Fracking in NRW: Chance oder Irrweg?
Stand: 05.02.2023, 16:58 Uhr
Angesichts der Energiekrise fordert die FDP in NRW, zu prüfen, ob man im Land durch Fracking Erdgas fördern könnte. Doch würde sich das lohnen? Laut einer Expertenkomission ist die Technologie heute sicherer als noch vor ein paar Jahren.
Von Anett Selle und Tim Frehler und Andrea Miosga
Ein bisschen klingt es wie eine Idee aus der Mottenkiste: Deutschland soll mehr Erdgas fördern, auch durch Fracking, so der Vorschlag von Bundesfinanzminister Lindner. Vor sechs Jahren hatte die Bundesregierung die umstrittene Technologie verboten. Zu groß erschienen die Risiken für Mensch und Natur. Doch angesichts der Energiekrise fordert nun auch die FDP in NRW, Förderpotenziale neu zu prüfen.
Dieter Brinkmann
Dieter Brinkmann steht auf dem Feld in Drensteinfurt im Münsterland und kann es nicht fassen: Schon einmal hat er dagegen gekämpft, dass hier – mitten in einer der beliebtesten Touristenregionen des Landes – Bohrlöcher und Pumpen aufgebaut werden. Damals – 2010 – wollte der Gaskonzern ExxonMobil Probebohrungen durchführen, um Gasvorkommen zu erkunden. "Man kann sich gar nicht vorstellen, was das für eine unglaubliche Belastung für den Ort, die Natur und die Landschaft wäre", sagt Dieter Brinkmann.
Absage ans Fracking in 2017
Beim Fracking werden Schiefergestein oder Kohleflöze durch ein Wasser-Sand-Chemikalien-Gemisch aufgesprengt. Das darin befindliche Gas kann dann entweichen und gefördert werden. Beim ursprünglichen Verfahren wurden auch verschiedene Fluide eingesetzt, die unter bestimmten Umständen das Grundwasser gefährden können. Nach Berichten aus den USA über Verunreinigungen von Trinkwasser sowie Erdbeben infolge von Fracking, formierte sich in der Bevölkerung hierzulande immer größerer Widerstand. Die Bundesregierung entschied 2017: Fracking wird in Deutschland verboten.
Neue Zeiten – neue Wege
Doch seit dem russischen Angriff auf die Ukraine herrscht Energieknappheit – und so kauft Deutschland fieberhaft weltweit Gas ein. Einer der neuen Lieferanten sind die USA, ausgerechnet das Land, in dem große Mengen an Gas durch das sogenannte unkonventionelle Fracking in tiefen Gesteinsschichten gewonnen werden. In weiten Teilen Pennsylvanias reiht sich Bohrloch an Bohrloch. Das Gas wird per Schiff über den Atlantik gebracht bis zu den neuen LNG-Terminals in Wilhelmshafen, dort dann mit LKW weiter transportiert. Das kostet viel und ist für das Klima extrem schädlich.
Fracking-Methode ist heute sicherer
Professor Frank Schilling
"Das ist ein bisschen schizophren: Wir haben kein Problem, in den USA Frackinggas einzukaufen, welches einen viel schlechteren Klima-Fußabdruck hat, als wenn wir das im eigenen Land machen würden", sagt Professor Frank Schilling vom Karlsruher Institut für Technologie. "Wenn nach den deutschen Umweltstandards Fracking erlaubt wird, sehe ich keine Risiken, die nicht verantwortbar wären."
Diese Einschätzung teilt auch eine Expertenkommission der Bundesregierung in ihrem Abschlussbericht 2021. Die Technologie sei inzwischen besser und sicherer geworden. Auch der Branchenverband der Erdgasindustrie BVEG zeigt auf Westpol-Anfrage Interesse: "Es ist davon auszugehen, dass heimische Förderung wettbewerbsfähig gegenüber LNG-Importen ist – auch langfristig."
Lohnt sich Fracking?
Wieviel Schiefergas in Deutschland allerdings überhaupt geborgen werden könnte, kann zur Zeit niemand mit Sicherheit sagen. Nach einer Schätzung der Bundesanstalt für Geologie und Rohstoffe könnte in deutschen Böden Gas für einer Versorgung von 20 Jahren oder nur 3 Jahren liegen – eine große Spannbreite.
Der Umweltökonom Prof. Oliver Schenker von der Frankfurt School of Finance and Government ist sich sicher, dass Fracking zur Bewältigung der aktuellen Energiekrise in Deutschland nichts beitragen kann. Schließlich dauere es Jahre, bis Abbaugebiete erschlossen, Genehmigungen eingeholt, Anlagen errichtet wären. Dazu seien hohe Investitionen der Unternehmen nötig. Gleichzeitig habe sich Deutschland verpflichtet, bis 2045 klimaneutral zu werden.
"Das heißt, es bleibt dann nur ein sehr kleiner Zeitraum, in dem diese Technik profitabel genutzt werden kann. Und ob sich das in so einem Umfeld rechnet, da habe ich so meine Zweifel."
Abhängigkeit vom Ausland bleibt
Und dann sind da noch die Bürgerproteste: In Drensteinfurt werden sich die Menschen massiv gegen Frackinganlagen wehren, meint Dieter Brinkmann: "Es würde eine große Mobilisierung geben, hunderte Bürger in und um Drensteinfurt mit Demonstrationen und Mahnwachen." Gleiches ist auch für den Niederrhein zu erwarten. Die Landesregierung will auch deshalb das Fracking in NRW nicht vorantreiben. Und so bleibt Deutschland vorerst abhängig von Gaslieferungen aus dem Ausland: aus den USA, Katar oder den Niederlanden.
Dass viele dagegen sind, liegt auch an abschreckenden Beispielen: Wo Gas dem Erdreich entnommen wird, hat das seinen Preis für die Region – ob gefrackt oder gepumpt. In den USA und Kanada löst Gasförderung Erdbeben aus, sogar im westdeutschen Niedersachsen, wo konventionell gefördert wird.
Sorgenkind Groningen
Besonders schlimm ist es in der niederländischen Region Groningen, wo seit den 1960ern das größte bekannte Erdgasvorkommen Europas gefördert wird: Erdbeben kennen sie hier. Mit Stärken bis 3,6. Durch die Erdgasförderung sind Gesteinsschichten im Untergrund instabil geworden. In manch einer Ortschaft mussten 80 Prozent der Häuser abgerissen werden.
Jan Wigboldus, Gasbeirat Groningen
"Schulen und Krankenhäuser sind mittlerweile erdbebenfest", sagt Jan Wigboldus vom Groninger Gasbeirat. "Aber viele Häuser sind immer noch nicht ordentlich verstärkt und das macht mir wirklich Sorgen." In einigen Groninger Ortschaften sieht man auch Häuser, die mit Holzbalken gestützt werden, damit sie nicht auseinanderfallen.
Hier ist oft noch unklar, ob sich der Abriss vermeiden lässt. Aufgrund der Auswirkungen für die Menschen vor Ort soll die Gasförderung eingestellt werden, bis Ende 2024. "Aber die Erdbeben werden dann noch weitergehen", sagt Jan Wigboldus. "Offen ist nur, ob noch einige Jahre, oder Jahrzehnte."