Antisemitismus tritt mal mehr, mal weniger versteckt oder subtil auf: in der Alltagssprache, in Witzen oder Karikaturen. Diese Art der Diskriminierung kann sich auch in offener Gewalt niederschlagen und zur täglichen Bedrohung jüdischer Menschen werden.
Von einem enormen Dunkelfeld berichtet Jörg Rensmann, Leiter der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus NRW (RIAS NRW). Denn lange war nicht bekannt, wie verbreitet antisemitische Vorfälle in Nordrhein-Westfalen sind, was eine systematische Erfassung nötig gemacht habe. Seit April 2022 sammelt RIAS NRW Fotos, Daten und Geschichten von Betroffenen und Zeugen.
Die dokumentierten Vorfälle werden unabhängig von der politischen Einstellung der Täter aufgenommen. Auch, ob sie einen Straftatbestand darstellen, wird nicht erfasst. Erst einmal werden alle Vorfälle aufgenommen und kategorisch sortiert: Handelt es sich um eine Form extremer Gewalt oder einen physischen Angriff, der nicht lebensbedrohlich ist? War es Sachbeschädigung, Bedrohung oder verletzendes Verhalten? Auch Massenzuschriften werden gesammelt.
NRW mit hoher Zahl extremer Gewaltvorfälle
Im Jahr 2022 gab es laut Meldestelle vier Fälle von extremer Gewalt, fünf Angriffe, sechs Bedrohungen, 27 gezielte Sachbeschädigungen, neun Massenzuschriften. Weiterhin wurden 60 Versammlungen erfasst und 153 Fälle verletzendes Verhalten, die somit den größten Anteil ausmachen.
Mit vier Fällen von extremer Gewalt falle NRW im bundesweiten Vergleich auf. Hier kam es 2022 zu einer Anschlagsserie im Ruhrgebiet und einen Brandanschlag auf das Friedhofsgebäude der Synagogengemeinde Köln. Zum Vergleich: In der Berliner Statistik tauchte ein Fall extremer Gewalt auf.
Schmierereien, Aufkleber und Plakate werden als Vorfälle ohne direkt Betroffene gewertet. Mit knapp der Hälfte machen diese einen großen Teil aus. Bei der anderen Hälfte gab es laut Meldestelle direkt Betroffene, also entweder Personen oder Institutionen.
Landesregierung plant weitere Meldestellen und Gesetz
Abseits der Polizeistatistik handele es sich bei RIAS NRW um eine zivilgesellschaftliche Meldestelle. Niederschwellig soll sie sein und zur Sensibilisierung beitragen. Doch gleichzeitig sei klar, so Jörg Rensmann, dass längst nicht alle Vorfälle dokumentiert würden.
Damit sich eine solche Stelle etabliert, brauche es etwa fünf Jahre. Für NRW hatte Integrationsministerin Josefine Paul (Grüne) bereits weitere Meldestellen angekündigt, die in Arbeit seien. Auch ein Antidiskriminierungsgesetz sei auf dem Weg.
RIAS NRW hat nach eigener Aussage die gemeldeten Vorfälle nicht mit der Polizeistatistik über politisch motivierte Kriminalität abgeglichen. Durch Aussagen der Meldenden sei bekannt, dass 64 von 264 Vorfällen angezeigt worden sind, was 24 Prozent entspricht.
Über dieses Thema berichten wir am 20.06.23 bei WDR 5 in der Sendung "Westblick".