War da was mit Aufklärung? Die Sondersitzung des Landtags-Innenausschusses zu den Übergriffen in der Kölner Silvesternacht brachte vor allem den üblichen Schlagabtausch. Am Tag danach scheint es noch mehr Fragen zu geben als zuvor. Innenminister Ralf Jäger (SPD) weist die Verantwortung von sich. Die Opposition hingegen greift den obersten Ordnungshüter wegen des desaströsen Polizeieinsatzes an. Wichtige Fakten zum Ablauf der Kölner Skandalnacht liegen im Dunklen. Eine Auswahl:
Wie viele Polizisten wurden in Bahnhofsnähe wirklich eingesetzt?
Der Landtagsabgeordnete Daniel Schwerd (parteilos, früher Piraten) hat neun kleine Anfragen an die Landesregierung eingereicht. "Und weitere Anfragen werden folgen", sagte der Parlamentarier am Dienstag (12.01.2016). So seien etwa die Abläufe in der Nacht zwischen 1 und 4 Uhr in Jägers Bericht an den Ausschuss weitgehend ausgelassen worden. Unter anderem will Schwerd wissen, "wie viele Beamte der Landespolizei auf dem Bahnhofsvorplatz samt der Treppe zum Dom" im Laufe der Silvesternacht "jeweils anwesend" waren. Unbekannt ist auch, wieso die Kölner Polizei nicht in vollem Umfang die vorab gewünschte Verstärkung bekam. Am 14.12. hatte das Kölner Präsidium eine Hundertschaft der Bereitschaftspolizei mit 123 Mann angefordert. Bewilligt wurde eine verkleinerte Hundertschaft mit 83 Beamten. Das sind deutlich mehr als an Silvester 2014, aber eben weniger als angefordert. Wieso dies so war, ist offen. Opfer bemängeln, dass kaum Polizisten in der Tatnacht zu sehen waren.
Wann wurde der Minister persönlich über das Ausmaß des Kölner Einsatzes informiert?
Innenminister Jäger präsentierte den Abgeordneten im Ausschuss etliche Fakten, Zahlen und Daten. Eine ganz simple Information aber fehlte: Wann hat der SPD-Politiker persönlich von dem Kölner Einsatz und wann von zahlreichen sexuellen Übergriffen erfahren? In den ersten Tagen nach dem Jahreswechsel hatte sich Jäger kaum öffentlich zum Thema geäußert. Laut Innenministerium war die erste Informationsquelle des Ministers eine "Wichtiges Ereignis (WE)"-Meldung des Kölner Polizeipräsidiums vom Neujahrsmorgen. "Das ganze Ausmaß der sexuellen Übergriffe hat der Minister aber erst am folgenden Montag (04.01.2016) erfahren", so ein Sprecher des Ministeriums.
Was wussten Jägers Lagezentren?
24 Stunden am Tag sind die Landesleitstelle im Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste NRW (LZPD) in Duisburg sowie das Lagezentrum im Innenministerium in Düsseldorf erreichbar. Was wussten diese Stellen in der Tatnacht von Köln? Im Ausschuss lud Jäger die Schuld bei der Kölner Polizei ab. Wichtigstes Beispiel: Gegen 23.30 Uhr in der Silvesternacht sei die Landesleitstelle von der Kölner Behörde über das Geschehen informiert worden. "Während des Telefonats wurden dem Polizeipräsidium Köln durch die Landesleitstelle Unterstützungskräfte angeboten, deren Einsatz jedoch durch den Dienstgruppenleiter der Leitstelle des PP Köln nicht für erforderlich gehalten wurde", so der Bericht des Ministeriums. Das Verhalten der Kölner Polizei sei ein "gravierender Fehler" gewesen. Doch was wurde in dem Telefonat besprochen? Erfuhr die Landesleitstelle Details über das Chaos? Beim Lagezentrum lagen laut Innenministerium keine Informationen zu Köln vor.
Was ist mit der Mitteilung der NRW-Polizei?
Mehrfach hat Minister Jäger die offizielle Pressemitteilung der Kölner Polizei vom Neujahrsmorgen kritisiert. "In dieser Form" hätte sie "nicht an die Öffentlichkeit gegeben werden dürfen", hieß es im Bericht an den Innenausschuss. In dem Kölner Polizeireport war von einer "entspannten Einsatzlage" die Rede gewesen. Eine ähnlich routinemäßig formulierte Pressemitteilung gab die Landesleitstelle am 1. Januar um 8.39 Uhr heraus. Unter der Überschrift "Viel Arbeit für die nordrhein-westfälische Polizei in der Silvesternacht" wurde nichts über die Geschehnisse in Köln mitgeteilt. Dies rügte Jäger nicht. Dabei hatte ausweislich des Ministeriumsberichts ja zumindest ein Telefonat zwischen der Landesleitstelle in Duisburg und dem Polizeipräsidium in Köln stattgefunden. Laut LZPD gab es wohl mehrere Telefonate mit Köln. Die genaue Anzahl sowie die Inhalte der Gespräche sind offen.
Wie viele Tatverdächtige gibt es denn nun?
Im Innenausschuss nannten Jäger und seine Beamten die Zahl von 19 Tatverdächtigen im Zusammenhang mit Köln. Die Bundespolizei, die ja für den Innenbereich des Hauptbahnhofs zuständig ist, sprach von 32 Tatverdächtigen. "Das variiert. Das ist ein dynamischer Prozess", sagte der Kölner Staatsanwaltschafts-Sprecher Benedikt Kortz auf WDR-Anfrage. Bei der Anklagebehörde gebe es bisher zwölf Beschuldigte, davon säßen fünf in Untersuchungshaft. Es handele sich um algerische, marokkanische und tunesische Staatsangehörige. Den Männern im Alter von 18 bis 39 Jahren würden Delikte wie Diebstahl, Hehlerei und Raub vorgeworfen. Um Sexualstraftaten gehe es bislang nicht.
Diese und viele weitere Fragen dürften auch bei der Sondersitzung des Landtag am Donnerstag (14.01.2016) eine Rolle spielen. Die Opposition aus CDU, FDP und Piraten behält sich zudem weitere Anhörungen sowie die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses vor.