Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sieht offenbar noch Entwicklungsbedarf beim dritten Entlastungspaket. Auf Bundesebene sitzt seine Partei in der Opposition - hat also nicht an dem Werk mit verhandelt. "Wenn die Länder mit bezahlen sollen, müssen sie auch mit entscheiden können", lautete Wüsts Kommentar am Montag dem WDR gegenüber. Dieses Paket müsse jetzt "endlich mal sitzen". Es gebe noch viele offene Fragen, über die Wüst "sehr zeitnah" bei einer Ministerpräsidentenkonferenz mit dem Bundeskanzler beraten möchte.
Thomas Kutschaty, SPD-Fraktionsvorsitzender in NRW, lobte dagegen das Entlastungspaket, das SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz am Sonntag vorgestellt hatte, als "gute Nachricht für die Menschen". Die Entlastungen in Höhe von 65 Milliarden Euro würden "unmittelbar bei den Menschen ankommen", die angesichts der hohen Preissteigerungen besonders unter Druck stünden.
SPD: Menschen in Wohnwagen
"Die Ampel-Koalition hilft und entlastet", schwärmte Kutschaty regelrecht in seinem Statement von Sonntag. "Niemand wird in dieser Zeit allein gelassen", sagte der SPD-Politiker. Um dann die Keule gegen die NRW-Landesregierung zu schwingen, in deren Opposition sich seine Partei befindet: Das Entlastungspaket zeige: "Es macht einen Unterschied, wer regiert." Während Schwarz-Grün "die Hoffnungen der Menschen auf substanzielle Entlastungen durch das Land enttäuscht, arbeiten die Ampel-Parteien seit Wochen mit Hochdruck an einer gemeinsamen Lösung."
Die NRW Landesregierung dürfe sich "nicht länger aus der Verantwortung stehlen, wenn Familien in Zahlungsschwierigkeiten geraten oder Menschen in Wohnwagen ziehen, weil sie hohe Mieten und explodierende Energiekosten nicht mehr stemmen können".
Finanzierung der Nachfolge für 9-Euro-Ticket noch unklar
An den Bundesverkehrsminister gerichtet mahnte Kutschaty, schnell ein günstiges und bundesweit gültiges Nachfolgemodell für das 9-Euro-Ticket zu schaffen. Die dafür geplanten 1,5 Milliarden Euro seien "eine gute Grundlage". Das erfolgreiche 9-Euro-Ticket hatte alleine für die Dauer von drei Monaten 2,5 Milliarden gekostet.
NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) dagegen sieht die Finanzierungsfrage für ein Nachfolgeticket noch überhaupt nicht geklärt: Die Länder hätten kaum die Möglichkeit, ein solches Ticket zu bezahlen, sagte Krischer dem WDR. Über den Vorschlag vom Bund, die Hälfte zu übernehmen, müsse nun verhandelt werden.
Grüne: "NRW ist soldiarisch"
Die Fraktionschefin der Grünen, Verena Schäffer, äußert sich auffallend allgemein über das dritte Entlastungspaket, das unter anderem ihre Parteikollegen im Bund mit zu verantworten haben. Es werde "viele Menschen in der jetzigen Krisensituation mit stark gestiegenen Lebenshaltungskosten unterstützen". NRW sei "solidarisch" und werde sich an den Kosten beteiligen. Allerdings zeichne sich mit dem dritten Paket "eine Summe für die Länder ab, die unsere Handlungsspielräume auf Landesebene deutlich reduzieren wird". Auch Schäffer hält daher eine zeitnahe Konferenz der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten mit dem Bundeskanzler für dringend notwendig.
Heftige Kritik kommt vonseiten der CDU in NRW, die ihren Sozialexperten und Vizevorsitzenden der Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA), Dennis Radtke, sprechen lässt: Das Entlastungspaket sei ein "Tropfen auf den heißen Stein". Radtke hat dabei vor allem die Wirtschaft im Blick: Das Paket enthalte keine Senkung der Energiesteuern und keinen "Industriestrompreis". Unternehmen im Ruhrgebiet hätten ihm von Energiekostenstiegerungen um 900 Prozent berichtet. Für die energieintensive Industrie renne die Zeit gerade davon.
Rabatt-App für Niedrigverdiener
Aber auch die Einmalzahlung an Rentner, Studierende und Auszubildende seien nicht ausreichend, meint Radtke. Sinnvoller hätte der CDU-Politiker eine App gefunden, mit der Menschen mit einem Einkommen unterhalb einer bestimmten Grenze einen Rabatt von zehn Prozent auf den Einkauf von wichtigen Lebensmitteln bekommen würden. Den Differenzbetrag, so Radtkes Idee, solle der Handel vom Bund erstattet bekommen.
Auch die NRW-Unternehmensverbände kritisieren das Paket als "unzureichend für Wirtschaft und Industrie". Es werde der dramatischen Lage an den Strom- und Gasmärkten für die Betriebe nicht gerecht. Vielen Unternehmen drohten angesichts der massiven Kostenbelastung "kurzfristig Produktionskürzungen und bald die Schließung", warnte Johannes Pöttering, Geschäftsführer der Landesvereinigung Unternehmer NRW. Bei Produzenten von Flachglas etwa führe allein die Einführung der Gasumlage zu Mehrkosten von rund 29.000 Euro pro Mitarbeiter im Jahr. Der Verband fordert, Kohlekraftwerke schnell aus der Reserve wieder ans Netz zu bringen und die Laufzeit der Atomkraftwerke zu verlängern.
Sozialverband VdK: "Beeindruckend"
Ganz andere Töne kommen vom VdK, dem größten Sozialverband Deutschlands. Das Entlastungspaket sei "beeindruckend", sagte der NRW-Vorsitzende Horst Vöge dem WDR. Besonders lobt er die Energiepauschalen für Rentner und Studierende und das Plus für Wohngeldempfänger. Um zu sehen, ob die Beträge ausreichen, müsse man das nächste halbe Jahr abwarten - wenn sich die gestiegenen Energiekosten bemerkbar machen.
Dass die Strompreisbremse, die durch die Abschöpfung der Übergewinne von Energiekonzernen möglich werden soll, allen Menschen zugute kommt, sei sicherlich "mehr Gießkanne als zielgerichtet", räumt Vöge ein - aber immerhin profitierten auch Menschen mit Niedrigeinkommen davon.
Beim Kindergeld ist Vöge allerdings nicht zufrieden: 18 Euro plus pro Kind seien zu wenig, um Verarmung zu vermeiden. Und auch für ein Nachfolgemodell für das 9-Euro-Ticket hätte es bereits eine Lösung geben müssen, meint er, denn es sei zu befürchten, dass sich die Verhandlungen zwischen Bund und Ländern allein über die Finanzierung nun hinziehen würden.