Im Herbst 2013 landete der erste Cum-Ex-Fall auf Anne Brorhilkers Schreibtisch. Seitdem ermittelt die Oberstaatsanwältin gegen Banker, Berater und Aktienhändler, die sich Milliarden an Steuern erstatten ließen, die sie zuvor nicht gezahlt hatten. Die ersten wegweisenden und inzwischen rechtskräftigen Urteile des größten deutschen Steuerskandals beruhen vor allem auf Brorhilkers Anklagen.
Inzwischen leitet sie eine Hauptabteilung, ermittelt mit 30 Staatsanwältinnen sowie Kriminalbeamten und Steuerfahndern gegen mehr als 1.700 Beschuldigte. In Brorhilkers Hauptabteilung H stapeln sich die brisanten Fälle: Ermittlungen gegen die einstigen Verantwortlichen der Landesbanken WestLB und HSH Nordbank etwa, die trotz ihrer staatlichen Eigentümer im Verdacht stehen, ordentlich in die Staatskasse gegriffen zu haben.
Brorhilker verantwortete Warburg-Anklage
Auch Cum-Ex-Fällen bei Großbanken und internationalen Investmentbanken spürt Brorhilker nach, und sie brachte zuletzt auch den Hamburger Cum-Ex-Skandal rund um die Privatbank MM Warburg vor Gericht, der längst auch Fragen nach der Rolle des damaligen Ersten Hamburger Bürgermeisters und heutigen Bundeskanzlers Olaf Scholz aufwirft.
Seit Anfang der Woche sitzt der einstige Warburg-Chef Christian Olearius auf der Anklagebank. 2021 wurde die Strafverfolgerin in Köln zur Hauptabteilungsleiterin befördert. Das US-Medienhaus Bloomberg zählte sie im gleichen Jahr zu den 50 wichtigsten Persönlichkeiten weltweit.
Staatsanwältin soll Fälle abgeben
Trotz ihrer Erfolge soll Brorhilker nun offenbar entmachtet werden. So plant der derzeitige Leiter der Staatsanwaltschaft Köln, die von Brorhilker geleitete Hauptabteilung aufzuteilen. Die Oberstaatsanwältin müsste wohl die Hälfte ihrer Mitarbeiter und Fälle abgeben. Die zweite Hauptabteilung soll von einem in Sachen Cum-Ex bislang unerfahrenen Staatsanwalt übernommen werden, der bislang im Justizministerium das Referat für Jugendstrafrecht leitete. Über die Pläne berichtete zuerst das "Manager Magazin".
Nach Recherchen des WDR hatte die Generalstaatsanwaltschaft Köln bereits Anfang des Monats in einem vertraulichen Bericht die Pläne deutlich kritisiert. Die Einschätzung des Generalstaatsanwalts bringt nun auch Justizminister Limbach in Erklärungsnot.
Widerstand gegen geplante Maßnahme
Demnach berichtete der Generalstaatsanwalt Anfang September an das Justizministerium, dass die Maßnahme offenbar gegen den Willen von Oberstaatsanwältin Brorhilker erfolgen solle und es vor diesem Hintergrund fraglich sei, ob ein solcher Umbau zielführend sei. Schließlich würde sich bei zwei Hauptabteilungsleitern die Frage stellen, wer die Gesamtleitung innehabe. Die Cum-Ex-Fälle seien derart komplex und verwoben, dass die jetzige Struktur mit Brorhilker an der Spitze inhaltlich Sinn ergebe. Es könne gar der Eindruck entstehen, argumentierte der "General", dass durch eine Aufspaltung der Eindruck entstehe, dass die Cum-Ex-Ermittlungen behindert würden.
Weder die Staatsanwaltschaft Köln noch die Generalstaatsanwaltschaft wollten den Vorgang auf Anfrage kommentieren. NRW-Justizminister Limbach äußerte sich am Mittwoch zu den Entmachtungsplänen vor der Kamera des WDR-Politmagazins Westpol. Auf die geplante Aufspaltung angesprochen, verwies er auf den kommissarischen Leiter der Kölner Staatsanwaltschaft. Der habe zwar Maßnahmen vorgeschlagen, diese seien ihm aber noch nicht berichtet worden. Es sei auch noch nichts entschieden.
"Es ist die Aufgabe des Leitenden Oberstaatsanwalts in seiner Behörde zu gucken und zu überlegen, wie er diese Behörde organisieren und strukturieren will", so Limbach. "Wenn er bestimmte Vorschläge machen will, dann wird er sie über den Generalstaatsanwalt an das Ministerium berichten. Und dann werden wir das prüfen."
Was wusste das Ministerium wirklich?
Entspricht das der Wahrheit? Der interne Bericht der Generalstaatsanwaltschaft zeichnet nach WDR-Informationen jedenfalls ein ganz anderes Bild. Demnach mischte das Ministerium bei den Plänen zur neuen Struktur durchaus mit. Gespräche über die Neustrukturierung, hielt der Generalstaatsanwalt fest, seien zunächst direkt zwischen Ministerium und Staatsanwaltschaft Köln geführt worden, über seine Behörde hinweg.
Der Hauptstaatsanwaltsrat, also die Personalvertretung der Staatsanwältinnen und Strafverfolger in NRW, hat offenbar ebenfalls Zweifel an der Darstellung des Ministers. In einem internen Newsletter, der dem WDR vorliegt, berichten die Personalvertreter von einem Gespräch mit Limbach am Montag dieser Woche, in dem es auch um die Umstrukturierung der Hauptabteilung ging.
Auch hier betonte Limbach offenbar seine Ahnungslosigkeit. "Bezüglich möglicher organisatorischer Veränderungen in der Hauptabteilung H ("Cum ex") erklärte der Justizminister, damit noch nicht befasst worden zu sein", heißt es in dem Newsletter.
Und auch an anderer Stelle droht dem grünen Justizminister Ungemach. Es geht um E-Mail-Postfächer aus dem innersten Kreis des einstigen Ersten Hamburger Bürgermeisters und heutigen Bundeskanzlers: Olaf Scholz. Mails, getippt vom heutigen Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt zum Beispiel oder von Scholz‘ einstiger Büroleiterin. Sichergestellt wurden sie bei einer Razzia der Staatsanwaltschaft Köln.
In der Warburg-Affäre gehen die Ermittler dem Verdacht nach, ob Hamburger Politiker und Finanzbeamte der Privatbank Warburg geholfen haben, gestohlene Steuergelder auch dann noch behalten zu dürfen, als der Skandal im Jahr 2016 längst aufgeflogen war. Gegen Olaf Scholz wird nicht ermittelt. Doch von den Mails aus seinem Umfeld erhofften sich die Strafverfolger aus NRW offenbar weitere Erkenntnisse.
Schwieriger Austausch mit NRW-Staatsanwaltschaft
Auch Abgeordnete des Hamburger Cum-Ex-Untersuchungsausschusses bemühen sich um diese Kommunikation. Seit mehr als einem Jahr müht sich der Arbeitsstab des Untersuchungsausschusses nun schon um die Mails. Fristen wurden gestellt – und sind verstrichen. Der Leiter der Kölner Staatsanwaltschaft trat im Streit um die Herausgabe von sichergestellten Asservaten im Sommer zurück. Eine hochrangige Delegation des NRW-Justizministeriums reiste gen Norden, gelobte Besserung.
All das brachte aus Sicht der Hamburger CDU nicht das gewünschte Ergebnis: Eine vom CDU-Obmann Richard Seelmaecker gesetzte, letzte Frist endete am Mittwoch. Genau an diesem Tag erklärte Limbach gegenüber Westpol. Er habe eine "tagesaktuelle, gute Nachricht". Die Daten seien nun von der Staatsanwaltschaft Köln freigegeben und könnten "in den nächsten Tagen" übermittelt werden.
Richard Seelmacker, CDU, traut dem Versprechen des Ministers nicht. Schließlich seien seit dem letzten Versprechen Limbachs zwei Monate folgenlos verstrichen. Seelmaecker selbst habe auf seinen Brief bislang keine Reaktion erhalten. Die Daten lagen dem Arbeitsstab am Freitag nicht vor. "Die Frist ist verstrichen, ich habe nichts erhalten. Ich werde jetzt die Klage vorbereiten", sagt Seelmaecker dazu.