Die unheimlichen Milliardentöpfe der Landesregierung

Stand: 09.12.2023, 06:00 Uhr

Die NRW-Ministerien verfügen über heimliche Reserven, die sich auf acht Milliarden Euro summieren. Diese fetten Polster horten sie völlig legal. Die Opposition ist empört.

Von Wolfgang Otto

Wenn Dennis Maelzer (SPD) richtig gerechnet hat, dann könnte Familienministerin Paul im nächsten Jahr mindestens 135 Millionen Euro mehr ausgeben. Das ist eine Summe, die nach Ansicht des familienpolitischen Sprechers der SPD-Landtagsfraktion "in unseren Kitas dringend benötigt würde, um den Betrieb aufrechtzuerhalten".

Doch ganz sicher kann sich Maelzer noch nicht sein. Denn der wahre Betrag verbirgt sich in einem der undurchsichtigsten Posten des Landeshaushaltes, der am Mittwoch verabschiedet wird: den sogenannten Selbstbewirtschaftungsmitteln. Jedes Ministerium hat neben den für die jeweilige Verwendung genau verbuchten Ausgabenposten auch ein Sonderkonto zur freien Verfügung.

Extra-Konto verschafft Spielräume

Diese Selbstbewirtschaftungsmittel sind für die Kabinetts-Mitglieder eine praktische Sache: Das Geld kann für unvorhergesehene Ausgaben verwendet werden – ein Extra-Konto, das Spielraum verschafft. Weiterer Vorteil: Restsummen auf dem Puffer-Posten dürfen – anders als andere Ausgabe-Titel – jeweils in das nächste Jahr übertragen werden.

Auf diese Weise hat sich in den verschiedenen Ministerien über die Jahre ein hübsches Sümmchen angesammelt. Rund 8 Milliarden Euro waren es nach Angaben von NRW-Finanzminister Markus Optendrenk (CDU) Anfang des Jahres.

Kaum Kontrolle durch Opposition

Doch für die Abgeordneten der Oppositionsparteien sind die Selbstbewirtschaftungsmittel ein Ärgernis. Für sie ist es fast unmöglich, die Sonder-Kassenführung zu kontrollieren.

Mit einem runden Dutzend von Anfragen versucht die FDP-Fraktion gerade Licht in das Dunkel zu bringen. Denn offenbar haben auch die Ministeriums-Spitzen nicht immer den Überblick über den aktuellen Kassenstand.

Optendrenk will an die Spartöpfe

Marcus Optendrenk | Bildquelle: dpa / Oliver Berg

Dabei spielen die XXL-Porto-Kassen bei der Aufstellung des Landeshaushaltes für das nächste Jahr eine besonders wichtige Rolle. Denn im nächsten Jahr ist das Geld auch für die Landesregierung knapp. Finanzminister Optendrenk will die Selbstbewirtschaftungsmittel deshalb anzapfen.

Insgesamt 860 Millionen Euro sollen die Kabinett-Kollegen aus ihren Reserve-Töpfen abliefern, um damit Haushalts-Löcher zu stopfen.

Paul hat fast eine halbe Milliarde "auf der hohen Kante"

Auch das Kinder- und Familienministerium von Josefine Paul muss seinen Beitrag leisten. 490 Millionen Euro an Selbstbewirtschaftungsmitteln hatte sie nach eigenen Angaben bisher angespart. Davon sollen in diesem und im nächsten Jahr hohe Millionen-Beträge ausgegeben werden.

Und der Rest? Wie gesagt, Dennis Maelzer von der SPD rechnet aufgrund der bisherigen Angaben aus dem Familienministerium mit einem Betrag von mindestens 135 Millionen Euro, der noch übrig wäre.

"Wenn es sich bewahrheitet, dass im Familienministerium ein dreistelliger Millionenbetrag ohne Verwendungszweck planlos auf dem Konto schlummert, dann schlägt das dem Fass endgültig den Boden aus", erklärt Maelzer gegenüber dem WDR. Er hat Ministerin Paul um weitere Aufklärung gebeten.

Landesrechnungshof beklagt Praxis

Dem Landesrechnungshof sind die Selbstbewirtschaftungsmittel schon lange ein Dorn im Auge. 2018 schon mahnten die obersten Kassenprüfer an, dass die Landesregierung jährlich über den Bestand an Selbstbewirtschaftungsmitteln berichten sollte. Ansonsten – so die Befürchtung – könnten sie den Charakter von Dauerfonds annehmen. Im Klartext: ein stilles Sparkonto ohne parlamentarische Kontrolle.

Lost in Schuldenbremse WDR RheinBlick 01.12.2023 25:25 Min. Verfügbar bis 29.11.2028 WDR Online

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