In seiner ersten Regierungserklärung als Chef der neuen schwarz-grünen Landesregierung formulierte Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) einen hohen Anspruch. Im vergangenen Sommer sagte er: "Wir wollen die Einsamkeit konkret überwinden“. Ziel von CDU und Grünen sei es, Menschen, die kaum noch sichtbar seien, zurückzuholen in die Gesellschaft.
Aber wie schafft man das? Ein Hinweis Wüsts hatte die oppositionellen Sozialdemokraten damals stutzig gemacht. Der Ministerpräsident appellierte an die Bürger, einem einsamen Nachbarn vor Weihnachten "einen Teller Plätzchen vor die Tür“ zu stellen - oder ihn mal "zu einer Tasse Kaffee“ einzuladen.
Die SPD-Fraktion schickte deshalb einen langen Fragen-Katalog an die Landesregierung, um zu erfahren, was die Landesregierung zur Einsamkeits-Bekämpfung bisher schon in die Wege geleitet habe. Die 300 Seiten lange Antwort fasst die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Lisa Kapteinat so zusammen: "Es ist ein einziger blinder Fleck“. Bisher habe die Landesregierung nur eine konkrete Maßnahme umgesetzt: Es wurde eine Stabsstelle eingerichtet, zwei Vollzeitkräfte sollen sich um die Vernetzung von Projekten gegen Einsamkeit kümmern.
65 Handlungsempfehlungen
Dabei könne die Landesregierung auf gute Vorarbeit zurückgreifen, sagt Kapteinat. Im Frühjahr des vergangenen Jahres hat eine Enquete-Kommission des Landtags parteiübergreifend 65 Handlungsempfehlungen für den Kampf gegen Einsamkeit vorgelegt. Bisher gebe es aber noch keinen Plan, welche dieser Vorschläge Schwarz-Grün in die Tat umsetzen wolle, so die Kritik.
Arndt Klocke ist Sprecher der Grünen-Fraktion für mentale Gesundheit. Er hat Verständnis für die Ungeduld der Opposition, hält sie aber für unbegründet. Es gehe jetzt an die Umsetzung der 65 Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission, „Schritt für Schritt und gerne wie bisher auch im Konsens mit der Opposition.“
Eine Konferenz gegen die Einsamkeit
In einem ersten Schritt wollen die Regierungsfraktionen einen Schwerpunkt auf die Unterstützung der ehrenamtlichen Organisationen legen. In einem Antrag beauftragen CDU und Grüne die Landesregierung, eine "Einsamkeitskonferenz" mit Betroffenen einzuberufen. Auch ein Förderprogramm für Projekte gegen Einsamkeit soll aufgelegt werden.
Eine Studie wird speziell die Zunahme von Einsamkeit bei Kindern und Jugendlichen erforschen. "Wir wollen wissen: Was ist da konkret zu tun", sagt Arndt Klocke. Einsamkeitsphänomene seien zunehmend auch bei jungen Menschen nach der Schulzeit zu beobachten. Eine wachsende Zahl von ihnen suche medizinische und therapeutische Hilfe.
Doch die SPD bleibt misstrauisch. Lisa Kapteinat warnt davor, nur auf ehrenamtliches Engagement zu setzen. Am Ende brauche es auch staatlich finanzierte Angebote. Auch in dem Punkt beruhigt Arndt Klocke von den Grünen: "Wenn wir zum Beispiel Begegnungsstätten von Jung und Alt aufbauen wollen, ja, dafür braucht es auch Geld, das ist überhaupt keine Frage".