Verwandte aus dem Erdbeben-Gebiet nach Deutschland holen: So funktioniert die Visa-Vergabe
Stand: 13.02.2023, 13:25 Uhr
Erdbebenopfer sollen schnell und unbürokratisch nach Deutschland kommen dürfen. Doch so einfach ist das nicht. Fragen und Antworten zur Visa-Vergabe in der Türkei und den Verpflichtungen für die Verwandten in Deutschland.
Von Oliver Scheel
Kälte, Hunger, kein Dach über dem Kopf und der Tod ist allgegenwärtig. Da liegt der Gedanke nahe, dass Menschen in Deutschland ihre Verwandten aus dem Erdbebengebiet in der türkisch-syrischen Grenzgebiet zu sich holen. Die Bundesregierung will daher die Visa-Vergabe für Menschen aus dem Erdbebengebiet vereinfachen. Das ist derzeit bekannt:
Wie bekommen Betroffene ein Visum?
Um nach Deutschland einreisen zu dürfen, benötigen auch Erdbebenopfer, die Verwandte in Deutschland haben, ein Visum.
Die Visavergabe soll so unbürokratisch wie möglich funktionieren. Das Auswärtige Amt geht derzeit von fünf Tagen Bearbeitungszeit aus. Dafür müssten die Unterlagen aber komplett vorliegen. Um den Prozess etwas zu beschleunigen, kommt Deutschland den Betroffenen entgegen. Ein deutscher Außenamtssprecher sagte, es müsse wenigstens "ein Minimum von Unterlagen" vorgelegt werden.
Für die Visumvergabe in der Türkei ist der externe Dienstleister iData zuständig. Seit dem 13. Februar werden Termine für die Visa-Beantragung in den landesweiten Niederlassungen der Visa-Annahmezentren vergeben. Wer ein Visum möchte, muss nachweisen, dass der Wohnsitz im Erdbebengebiet liegt und dass die Person vom Erdbeben betroffen ist.
Eine persönliche Vorsprache beim Dienstleister iData sei dafür erforderlich. Dafür habe man in der Türkei das Personal verstärkt und Kapazitäten umgeschichtet, sagte Außenministerin Annalena Baerbock. "Antragsteller, die in den letzten 5 Jahren bereits Fingerabdrücke zur Beantragung eines Schengen-Visums abgegeben haben, müssen nicht persönlich bei iData erscheinen, sondern können ihren Antrag über einen bevollmächtigten Vertreter einreichen", heißt es auf der Seite der deutschen Botschaft der Türkei.
Was ist iData?
iData ist der Dienstleister, der Visumanträge für die deutsche und italienische Botschaft bearbeitet. Das Unternehmen wurde 1998 in Istanbul gegründet und bearbeitet für Deutschland die Visumanträge für Schengen-Visa (90 Tage oder weniger).
Alle Anträge für Schengen-Visa laufen ausschließlich über den Dienstleister. Über den Antrag entscheidet dann die deutsche Auslandsvertretung.
Nur fünf Tage Bearbeitung: Ist das realistisch?
Die deutsche Botschaft schreibt auf ihrer Website, dass eine Antragstellung weniger als 15 Tage vor Reiseantritt "normalerweise nicht mehr zu einer rechtzeitigen Bearbeitung" führt.
Und diese Bearbeitungszeit gilt ja nur für die Anträge, die komplett sind. Doch viele Erdbebenopfer leben auf der Straße oder bei Bekannten und Verwandten. Ihre Häuser sind eingestürzt, ihre Unterlagen verschollen.
Die für ein Visum einzureichenden Unterlagen sind sehr umfangreich. Es werden beispielsweise Einkommensnachweise wie Kontoauszüge benötigt. Doch selbst Banken existieren oft nicht mehr im Erdbebengebiet.
Was ist, wenn der Pass im Erdbebengebiet verloren gegangen ist?
Viele Erdbebenopfer haben ihr gesamtes Hab und Gut verloren. Auch Ausweisdokumente liegen unauffindbar unter den Trümmern. Um auch Personen schnell helfen zu können, die in der Katastrophe ihre Reisedokumente verloren haben, stimme sich das Auswärtige Amt mit türkischen Behörden ab.
"Die Kooperation türkischer Behörden ist für die Ausreise des genannten Personenkreises unerlässlich", schreibt das Auswärtige Amt. Mit anderen Worten: Antragstellende müssen zuerst bei den türkischen Behörden neue Dokumente besorgen.
Wer profitiert von den Erleichterungen bei der Visa-Vergabe?
Bei den Angehörigen muss es sich um Verwandte ersten oder zweiten Grades handeln. Verwandte ersten Grades sind die eigenen Eltern bzw. Söhne oder Töchter. Auch Adoptiveltern und -kinder zählen dazu. Verwandte zweiten Grades sind Geschwister, Großeltern und Enkel.
Wie lange dürfen Betroffene in Deutschland bleiben?
Die Menschen sollen vorerst drei Monate lang bleiben dürfen.
Was müssen die Verwandten in Deutschland machen?
Wer seine Angehörigen nach Deutschland holt, muss eine Verpflichtungserklärung abgeben. Das kommt einer Art Bürgschaft gleich. "Damit verpflichten sich die Einladenden, für alle Kosten aufzukommen, die im Zusammenhang mit dem Aufenthalt des Gastes entstehen, einschließlich der Kosten für eine eventuelle Krankenbehandlung", heißt es auf der Webseite des Auswärtigen Amtes.
Zuständig für die Entgegennahme einer solchen Verpflichtungserklärung sind die deutschen Ausländerbehörden am Wohnort der einladenden Person. Die Formulare werden dort bereitgehalten.
Kann das Visum verlängert werden?
Schengen-Visa können nur in Ausnahmefällen verlängert werden. Diese Visa der Kategorie C berechtigen nur zu Besuchsaufenthalten, für touristische oder geschäftliche Zwecke oder zur ärztlichen Behandlung. Die Betroffenen dürfen also auch nicht in Deutschland arbeiten. Ausnahmegründe für eine Verlängerung könnten im Fall des Erdbebens aber wegen der humanitären Katastrophe vorliegen.
Und was machen Menschen aus Syrien?
Für Menschen aus Syrien ist die Lage noch komplizierter. Antragstellende aus Syrien müssen sich aufgrund der Schließung der Botschaft in Damaskus an die umliegende Auslandsvertretungen wenden. Das bedeutet, sie müssen zur Botschaft nach Beirut in den Libanon oder nach Amman in Jordanien reisen oder das Generalkonsulat in Istanbul aufsuchen. Angesichts der katastrophalen Situation der syrischen Infrastruktur keine leichte Aufgabe.