Wie nachhaltig ist der grüne Aufschwung?
Stand: 14.09.2020, 17:25 Uhr
Die Grünen haben bei den Kommunalwahlen kräftig zugelegt - auch wenn Umfragen noch mehr verheißen hatten. Die Partei ist jetzt ein machtpolitischer Player in den Rathäusern. Aber der grüne Boom hat auch Grenzen. Eine Analyse.
Von Martin Teigeler
"Staatstragend und den Status quo verwaltend" habe man gewirkt, erklärten die Grünen vor drei Jahren. Kurz nach der Niederlage bei der Landtagswahl 2017 wirkte die Partei einfach nur deprimiert. Lediglich 6,4 Prozent hatten die Grünen damals nach sieben Jahren Regierung an der Seite der SPD eingefahren.
Die schlechte Stimmung ist längst verflogen. 20 Prozent (plus 8,3 Prozent) stehen bei den Kommunalwahlen 2020 landesweit als grünes Ergebnis. Bei den jungen Wählern von 16 bis 24 Jahren sind die Grünen sogar stärkste Kraft. Doch wie nachhaltig ist dieser bemerkenswerte Aufschwung?
1.500 Kommunalmandate hinzugewonnen
Der Düsseldorfer Politikwissenschaftler Stefan Marschall urteilt: "Die Grünen sind mittlerweile eine Schlüssel-Partei geworden, an der man bei der Bildung von Kooperationen und Bündnissen nur schwer vorbeikommt."
Nach ihren Erfolgen am Sonntag greifen die Grünen nicht nur in Städten wie Aachen, Bonn, Münster und Wuppertal bei den anstehenden Stichwahlen nach dem OB-Posten, sondern sie verändern auch die Machtverhältnisse in den Stadtparlamenten. Grün geführte Bündnisse in den Gemeinden zeichnen sich ab. "Wir sind nicht mehr Anhängsel anderer Parteien", sagt die Landesvorsitzende Mona Neubaur selbstbewusst.
Das Ergebnis bei den Kommunalwahlen: "2014 haben wir rund 2.000 Mandate errungen - gestern waren es nach ersten Schätzungen etwa 3.500.“ In den letzten zwei Jahren seien die Grünen "bewusst rausgegangen aus den Sitzungssälen und hingegangen zu den Menschen", versucht sich Neubaur an einer Erklärung für den Erfolg. "Wir suchen den Dialog mit Menschen jenseits der klassischen Grünen Komfortzone." Man rede mit Naturschutzverbänden, aber eben auch mit Bauern und ThyssenKrupp-Betriebsräten.
Grüne Partei hält sich Bündnisfragen offen
Beispiel Düsseldorf: In der Landeshauptstadt verpassten die Grünen die Oberbürgermeister-Stichwahl, sind aber mit 24 Prozent zweite Kraft im Stadtrat. "Wir gehen jetzt schrittweise vor", sagt der Landtagsabgeordnete Stefan Engstfeld, der als OB-Kandidat in Düsseldorf 17 Prozent holte. Am Donnerstag berät ein grüner Kreisparteitag, ob man eine Wahlempfehlung bei der OB-Stichwahl zwischen SPD und CDU abgeben wird.
Vielerorts stehen die Grünen nun vor solchen Machtfragen - was wiederum landes- und bundesweit die Debatte über Rot-Rot-Grün oder Schwarz-Grün belebt. Die Partei hält sich alles offen. Dies nährt den Verdacht, dass man frische Wählerzugewinne nicht durch Festlegungen gefährden will. Die Beziehung zum Ex-Koalitionspartner SPD in NRW ist weitgehend eingeschlafen - zu negativ wirkt das Ende der gemeinsamen Regierungszeit nach.
Und die CDU? Ob die Grünen wirklich etwa mit der Innenpolitik von Herbert Reul oder der Verkehrspolitik von Hendrik Wüst kooperationsfähig sind, wird sich bis zur Landtagswahl 2022 zeigen müssen. Aber erstmal kommt ja die Bundestagswahl. Das NRW-Ergebnis sei eine "sehr, sehr gute Startrampe für die nächsten zwölf Monate", sagt Bundes-Parteichefin Annalena Baerbock mit Blick auf 2021.
Grenzen des Wachstums
In den Kommunen folgen nun - nach den Stichwahlen am 27.9. - die Mühen der Ebene. "Im Wahlkampf hat die Landespartei die Kampagne für Themen wie die Klimapolitik professionell gesteuert - was in manchem Kreisverband übel aufgestoßen ist", sagt ein Partei-Insider. Es bleibe abzuwarten, wie das jetzt vor Ort weitergehe. In den vergrößerten Ratsfraktionen arbeiten nun junge Anfänger aus der Fridays-for-Future-Bewegung mit alten grünen Polit-Hasen zusammen. Das sei eine grüne Stärke, aber auch eine Herausforderung.
Hat die Partei in NRW bislang schlicht zu wenige Mitglieder, um flächendeckend kompetent Politik zu machen? Die Landespartei sieht das nicht so. Seit 2014 habe man 8.000 neue Mitglieder dazugewonnen (Gesamtmitgliederzahl: 21.700 Grüne in NRW). Neubaur: "Viele waren im Wahlkampf aktiv, einige werden auch in den Räten sitzen. Wer kompetent ist, hat gute Chancen aufgestellt zu werden – bei uns hängt das weder von der Dauer der Parteizugehörigkeit noch vom Geschlecht ab."