Ausländerbehörden in NRW durch Zahl der Einbürgerungsanträge am Limit

Stand: 07.02.2025, 09:14 Uhr

Die Mitarbeiter in den Ausländerbehörden arbeiten schon lange am Limit. Doch seit einem halben Jahr müssen sie zehntausende Einbürgerungsanträge mehr stemmen, zeigt eine Westpol-Recherche. Das liegt am neuen Staatsangehörigkeitsrecht.  

Von Anne Bielefeld und Moritz Börner

"Der Arbeitsaufwand hat sich in den letzten zehn Jahren definitiv verdoppelt", sagt Ann Kathrin Frede, Sozialdezernentin der Stadt Witten. Sie ist für die Mitarbeiter der Ausländerbehörde verantwortlich. Eigentlich würde sie gerne Druck rausnehmen, sagt sie. Stattdessen muss sie ihrem Team seit Ende Juni 2024 noch mehr Arbeit aufhalsen. Seitdem gilt das neue Staatsangehörigkeitsrecht.

Was bedeutet das neue Staasangehörigkeitsrecht?

Einwanderer können sich bereits nach fünf Jahren, in besonderen Fällen nach drei Jahren, einbürgern lassen. Zuvor galt eine Frist von acht Jahren. Da viele Flüchtlinge mittlerweile dauerhaft in Deutschland arbeiten, ihren Lebensunterhalt selbst verdienen und gut deutsch sprechen, machen sie von dem neuen Recht Gebrauch.

Neues Staatsangehörigkeitsrecht in Kraft WDR 5 Morgenecho - Medienschau 28.06.2024 04:37 Min. Verfügbar bis 28.06.2025 WDR 5

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Ein Jahr warten auf einen Termin

Doch das führt zu einer Überlastung der Behörden. In Witten warten derzeit rund 650 Menschen alleine darauf, ihren Antrag auf Einbürgerung überhaupt abgeben zu können. Denn dafür brauchen sie einen Termin, doch die nächsten freien gibt es meist erst in einem Jahr oder später. Und danach dauert es etliche weitere Monate, den Antrag zu prüfen. Unbefriedigend für die Einwanderer, frustrierend auch für die Mitarbeiter in der Ausländerbehörde. Denn die Einbürgerungen sind nur eine Baustelle von vielen.

Ausländerbehörden bekommen ständig neue Aufgaben

Ann Kathrin Frede, Sozialdezernentin Witten | Bildquelle: wdr

Seit Jahren müssten ihre Mitarbeiter immer wieder neue Gesetze umsetzen, seien für ukrainische Geflüchtete zuständig, die Einwanderung von Fachkräften und Abschiebungen, beklagt Sozialdezernentin Ann Kathrin Frede. Auf die Umsetzung neuer Gesetz seien sie von Bund und Land aber oft zu schlecht vorbereitet. Diese Unsicherheit belaste die Arbeit zusätzlich.

Fast 60 Prozent mehr Anträge auf Einbürgerung

Auch andere Ausländerbehörden in NRW schildern ihre zunehmende Belastung dem WDR gegenüber. Eine stichprobenartige Umfrage des Politmagazins "Westpol" zeigt, dass zehntausende Einwanderer das neue Staatsangehörigkeitsrecht nutzen wollen. In Duisburg und Essen ist die Zahl der Anträge auf Einbürgerung um mehrere Hundert im Vergleich zu 2023 gestiegen, in Dortmund sogar um fast 2000. Das ist einen Anstieg um 55 Prozent. Das gleiche gilt für viele Kreise. Im Oberbergischen Kreis zum Beispiel gibt es 40 Prozent mehr Anträge, im Kreis Wesel 46 Prozent, im Rheinisch Bergischen Kreis müssen sie 57 Prozent mehr Anträge auf Einbürgerung bearbeiten.

Das führt überall zu deutlich längeren Wartezeiten. Fast zwei Jahre müssen Menschen mit Einbürgerungswunsch im Rheinisch Bergischen Kreis mittlerweile auf eine Entscheidung warten. Fast alle vom WDR angefragten Kreise und Städte geben ebenfalls hohe Wartezeiten von bis zu 18 Monate an.

Zu wenig Personal und fehlende Fachkräfte

Das Land hat zur Umsetzung des neuen Staatsangehörigkeitsrechts zwar neue Stellen mitfinanziert. Faktisch reicht das Budget in den Städten und Kreisen aber nur für einen Mitarbeiter mehr, wenn überhaupt. Doch nicht nur deshalb fühlen sich die Kommunen bei der Umsetzung des neuen Staatsangehörigkeitsrechts allein gelassen. Es gäbe auch zu wenig Schulungen für das Personal und die vom Land geförderten Digitalisierungsmaßnahmen brächten noch nicht die erhoffte Entlastung.

NRW-Integrationsministerin Paul (B'90/Grüne) | Bildquelle: WDR

Der zuständigen Integrationsministerin Josefine Paul (B`90/ Grüne) sind die Probleme bewusst. Im WDR-Interview verspricht sie, die Digitalisierung weiter voranzutreiben. Außerdem müssten Behörden besser vernetzt sein. Das spare Zeit und Kosten.

Warten auf eine Entscheidung

Die syrisch-marokkanische Familie Alou in Wermelskirchen gehört zu den Leidtragenden des überlasteten Systems. 2015 sind Fouzi Alou und seine Frau Naima Ouffal vor dem Syrienkrieg nach Deutschland geflüchtet. Ihre drei Kinder sind 14, acht und vier Jahre alt. Die Familie finanziert ihren Lebensunterhalt selbst, alle sprechen gut deutsch. Zurück nach Syrien zu gehen, sei unmöglich, sagen sie. Der Krieg habe ihr Zuhause zerstört, viele Angehörige seien getötet worden. Deswegen hoffen sie, sich eine sichere Zukunft in Deutschland aufbauen zu können.

Familie Alou | Bildquelle: wdr

Vor 15 Monaten haben sie den Antrag auf Einbürgerung gestellt. Alle erforderlichen Unterlagen seien bei der Behörde. Doch es tue sich nichts. Zudem werden ihre Sorgen durch die öffentliche Debatte um eine strengere Migrationspolitik und mehr Abschiebungen, auch nach Syrien, ständig größer.

Und so hofft Familie Alou weiter auf den deutschen Pass. Doch wegen der überlasteten Ausländerbehörden ist ihre Zukunft unklar.

Über dieses Thema berichten wir auch in der Sendung "Westpol" im WDR Fernsehen am 09.02.25 um 19:30 Uhr.