Sylvia Löhrmann (Grüne) ist als neue Antisemitismus-Beauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen vorgestellt worden. Sie sprach am Donnerstag in Düsseldorf von "skandalösen Zuständen", denn jüdische Einrichtungen wie Schulen müssen auch in NRW rund um die Uhr geschützt werden. Und in sozialen Medien kenne der Hass auf Juden "keine Grenzen".
Jüdinnen und Juden haben Angst
"Was macht das mit Kindern, wenn sie jeden Morgen in eine jüdische Schule gehen - und sie müssen jeden Morgen durch Sicherheitsschleusen", fragte die ehemalige NRW-Schulministerin. Und auch Erwachsene scheuten in der Öffentlichkeit davor zurück, sich als jüdisch zu erkennen zu geben. "Sie haben Angst", sagte Löhrmann.
Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sprach bei der Vorstellung Löhrmanns die Zunahme des Antisemitismus nach dem Hamas-Terrorangriff auf Israel vom 7. Oktober 2024 an. Es finde eine "beispiellose Täter-Opfer-Umkehr" statt.
Auch deshalb braucht man das Amt der Antisemitismus-Beauftragten "mehr denn je". Wüst betonte, Jüdinnen und Juden müssten in NRW eine sichere Heimat haben. Jüdisches Leben habe einen festen Platz in diesem Land. Zudem stehe NRW weiter fest zum Existenzrecht Israels.
Leutheusser gibt persönliche Gründe an
Die 67-jährige Löhrmann tritt ab 1. November die Nachfolge der bisherigen Beauftragten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (73) an. Die ehemalige FDP-Bundesjustizministerin hatte das Ende 2018 neu geschaffene Ehrenamt fast sechs Jahre ausgeübt. Die Beauftragte hat ein Büro mit vier Mitarbeitern in der Staatskanzlei.
Dass sie das Amt abgibt, sei eine "persönliche Entscheidung", so Leutheusser-Schnarrenberger. Sie beschrieb die große Arbeitsbelastung der letzten Jahre. Sie wohne ja nicht in NRW, sondern im "schönen Bayern". Leutheusser-Schnarrenberger hatte das Amt übernommen, als die FDP noch mitregierte. Nun geht die Position an die Grünen, die seit 2022 mit der CDU koalieren.
Wüst bedankte sich bei Leutheusser und lobte ihre Aufbauarbeit. Sie habe mit "zahlreichen Initiativen, Studien und intensiver Präventionsarbeit konsequent gemahnt, angeklagt, sensibilisiert und informiert". Auch Löhrmann würdigte die Leistung ihrer Vorgängerin und sprach von einer reibungslosen Übergabe.
Löhrmann schon lange im Thema
Löhrmann muss sich nicht groß einarbeiten. Schon als Schulministerin und Vize-Ministerpräsidentin von 2010 bis 2017 hatte sie immer wieder den Antisemitismus in Teilen der Gesellschaft politisch zum Thema gemacht. Auch der Schüleraustausch mit Israel war der früheren Grünen-Fraktionschefin im Landtag ein Anliegen. Zudem war sie Generalsekretärin des Vereins zum Gedenkjahr "321-2021: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland".
Was kann eine Beauftragte mit vier Mitarbeitern leisten angesichts der Welle von Hass auf Juden im Alltag, auf den Straßen, in sozialen Medien? Löhrmann sprach von "schwieriger gewordenen Zeiten". Dennoch freue sie sich auf die neue Aufgabe. "Aufklärung, Bildung und Begegnung sind für mich die zentralen Handlungsfelder."
Amtstitel wird länger
Löhrmann bekommt zudem zusätzliche Kompetenzen: Sie heißt "Beauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen für die Bekämpfung des Antisemitismus, für jüdisches Leben und Erinnerungskultur". Sowohl der Alltag von Juden in NRW als auch das Erinnern an die Ermordung von sechs Millionen Juden durch Nazi-Deutschland soll offenbar eine größere Rolle in der Arbeit der Beauftragten einnehmen.
Im ersten Halbjahr 2024 hat es laut Innenministerium in NRW 245 antisemitische Straftaten gegeben. Im Vergleich zum ersten Halbjahr 2023 mit 132 Fällen war das ein Anstieg um mehr als 85 Prozent.
Leutheusser-Schnarrenberger hatte eine Dunkelfeld-Studie zum Hass auf Juden angestoßen und Konzepte gegen Antisemitismus im Netz - etwa auf Tiktok - angemahnt. Zudem initiierte sie eine Meldestelle, die antisemitische Vorfälle erfasst - auch solche unterhalb der Strafbarkeitsgrenze. Außerdem legte sie dem Landtag jährlich einen Bericht über ihre Arbeit vor.
Dank von SPD und FDP
Von der Opposition im Landtag kam ebenfalls Dank und Lob für die scheidende Beauftragte. Leutheusser-Schnarrenberger habe mit ihren "Berichten nicht nur für uns im Parlament wertvolle Informationen und Impulse zur Bekämpfung des Antisemitismus gegeben", sagte SPD-Fraktionschef Jochen Ott. Die von ihr "geschaffenen Beziehungen, Strukturen und Projekte werden noch lange positiv nachwirken", so die Sicht von FDP-Fraktionschef Henning Höne.
Unsere Quellen:
- Wüst, Leutheusser-Schnarrenberger und Löhrmann bei PK
- Mitteilung der NRW-Landesregierung
- SPD und FDP laut Mitteilung
Über dieses Thema berichten wir im WDR am Donnerstag auch im Fernsehen und im Hörfunk.