Warum die NRW-AfD in Essen ihren Platz sucht

Stand: 28.06.2024, 12:30 Uhr

In der AfD herrscht Burgfrieden, um die Ostwahlen nicht zu gefährden. Der Bundesparteitag soll deshalb möglichst geräuschlos verlaufen. In diesem Fahrwasser versucht der NRW-Landesverband, seinen Einfluss zu steigern.

Von Christoph Ullrich

"Die Sachlage ist komplex, und nur im Kontext der erheblichen Machtkämpfe in NRW zu verstehen", schreibt Carlo Clemens in einer Einschätzung für den AfD-Bundesvorstand. Eine Woche vor dem Parteitag in Essen musste sich der Bundesvorstand noch einmal mit seinem mitgliederstärksten Landesverband beschäftigen.

"Die Sachlage ist komplex"

Es geht um ein Mediationsverfahren für Vorfälle im AfD-Kreisverband Siegen-Wittgenstein. Dort soll es zu Unregelmäßigkeiten bei der Mitgliederaufnahme gekommen sein.

Clemens Worte entbehren nicht einer gewissen Brisanz. Er ist Landtagsabgeordneter in Düsseldorf und im Vorstand Beisitzer. Eigentlich ist er, was die verschiedenen Lager angeht, unverdächtig, sich öffentlichkeitswirksam auf eine Seite zu schlagen.

Lagerkampf gegen die "Völkischen"

Zumal sein eigener Landesvorstand in NRW die Einschätzung bestreiten würde. Dort hat Martin Vincentz inzwischen seine Machtbasis formal ausbauen können. Im Frühjahr wurde er im Amt als Landeschef deutlich bestätigt. Keinem seiner Vorgänger war das bisher gelungen, die meisten überlebten nicht mal eine volle Amtszeit.

Vincentz gibt sich moderat, sieht die AfD als national-liberale Partei rechts der Unionsparteien. Gegen den völkischen Teil, der auch in NRW seine Vertreter hat, geht er mit Härte vor. Betroffen davon vor allem die "Junge Alternative" (JA) und jemand wie Matthias Helferich. Gegen den Dortmunder Bundestagsabgeordneten wie auch gegen prominente Vertreter der JA laufen Parteiausschlussverfahren.

Bündnisse mit schwieriger Aussicht

Vincentz setzt in diesem Kampf dabei auch auf umstrittene Unterstützer: In Aachen hat ein Kreisvorsitzender ein seltsames Verhältnis zu Verschwörungtheorien.

Und im Fall Siegen-Wittgensteins verlässt sich Vincentz auf Leute wie Henning Zoz. Ein umstrittener Unternehmer, der auch mal mit "Darth-Vader-Maske" auf Parteitagen rumgelaufen ist.

AfD-Politiker Henning Zoz | Bildquelle: WDR/Westpol

Dieser tatsächlich komplexe Machtkampf hat ein Ziel, da sind sich langjährige AfD-Beobachter sicher: Vincentz will mittelfristig an die Spitze der Bundespartei, ihr ein moderates Gesicht geben. Der erzwungene Burgfrieden der in Teilen zerstrittenen Ost-Verbände soll ihm dabei nutzen.

99 Delegierte für die Geräuschlosigkeit

So fällt NRW zum Beispiel mit seinen 99 von den insgesamt rund 600 Delegierten eine Mittlerrolle zu. Durch das Lager der Ostverbände geht nämlich ein Riss. Sachsen und ThürIngen sind sich längst nicht mehr einig, obwohl beide von ihren jeweiligen Verfassungsschutzämtern als "gesichert rechtsextrem" eingestuft wurden.

Das zeigt sich deutlich an dem Umgang mit dem EU-Spitzenkandidaten Krah. Der AfD-Bundesvorstand hat Krah inzwischen weitgehend kalt gestellt. Sehr zum Ärger des Lagers um Björn Höcke aus Thüringen. Bundeschef Chrupalla aus Sachsen könnte diesen Ärger bei seiner Wiederwahl zu spüren bekommen.

Eine stabile Lage der Delegiertenstimmen aus NRW würden einen Sturz jChrupallas edoch nahezu unmöglich machen und einen eher geräuschlosen Bundesparteitag ermöglichen, was man auch Martin Vincentz natürlich intern positiv zuschreiben würde. Er hätte damit eine vor den Ostwahlen nicht gewollte Eskalation vermieden.

Zwei NRW-Plätze für den Bundesvorstand

Dass man vonseiten der Bundesspitze zumindest auf die Loyalität der NRW-Leute setzt, zeigt sich auch an dem Tableau aus dem größten Landesverband, das Teil des neuen Bundesvorstandes werden soll. Bisher mussten sich NRW-Vertreter ihre Plätze immer erkämpfen, einen automatisierten Landes-Proporz kennt die AfD-Geschichte eigentlich nicht.

Dieses Mal ist das anders: Kay Gottschalk aus Viersen steht vor einer erneuten Wahl als einer der stellvertenden Bundeschefs, der Ostwestfale und Landtagsabgeordnete Markus Wagner ist als Beisitzer vorgesehen. Beide auf Vorschlag von Landeschef Martin Vincentz.