Philipp Uhlig studiert an der Uni Bielefeld Psychologie. Der 25-Jährige hat zwar ein Smartphone, will sich aber nicht vorschreiben lassen, wofür er es nutzt. Mit der Einführung des Deutschlandtickets gibt es für Studierende in Bielefeld das Semesterticket jetzt nur noch in einer App. Doch Uhlig lehnt es ab, die Dienste großer IT-Anbieter dafür zu nutzen. Denn die würden im Hintergrund Daten abgreifen. Philipp Uhlig konnte zwar durch Nachfragen doch noch eine Chipkarte bekommen, aber ihn ärgert sehr, dass diese Möglichkeit nicht öffentlich kommuniziert werde.
Recht auf Leben ohne Digitalzwang?
Philipp Uhlig hat nichts gegen die Digitalisierung, aber er will die Wahl haben, wann und wo er sein Smartphone einsetzt. Deshalb engagiert er sich in der Hochschulgruppe des Vereins Digitalcourage, der sich seit 1987 für Grundrechte und Datenschutz einsetzt. Der Verein befürchtet, dass die Digitalisierung mit der Brechstange durchgesetzt werden soll.
Aktuelles Beispiel sei die Umstellung der Rabatt-Angebote der Deutschen Bahn, die die Bahncard 25 und 50 nur noch über App rein digital anbieten möchte. Deshalb hat der Verein eine Petition an den Bundestag gestartet, um das Recht auf Leben ohne Digitalzwang im Grundgesetz zu verankern.
Großes Interesse an Petition
Mehr als 30 000 Unterschriften hätten sie in ersten drei Wochen gesammelt, so Pressesprecherin Julia Witte gegenüber dem WDR. Das sei tatsächlich die erfolgreichste Kampagne, die sie bisher hatten. "Es geht uns nicht darum, Digitalisierung als solches abzulehnen, sondern es geht uns darum, Teilhabe sicherzustellen und Wahlfreiheit zu erhalten", begründet Julia Witte die Forderung, das Recht auf Leben ohne Digitalzwang ins Grundgesetz aufzunehmen. Ein Jahr lang wollen sie dafür werben.
Ist Grundgesetzänderung wirklich nötig?
Die FDP-Landtagsfraktion, in NRW in der Opposition, lehnt eine Grundgesetzänderung ab, da dies mutmaßlich Bürokratieaufbau und eine Digitalisierungsbremse auslösen würde, so ein Sprecher gegenüber dem WDR.
Die mitregierenden Grünen äußern sich nicht klar dazu. Man müsse sicherstellen, dass alle Teile unserer Gesellschaft am öffentlichen Leben teilhaben könnten, heißt es auf WDR-Anfrage. "Das muss auch in Zeiten einer umfangreichen Digitalisierung so sein“, sagt die digitalpolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion Julia Eisentraut.
NRW-Digitalministerin Ina Scharrenbach (CDU) hat zum Ziel, bestimmte Angebote künftig nur noch digital vorzuhalten. Aber da müsse differenziert werden. "Da, wo es um soziale Leistungen geht, finde ich, braucht es immer eine Mensch-zu-Mensch-Beratung“, so Scharrenbach gegenüber dem WDR.
Wohlfahrtsverbände warnen vor Ausgrenzung
Fünf Prozent aller Menschen zwischen 16 und 74 in Deutschland sind noch offline, so das statistische Bundesamt. Mehr als 10 Millionen Menschen besitzen kein Smartphone.
Die Caritas in Herne bietet seit mehr als 20 Jahren Schulungen mit ehrenamtlichen Lehrkräften für Ältere an. In diesem Jahr habe man die Kurse - unter anderem aus Platznot - reduzieren müssen, so die zuständige Sozialarbeiterin Mechthild Greifenberg. Man könnte viel mehr machen, die Nachfrage sei da. Sie glaubt, dass die Generation über 75 definitiv durch die Digitalisierung ausgegrenzt würde, wenn sie keine Hilfestellung bekäme, so Greifenberg.
Interesse an digitaler Teilhabe groß
Genau an so einer Schulung nimmt Martina Wittke teil. Die 66-Jährige hat sich von ihren Nachbarn zur Smartphone-Schulung bei der Caritas überreden lassen. Dort habe sie gelernt, wie man einen QR-Code scannen kann und Apps auf das Smartphone lädt. Das war für sie wichtig, da Supermarkt-Unternehmen zunehmend Rabatte nur noch über eine App anbieten. Martina Wittke und ihre Nachbarn empfinden das Tempo der Digitalisierung als sehr hoch. Alles sei sehr schnelllebig, so Wittke. Deshalb überlegen sie noch einen Kurs zur Tablet-Nutzung zu belegen.
Digitalkompetenz-Strategie für NRW
Digitalministerin Ina Scharrenbach stellt fest, dass Deutschland bei den Digitalkompetenzen der Bürger im EU-Vergleich unter dem Durchschnitt abschneide. Deswegen kündigt sie gegenüber dem WDR eine Digitalkompetenz-Strategie für das Land an. "Mit Fähigkeiten kommt das Vertrauen in digitale Verfahren“, so Scharrenbach. Viele Menschen hätten schlicht Angst, etwas zum Beispiel bei elektronischen Antragstellungen falsch zu machen.
Analoge Alternativen sind möglich
Die Stadtsparkasse Düsseldorf testet seit letztem Jahr ein Elektronisches Serviceangebot (ELSA) in Filialen. In einer Box können Kunden, die noch kein Onlinebanking nutzen oder denen der Telefonservice nicht reicht, per Video durch erfahrene Servicekräfte bei Bankgeschäften unterstützt werden. Seit dieser Woche gibt es das Angebot in sechs Filialen. Und es soll weiter ausgebaut werden.
Darüber berichten wir auch im WDR-Fernsehen in der Sendung Westpol am Sonntag, den 16.6.2024, ab 19:30 Uhr.