In Siegburg muss gespart werden. Das klingt für eine Stadt in NRW nicht ungewöhnlich. Doch hier gilt das ganz besonders. Die Stadt im Rhein-Sieg-Kreis steht so tief in der Kreide wie kein anderer Ort. Hier ist die Pro-Kopf-Verschuldung laut dem Statistischen Landesamt IT.NRW am höchsten: 11.577 Euro Schulden pro Einwohnerin und Einwohner.
Wie ist das passiert? Bürgermeister Stefan Rosemann (SPD) versucht sich an einer Antwort: "Da wir sehr viel investiert haben, da kann man jeweils über Sinn und Unsinn streiten, haben wir eben auch entsprechend viele Kredite und einen vermeidlich sehr hohen Schuldenberg." Vor allem hätte es in der jüngeren Vergangenheit Geld gegeben für Schulen und Kitaplätze. Aber auch für Straßen und Infrastruktur hat Siegburg viel ausgegeben. "Kitaplätze machen eine Stadt wie Siegburg ja auch lebenswert für junge Familien. Und als Einkaufsstadt brauchen wir Investitionen, damit wir attraktiv sind, damit wir eine gute Verkehrsanbindung haben. Aber das geht halt nicht ohne Investitionen."
Seit Jahrzehnten ohne Schulden
In Raesfeld im Kreis Borken funktioniert Geldpolitik offenbar anders. "Wir sind seit fast 30 Jahren schuldenfrei", sagt Bürgermeister Martin Tesing (CDU) sichtlich stolz. Auf dem Papier stehen allerdings doch ein paar Schulden: Im Jahr 2021 lagen sie umgerechnet bei rund 36 Euro pro Bewohnerin und Bewohner. Nur in Salzkotten liegt die Pro-Kopf-Verschuldung mit knapp sieben Euro noch niedriger. Die Schulden in Raesfeld entstanden durch das Förderprogramm "Gute Schule" der Landesregierung. Bei dem nehmen – einfach gesagt – die Kommunen Schulden für das Land auf, denn das Land zahlt die gesamten Fördermittel. Deshalb zählt Tesing diese Schulden nicht mit.
Badebus statt Schwimmbad
Was ist das Geheimrezept einer fast schuldenfreien Stadt wie Raesfeld? "Wir geben einfach nur das Geld aus, das wir haben", antwortet der Bürgermeister. Für ihn sei das auch eine Frage der Generationengerechtigkeit: "Ich will unseren Kindern keinen riesigen Schuldenberg überlassen." Deshalb wird jede potenzielle Ausgabe zweimal geprüft und wenn möglich eingespart.
Ein paar Beispiele: Anstatt ein teures Schwimmbad zu bauen, hat die Stadt vor Jahren einen sogenannten Badebus eingerichtet. Der bringt die Bürgerinnen und Bürger kostenlos in die Schwimmbäder der Nachbarorte. Der neue Kunstrasenplatz ist von privaten Unternehmen gebaut worden. Die neue Kita ist in privater Trägerschaft – und die Stadt agierte jeweils nur als Vermittlerin. Die Stadt habe also eine gute Infrastruktur, sagt Tesing. Trotzdem muss an der ein oder anderen Stelle gespart werden, gibt er zu: "Wir hatten Glück, dass die Politik parteiübergreifend diesen Kurs immer mitgemacht hat." So gut klappt es lange nicht überall.
Über 60 Milliarden Euro Schulden
Insgesamt hat sich die Schuldensumme der Gemeinden in NRW während der vergangenen drei Jahren kaum verändert. So lag sie Ende 2021 immer noch bei 60,1 Milliarden Euro. Was dabei auffällt: Die Summe ist trotz der Coronapandemie nicht größer geworden. "Das liegt daran, dass der Bund und die Länder ausgeholfen haben. Sie haben zum Beispiel den Einbruch der Gewerbesteuer ausgeglichen, die eine der wichtigsten Einnahmequellen für die Städte und Kommunen bildet", erklärt Tobias Hentze vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln.
Aber wie schrumpft der Schuldenberg? Das ist laut Hentze nicht einfach zu beantworten. Viele Kommunen befinden sich in einem "Teufelskreis", wie er es nennt: "Wer neue Schulden aufnimmt, der muss wieder mehr Zinsen zahlen. Dann fehlt wiederum Geld für andere Dinge, zum Beispiel den Schuldenabbau." Das Geld fehlt dann aber auch für langfristige Investitionen, die in Zukunft Geld abwerfen könnten. Oder für soziale Investitionen, wie die Modernisierung der Schulen, neue Spielplätze oder Hilfe für die örtlichen Sportvereine.
Schulden jahrzehntelang angehäuft
Dass die Unterschiede in NRW so groß sind, hat verschiedene Gründe. Da sind zum Beispiel strukturelle Gegebenheiten, erklärt Ökonom Hentze: "Wir haben auf der einen Seite den Strukturwandel im Ruhrgebiet. Auf der anderen Seite haben wir boomende Regionen mit viel Wachstumspotenzial." Im Ruhrgebiet müssen viele Städte ihr meistes Geld dafür verwenden, die laufenden Kosten für die Sozialhilfe zu begleichen. In anderen Städten ist die Arbeitslosigkeit viel geringer und die Steuereinnahmen damit höher.
Die Unterschiede zeigen sich aber auch innerhalb einer Stadt. In Meerbusch liegt die Pro-Kopf-Verschuldung laut dem Landesamt IT.NRW bei knapp über 1700 Euro pro Person. Allerdings leben hier auch die meisten Einkommensmillionäre: Auf 10.000 Einwohnerinnen und Einwohner kommen 20.5 Millionäre. Insgesamt gab es in NRW 2018 unter fast 18 Millionen Einwohnern knapp 6000 Einkommensmillionäre - ein deutlicher Anstieg. Aktuellere Daten gibt es laut Finanzamt und IT NRW noch nicht.
Markus Berkenkopf, Referent für Haushalts- und Finanzpolitik beim Bund der Steuerzahler (BdSt) NRW, sagt, Fehler seien schon vor Jahrzehnten gemacht worden: "Den Kommunen wurde erlaubt, immer weiter und fast ohne Limit Schulden aufzunehmen. Sie sollten aber nur das Geld ausgeben, das sie wirklich haben." Er fordert, dass Ausgaben strenger geprüft werden müssen. Außerdem müssten die Kommunalpolitikerinnen und -Politiker ihre Standards überdenken: "Brauche ich wirklich Kunstwerke an jeder Wand einer neuen Schule, oder reicht nicht erstmal das Gebäude?"
Diskussion um Altschulden
In der Landespolitik wird über einen Schnitt der kommunalen Altschulden schon länger diskutiert - im Koalitionsvertrag der NRW-Regierung ist die Rede davon, "noch in diesem Jahr gemeinsam mit dem Bund eine Lösung" vereinbaren zu wollen.
Bürgermeister Rosemann aus Siegburg wird auch weiterhin Schulden machen – gerade in Zeiten der Energiekrise, sagt er: "Es ist keine gute Zeit um tatsächlich drüber zu reden, wie kommen wir von Schulden runter. Denn es werden ja eher mehr Anforderungen an eine Kommune wie Siegburg gestellt als weniger. Dann ist das eher die Hauptaufgabe der Kommunalpolitik darauf zu achten, dass man, wenn man schon Schulden macht, nur noch die ganz notwendigen Schulden macht."