Josephine Kirchhoff beim Praktikum in einer Pflegeeinrichtung

Berufsförderung für Langzeitarbeitslose in Gefahr

Stand: 20.08.2023, 06:00 Uhr

Der Bund will die Förderung arbeitsloser Jugendlicher nicht mehr mit Steuermitteln bezahlen. Stattdessen soll die Arbeitslosenversicherung ran. Land und Kommunen fürchten: Das geht zu Lasten der Betroffenen.

Von Anne BielefeldAnne BielefeldMartina KochMartina Koch

Nach ihrem Hauptschulabschluss hatte Josephine Kirchhoff aus Gelsenkirchen wenig Halt und keine Perspektive. Mit 19 war sie obdachlos. Erst die Betreuung durch die Katholische Jugendsozialarbeit in Zusammenarbeit mit dem Jobcenter gab ihr wieder Hoffnung. Jetzt macht die inzwischen 20-Jährige ein Praktikum in einer Pflegeeinrichtung. "Ich wäre wahrscheinlich immer noch obdachlos", sagt sie. Sie hat eine persönliche Betreuerin bekommen und sieht sich mittlerweile auf einem guten Weg.

Bund will Berufsförderung aus einer Hand

Doch solche seit Jahren gewachsenen Angebote will der Bund nun zerschlagen. Doppelstrukturen sollen abgeschafft werden, heißt es. Künftig soll für junge Menschen wie Josephine Kirchhoff nur noch die Arbeitsagentur zuständig sein. Deren oberste Chefin Andrea Nahles (SPD) hat in dieser Woche in einem Interview mit der Rheinischen Post erklärt, dass der geplante Wechsel der unter 25-Jährigen zu den Arbeitsagenturen vor allem finanzielle Gründe zu haben scheine. Heißt: Der Bund spart in seinem Haushalt in den nächsten zwei Jahren so 1,4 Milliarden Euro ein.

Kommunen wurden von den Plänen überrascht

Andrea Henze (SPD)

Andrea Henze (SPD), Sozialdezernentin in Gelsenkirchen

In Nordrhein-Westfalen gibt es 53 Jobcenter, die alle von den Sparmaßnahmen betroffen sind. Die Kommunen seien davon im Sommer überrascht worden, sagt Andrea Henze (SPD), Sozialdezernentin in Gelsenkirchen. "Es ist mir in meiner beruflichen Laufbahn überhaupt noch nicht untergekommen, dass ein Gesetzesvorhaben ohne fachlich inhaltlichen Austausch durchgedrückt werden soll.", so Henze. Mit ihrer Kritik steht sie nicht allein da.

In Gelsenkirchen konnten im vergangenen Jahr 1700 Arbeitslose unter 25 mit Unterstützungsangeboten erfolgreich in Arbeit und Ausbildung vermittelt werden.

Träger wie Katholische Jugendsozialarbeit (KJS) auch betroffen

Das liegt auch an der engen Zusammenarbeit mit freien Trägern, wie der KJS in Gelsenkirchen. Dort kümmern sich aktuell 51 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um junge Menschen, die ihren Weg noch nicht gefunden haben. Mit den Kürzungen wären auch die Jobs von zwei Dritteln des Teams gefährdet. Josephine Kirchhoff sagt, sie brauchte einfach zwei Anläufe. Zuerst habe sie gedacht, was können die, was ich nicht selbst kann?! Aber dann beim zweiten Mal habe sie den Unterschied erkannt. Das Praktikum läuft so gut, dass sie gute Chancen auf einen Ausbildungsplatz in der Altenpflege hat. Und dort werden dringend Fachkräfte gesucht.

Laumann warnt vor den Folgen

Die Kürzungen des Bundesarbeitsministeriums kritisiert die NRW-Landesregierung scharf. NRW hatte zunächst eine Bundesratsinitiative eingebracht, der sich alle anderen Bundesländer angeschlossen hatten. Jetzt - vor den Haushaltsberatungen in Berlin - hat Arbeitsminister Karl-Josef-Laumann (CDU) einen offenen Brief an alle Entscheider geschrieben. Er fordert, die Kürzungen zurückzunehmen. Diese führten nämlich unter anderem auch dazu, dass das von der Wirtschaft so dringend benötigte Arbeitskräftepotenzial ungenutzt bliebe, so Laumann.

Über dieses Thema berichten der WDR am 20.08.2023 in Westpol, ab 19.30 im WDR Fernsehen.

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