Braunkohle-Anhörung
WDR aktuell. 15.11.2023. Verfügbar bis 15.11.2025. WDR. Von Per Quast.
Sachverständige: Das braucht der Kohleausstieg jetzt
Stand: 15.11.2023, 13:12 Uhr
Die wohl letzte Leitentscheidung zur Braunkohle in NRW war Thema einer Anhörung im Landtag. Es wurden konkrete Verbesserungsvorschläge gemacht, damit der Ausstieg gelingen kann.
Von Sabine Tenta
Ein wichtiges und für das Klima auch belastendes Kapitel NRW-Industriegeschichte geht zu Ende. Den Rahmen für den vorgezogenen Kohleausstieg bis 2030 setzt die neue, voraussichtlich letzte Leitentscheidung der Landesregierung zur Braunkohle. Ist mit dieser Leitentscheidung ein Wandel des Rheinischen Reviers möglich, der ökologisch, ökonomisch und gesellschaftlich sinnvoll ist?
Diese Frage haben am Mittwoch Sachverständige in einer Anhörung des NRW-Landtags beantwortet. Im Wirtschaftsausschuss standen sie Rede und Antwort. Dabei zeigt sich, wo die Konfliktlinien verlaufen, aber auch, wo Gemeinsamkeiten und Chancen sind.
Widerstreitende Interessen und Lösungsvorschläge
Die jeweiligen Sachverständigen legten ihre Interessen dar, die sich mitunter klar widersprachen: So wünschte sich der NRW-Landesverband des BUND beispielsweise eine Zurückhaltung beim Ausweisen von Industrie- und Gewerbeflächen, um die Umwelt zu schützen. Aber Unternehmer NRW, IHK NRW und DGB NRW forderten übereinstimmend, bitte schnell und rechtssicher genau das zu tun: neue Nutzungsflächen ausweisen, damit der Strukturwandel in der Wirtschaft gelingt und es eine gesicherte Perspektive für Arbeitsplätze gibt.
In der Gesamtschau der Stellungnahmen wurde aber auch klar, wer an welchen Stellschrauben drehen muss, damit die Transformation des Rheinischen Reviers gelingen kann. Die IHK NRW verwies auf die großen Herausforderungen, die durch den vorgezogenen Kohle-Ausstieg entstanden sind. Jetzt bestehe die Notwendigkeit, "Planungs- und Genehmigungsprozesse in ganz NRW zu entschlacken und zu beschleunigen".
Transformation Rheinisches Revier: Ein Jahrzehnte-Projekt
Ein Vertreter der Bezirksregierung Köln, der Vorsitzende des Braunkohleausschusses, Stefan Götz, sagte ganz konkret, was dafür geregelt werden muss: In der Leitentscheidung müsse klargestellt werden, dass die regionalen Behörden bereits jetzt "die Bergbaufolgelandschaft in ihre Regionalplanungen" verbindlich "einbeziehen können und sollen".
Wichtig sei beispielsweise, dass bestimmte Flächen formal aus der Bergaufsicht entlassen werden, damit "der Übergang von Braunkohleplanung in die Regionalplanung geordnet erfolgt". Das klingt nach staubtrockenen Paragrafen, aber diese Weichenstellungen sind wichtig, damit der Strukturwandel zügig erfolgen kann. Auch der Bürgermeister von Bedburg, Sascha Solbach (SPD), verwies darauf, dass es aufgrund der rechtlichen Lage große Flächen im Revier gebe, die für die Kommunen nicht entwickelbar seien.
Immer wieder wurde unter anderem von der IHK und Unternehmer NRW darauf hingewiesen, dass jetzt unbedingt Tempo gemacht werden müsse, damit auch mit dem strafferen Zeitrahmen durch den vorzeitigen Ausstieg eine Umwandlung des Rheinischen Reviers gelingt. Vor diesem Hintergrund bekommt, mit Blick auf die Planungsprozesse, eine Forderung aus der Bezirksregierung besonderes Gewicht: Man brauche "die Ausstattung aller betroffenen Behörden" mit einer "ausreichenden Anzahl an fachlich qualifiziertem Personal".
Was wird aus den Dörfern?
Mit welchen Flächen kann im Revier geplant werden? Ein Baustein ist dabei die Gestaltung der geretteten Dörfer. Stefan Götz von der Bezirksregierung Köln kritisierte, dass es zu viele "unverbindliche Absichtserklärungen" in der Leitentscheidung gebe. Konkret sei jedoch die Befristung der laufenden Umsiedlungsverfahren in den Erkelenzer Dörfern zum 30.06.2026.
Und genau diese Befristung wurde von Norbert Winzen kritisiert. Er lebt im geretteten Dorf Keyenberg und vertritt den Verein "Dorfgemeinschaft Kultur Energie". Der Zeitraum sei zu kurz gewählt, denn bis dahin sei für die Bewohnerinnen und Bewohner nicht absehbar, ob eine Revitalisierung der Dörfer wirklich gelingt. "Bis Mitte 2026 muss der Notarvertrag vorliegen, also die Entscheidung muss sogar schon 2025 fallen", gab Winzen in der Anhörung zu bedenken. Auch die Stadt Erkelenz hätte sich die Möglichkeit zur Umsiedlung bis zum Jahr 2028 gewünscht.
Beim Rückkaufrecht fordere Norbert Winzen keine Vorgaben zur Nutzung zu machen, also ob es sich um Eigennutzung, Vermietung oder Büroräume handelt. Und der Keyenberger regte an, die für eine Dorfgemeinschaft zentralen Immobilien wie Kirchen, Gaststätten und große Hofanlagen bevorzugt zu reaktivieren. Dafür solle der Kreis der Kaufberechtigten für diese Gebäude erweitert werden.
Wie schnell entstehen neue Seen?
In den ehemaligen Tagebauen sollen Seen entstehen, die über mehrere Jahrzehnte mit Rheinwasser gefüllt werden sollen. Die IHK NRW forderte einen schnellen Ausbau der dafür benötigten Rheinwassertransportleitung. Insbesondere für die touristische Nutzung des Reviers sind die Seen ein zentraler Bestandteil.
Doch der BUND wendete ein, dass sich das Rheinwasser wegen seiner "volatilen Qualität" nicht uneingeschränkt zur Verfüllung der Seen eignet. So könne das Rheinwasser Abfallprodukte wie die als Ewigkeitschemikalien bekannten PFAS aus dem Chemiepark Leverkusen enthalten. Auch Schädlingsbekämpfungsmittel, Arzneimittelrückstände oder Mikroplastik würden das Rheinwasser belasten. Darum müsse es durch eine Reinigungsanlage von Schadstoffen befreit werden, bevor es in einen See eingeleitet wird. Ansonsten drohe eine "chemische Zeitbombe", so Dirk Jansen, Geschäftsführer des BUND in NRW.
Die Chancen des Reviers
Raphael Jonas von der IHK lobte ausdrücklich, das Rheinische Revier sei "sehr gut aufgestellt", aktuell werde beispielsweise "sehr viel Wasserstoffkompetenz aufgebaut". Sein Fazit: "Der Strukturwandel im Rheinischen Revier kann gelingen." Auch Alexander Felsch von Unternehmer NRW, hob die "gute Infrastruktur" im Revier hervor. So gebe es Flächen, die bereits für Kraftwerke genehmigt seien. Darum könnten dort schnell innerhalb von fünf bis sechs Jahren neue Kraftwerke entstehen, die auch mit Wasserstoff betrieben werden können.
DGB sorgt sich um "gute Arbeitsplätze"
Für den DGB sagte Manfred Maresch wichtig sei, dass "sichere, tarifgebundene, mitbestimmte Arbeitsplätze" entstehen, dafür hat der DGB die Kurzformel "gute Arbeitsplätze" geprägt. "An vielen Stellen sind wir auf einem guten Weg", so Maresch, "aber die Zeitachse!", sagte er mahnend. Er sieht die Notwendigkeit des vorgezogenen Kohleausstiegs von 2038 auf 2030, aber "jetzt muss der zweite Schritt erfolgen", eine Beschleunigung des Strukturwandels sei nun dringend nötig.
Die Grundrichtung der Leitentscheidung wird von fast allen begrüßt
Trotz der widerstreitenden Interessen und unterschiedlichen Bewertungen der Leitentscheidung im Detail, besteht doch auch eine große Schnittmenge an Übereinstimmungen in den Stellungnahmen: So wird immer wieder ein schneller Ausbau der Erneuerbaren Energien gefordert und die grundsätzliche Einigung auf einen vorzeitigen Ausstieg aus der Braunkohleförderung und den Erhalt mehrerer Dörfer begrüßt.
Einzig Thomas Mock vom Verein "Gesellschaft für Fortschritt in Freiheit", der ausgiebig von der AfD befragt wurde, hält den Kohleausstieg für falsch: "Windanlagen sind genauso schädlich wie Braunkohle", so seine These mit Verweis auf die umweltbelastende Förderung von Rohstoffen für Windanlagen in Drittländern. Auch Gas sei klimaschädlicher als Kohle, meinte Mock.
Die Folgen der Leitentscheidung
Westpol. 24.09.2023. UT. DGS. Verfügbar bis 24.09.2028. WDR.