CCS: Neue Pipelines quer durch NRW

Stand: 11.04.2025, 11:27 Uhr

In NRW soll ein CO2-Pipelinenetz die Zukunft der Industrie sichern. Land und Bund sind überzeugt von dem Milliardenprojekt. Doch die Herausforderungen sind größer als bisher gedacht, zeigen Recherchen von WDR und Correctiv.

Von Felix Mannheim und Jule Zentek

Zement, Kalk, Stahl - NRW zählt zu den wichtigsten Industrieregionen Deutschlands und Europas. Gerade deshalb sind die wirtschaftlichen Sorgen hier besonders groß. Neben der stagnierenden wirtschaftlichen Lage stellt auch das Ziel der Klimaneutralität viele Unternehmen vor eine große Aufgabe. Zahlreichen Branchen bangt es vor dem steigenden CO2-Preis.

Neue Technologie soll Kosten senken

Während einige Unternehmen ihre Produktionsprozesse von fossiler Energie auf Strom umstellen können, ist das für andere Branchen schwieriger bis unmöglich, wie für die Zementindustrie. Um langfristig bestehen zu können, setzen die Unternehmen auf eine spezielle Technologie: CCS. Dabei soll das CO2 aus Verbrennungsprozessen abgefangen und langfristig gespeichert werden, etwa unter der Nordsee.

CO2-Speicherung laut Koalitionsvertrag "unerlässlich”

Für die kommende Bundesregierung aus Union und SPD ist der Einsatz von CCS laut Koalitionsvertrag "unerlässlich" für den Klimaschutz. Darin heißt es, der Einsatz solle "insbesondere für schwer vermeidbare Emissionen des Industriesektors und für Gaskraftwerke" ermöglicht werden. Zudem wolle man dem Bau von CCS-Anlagen und -Leitungen ein "überragendes öffentliches Interesse" einräumen, um diesen zu beschleunigen. Schließlich soll in den kommenden Jahren bundesweit ein komplett neues CO2-Pipelinenetz entstehen - ein Großteil davon in NRW.

Pipeline-Netz bis zur Nordsee

Der sogenannte "Delta Rhine Corridor” (DRC) soll von der deutschen und niederländischen Nordsee kommend übers Ruhrgebiet bis in den Kölner Süden quer durch NRW verlaufen. Neben CO2 soll in den Leitungen auch Wasserstoff transportiert werden. Rund 450 Kilometer Pipeline sind dafür auf deutscher Seite geplant. Für Unternehmen ist das günstiger als der CO2-Transport per Schiff oder Zug.

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Doch wo die Trassen verlaufen und welche Unternehmen angeschlossen werden, ist noch unklar. Zunächst braucht es dafür noch eine Raumverträglichkeitsprüfung. 2033 könnten erste Unternehmen in NRW an die Pipeline angeschlossen werden, so Betreiber Open Grid Europe (OGE). Dessen Marktumfrage zeigt 2030 einen Transportbedarf von 16 Millionen Tonnen CO2 nur in NRW.

CO2-Gemische: Problem für sicheren Pipeline-Betrieb

Doch gemeinsame Recherchen von WDR und Correctiv zeigen: Die Hürden und Risiken für die Umsetzung des geplanten Pipelinenetzes liegen höher als bisher angenommen. Denn CO2 kontrolliert zu transportieren ist viel komplizierter als etwa Wasserstoff.

Je nach Industrie kommen mit dem CO2 auch noch Begleitstoffe wie Stickoxide, Schwefeloxide oder Wasserdampf in die Leitung.

"Wenn man ein sogenanntes Stoffgemisch in der Leitung hat, ist das problematisch für den sicheren Betrieb der Pipeline.” Karin Arnold, Co-Leiterin des Forschungsbereichs Systeme und Infrastrukturen am Wuppertal-Institut

Denn treffen die Gemische dort aufeinander, können sie chemisch unkontrolliert reagieren. Dadurch kann es zu Korrosion kommen, im schlimmsten Fall außerdem zu einem "Phasenwechsel", wobei sich das CO2 plötzlich ausdehnt. Führt das zu Rissen in der Leitung, kann CO2 unkontrolliert entweichen. In großen Mengen kann CO2 zu Bewusstlosigkeit oder Erstickung führen. In den USA mussten nach einem solchen Unfall im Jahr 2020 45 Menschen ins Krankenhaus.

Lösungen sind noch in Arbeit

Um das zu verhindern, müssen einheitliche Regeln für die Reinheit und Beschaffenheit des transportierten CO2 festgelegt werden. Zuständig dafür ist der Deutsche Verband des Gas- und Wasserfaches (DVGW) mit Hauptsitz in Bonn. Das Regelwerk sei zwar fast fertig, sagt Björn Munko, Leiter Gastechnologien und Energiesysteme am DVGW. Das Problem der Begleitstoffe sei allerdings bisher nicht gelöst. Auch, weil die Erfahrungen fehlten.

NRW begibt sich mit CO2-Pipelines weltweit auf Neuland

Die grüne NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur befürwortet dennoch einen schnellen gesetzlichen Rahmen für den Transport von CO2. "NRW ist Industriestandort und soll es auch bleiben", sagt Neubaur.

Doch ein CO2-Pipelinenetz wie jetzt in NRW geplant wäre weltweit Neuland, technisch ist längst nicht alles bekannt. "Die Thematik ist hochrelevant, und es ist überhaupt nicht trivial", sagt Karin Arnold vom Wuppertal-Institut. Das bestätigt auch Andrew Reid, Analyst des US-amerikanischen Institute for Energy Economics and Financial Analysis. Klar ist nur: Umso reiner das CO2 ist, desto weniger risikoreich ist der Transport. Gleichzeitig wird es dann für Unternehmen teurer, das CO2 entsprechend aufzureinigen. "Wir versuchen, ein ökonomisch sinnvolles Mittel zu finden", erklärt Munko vom DVGW.

Am Ende könnte es für die Industrie aber doch länger dauern und teurer werden als gedacht. Aus der vermeintlichen Klimalösung CCS könnte so noch eine Klimafalle werden.  

Unsere Quellen:

  • Recherchen des WDR-Magazins Westpol
  • Open Grid Europe
  • Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches
  • Koalitionsvertrag vom 09.04.2025
  • Wuppertal Institut
  • Landeswirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne)

Diese Recherche entstand in Zusammenarbeit mit dem Onlinemagazin Correctiv. Deren Recherche lesen Sie hier.

Über dieses Thema berichtet das WDR-Fernsehen auch am 13.04.2025 um 19.30 Uhr im Magazin "Westpol".

Die Recherche wurde gefördert und unterstützt von Netzwerk Recherche und Ecosia. Weitere Informationen finden Sie hier: nrch.de/stipendien