war den Leuten schon klar, was dann passiert. Der Klimawandel verschärft bestehende Probleme. Grundsätzlich ist der Klimawandel schlecht für den Wald und stresst auch alte Laubwälder. Aber die halten das erstaunlich gut aus, wenn man nicht mit schweren Maschinen zwischen ihnen rumfährt und wenn man sie nicht stark auflichtet.
Peter Wohlleben
Im internen Fachjargon heißt das kräftige Durchforsten auch "Heißschlagen". Man weiß, dass man Bäumen dann beim Schwitzen in die Quere kommt. Bäume können Wolken bilden, die können kühlen, irre Temperaturunterschiede herbeiführen - zum Beispiel im Sommer zehn Grad weniger Durchschnitts-Tageshöchsttemperatur. Das ist ein Haufen in Zeiten des Klimawandels. Dann sagt man: "Ach guck mal, die sterben. Das ist der Klimawandel". Nee, das ist dann schon Forstwirtschaft.
WDR: Sie sagen fast in jeder Podcast-Folge: "Der Wald braucht uns nicht." Aber wir brauchen ja den Wald.
Wohlleben: Genau. Ich bin auch gar nicht gegen eine Holznutzung. Holz ist ein ganz toller Rohstoff. Die Frage ist: Wieviel kann man dem Wald abzapfen? Leider sind die Behörden in aller Regel in den Holzverkauf involviert. Die Fortstwirtschaft ist also gar nicht so unabhängig. Die sagen, dass alles gut so für den Wald ist. Das ist so, als würde man Schwerkranken noch kräftig Aderlass verschreiben und dann so einen Liter abzapfen. Das tut keinem gut. Das wird gerade mit dem Wald gemacht.
Wir müssen gucken, wo der Patient krank oder durch den Klimawandel angeschossen ist, und da kräftig auf die Bremse drücken. Zumal die Koalition gesagt hat, sie möchte alte Laubwälder schützen. Gerade da findet eine erhebliche Abnahme in den Biomassevorräten statt. Es geht gar nicht um die Fichten und Kiefern. Man bedient sich auch weiter ungeniert an intakten Wäldern.
WDR: Sie haben gesagt, dass man da, wo es dem Wald gut geht, ihn in Ruhe lassen soll. Es heißt aber immer, man müsse in jedem Fall geschickt und an die klimatischen Bedingungen angepasst nachpflanzen. Das sind konträre Ansätze, oder?
Wohlleben: Wer sagt, er mache den Wald klimafest durch Baumpflanzungen, hat eine große Glaskugel, in die man reinschauen kann. Die würde ich mir gerne mal eine Woche ausleihen, für die Lottozahlen. Keiner weiß, wie das Klima in 50 Jahren oder das Wetter genau an der Stelle ist. Es werden häufig Baumarten gepflanzt, die das jetzt schon nicht aushalten, wie die Douglasie. Das ist eine Baumart der nördlichen Kaltregenwälder. Das ist jetzt hier nicht die Prognose.
Im öffentlichen Wald hat das Bundesverfassungsgericht schon zweimal angemahnt, dass Holzerzeugung nicht im Vordergrund stehen darf. Überall dort, wo nichtheimische Bäume gepflanzt werden, kann das ja nur wegen der Holznutzung sein. Ökologisch ist das aber immer eine Katastrophe.
WDR: Wie wäre denn aus Ihrer Sicht die optimale Verteilung zwischen "Wir lassen den Wald in Ruhe" und "Wir machen einen Nutzwald daraus"?
Wohlleben: Das muss man jährlich neu verhandeln, weil wir an der Klima-Schraube drehen. Ich kann jetzt nichts nennen, was nächstes Jahr noch gültig ist. Aber man könnte sagen: "Wir fahren mal die Verfeuerung zurück." Aktuell wird rund die Hälfte des Holzes, das in Deutschland verbraucht wird, sofort verheizt. Da gibt es schon bessere Modelle wie die Wärmepumpen und so. Da könnte man fleißig sparen.
Dann könnte man zum Beispiel mal die Postwurf-Sendungen weglassen, das sind 38 Kilo pro Kopf und Jahr. Wir haben das überschlagen, das kann man nicht so genau berechnen. Alleine das kostet so zehn Millionen jüngere Bäume das Leben pro Jahr für Dinge, die sofort wieder in den Abfall wandern. Für langlebige Produkte wie Häuser, Bücher oder Möbel würde es zumindest Stand heute noch reichen. Die aktuelle Forderung der Umweltverbände ist, sofort 30 Prozent weniger Einschlag und dann mal schauen, ob das reicht.
Forstwirtschaft kommuniziert immer nur in Holz. Die Bundeswaldinventur müsste eigentlich Bundesholzinventur heißen, weil die schwerpunktmäßig Holzvorräte misst. Das ist ja schon entlarvend. Rehe oder Käfer tauchen da zum Beispiel gar nicht auf, das gehört ja zum Wald dazu. Dieser Wald, den wir nicht mit der Motorsäge beackern, der liefert im trockenen Sommer zum Beispiel Regen und Kühlung. Der liefert irre wichtige Leistungen. Wenn wir die Wahl haben zwischen 40, 50 Grad und Rekord-Dürre oder etwas weniger Holz - dann weiß ich, wofür ich mich entscheide.
Das Interview führte Andreas Bursche am 8.10.2024 inn der Hörfunksendung WDR 5 Morgenecho. Für die Online-Version wurde das Gespräch gekürzt und sprachlich angepasst.