Jedes Jahr im Spätsommer stellt der Landesrechungshof (LRH) in seiner Jahresbilanz vor, wie der Finanzminister gewirtschaftet hat, wie hoch die Steuereinnahmen waren und wofür sie ausgegeben wurden. Vor allem diejenigen, die sich diese Jahrespressekonferenz regelmäßig anhören, reiben sich seit Jahren zunehmend die Augen. Zumal der ehemalige Finanzminister Lutz Lienenkämper (CDU), den diese Bilanz noch betrifft, nie müde wurde, sich eines geschickt verwalteten Haushalts zu rühmen.
Nicht nur, dass NRW im vergangenen Jahr in Folge einen Rekord an Schulden von 160 Milliarden Euro angehäuft hat - 2019, vor der Pandemie, waren es noch 144 Milliarden. Auch diesmal sei "schmerzhaft" erkennbar gewesen, dass es kaum Bemühungen zum Abbau dieser Schulden gegeben habe, sagte LRH-Präsidentin Brigitte Mandt am Dienstag in Düsseldorf. Und das, obwohl die Steuereinnahmen entgegen alles Prognosen auch im Pandemiejahr 2021 weiter angestiegen sind - auf 68,2 Milliarden Euro, satte zehn Prozent mehr als im Vor-Pandemiejahr 2019.
Geld lieber als "Spardose" statt zur Entschuldung
Statt dessen seien selbst Restbudgets, die 2021 nicht genutzt wurden, nicht in die Entschuldung investiert worden. Etwa die übriggebliebene eine Millarde Euro aus dem Budget für Landespersonal. Statt damit Schulden abzubauen, habe Minister Lienenkämper sie unverkennbar als "Spardose" benutzt. Während der hohe Schuldenberg allein im letzten Jahr rund 14 Milliarden Euro an Umschuldung gekostet habe. Angesichts steigender Zinsen könnten sich diese Finanzierungskosten künftig noch deutlich steigern. Auch die Tilgungspflichten für diese Kredite würden den Landeshaushalt noch über Jahrzehnte belasten, sagte Mandt.
Alles, was nicht gebraucht werde, müsse zum Rückbau der Schulden genutzt werden. So läuft Ende 2022 die Nutzung des Corona-Rettungsschirms in NRW aus. Im Mai habe der Topf noch mehr als drei Milliarden Euro enthalten - größtenteils kreditfinanziert. Dem Landtag empfiehlt Mandt, sich "unbedingt darlegen" zu lassen, welche Ausgaben aus dem Corona-Rettungsschirm bis Ende 2022 noch geplant sind - und was übrigbleibt.
Auf WDR-Nachfrage gibt sich die neue Landesregierung wortkarg: Der Haushaltsplan für das Jahr 2023 wie auch der Nachtragshaushalt 2022 würden derzeit erarbeitet, so die knappe Antwort.
Für unbesetzte Fortbildungsplätze bezahlt
Desweiteren zählte die Präsidentin mehrere Beispiele auf, die zeigen, wie "nachlässig" der ehemalige Finanzminister teilweise mit Steuergeldern umging: So wurden bei Maßnahmen für Langzeitarbeitslose insgesamt 1,3 Millionen Euro ausgegeben - für Plätze, die gar nicht belegt worden waren.
Bei der Polizei wurden von 2012 bis 2020 rund 90 Millionen Euro für Überstunden ausgezahlt, obwohl das Gesetz vorsieht, Überstunden bei der Polizei durch Freizeit auszugleichen. 2017 hatte das Innenministerium sogar noch den Etat für Überstunden erhöhen lassen - die Polizei in NRW ist seit Jahren unterbesetzt.
"Besondere Sorge" bereite ihr der Bereich IT-Sicherheit, sagte Mandt. Das IT-Verfahren zur Verwaltung des Landeshaushalts habe nach wie derartige Sicherheitslücken, dass es offiziell noch gar nicht genehmigt sei. Angesichts der zahlreichen Cyber-Angriffe auf private und öffentliche Einrichtungen sei es "eigentlich eine Selbstverständlichkeit, dass das Ministerium proaktiv handelt und nicht einfach davon ausgeht, dass schon nichts passieren wird", empörte sich Mandt.
"Das Geld reicht nicht für alles"
Dem neuen Finanzminister Marcus Optendrenk (CDU) rate der LRH dringend, zu prüfen, welche der geplanten Projekte und Ausgaben wirklich notwendig seien, sagt Präsidentin Mandt. "Das Geld reicht nicht für alles", mahnte sie, die Aussichten für die neue Landesregierung seien "düster": "Ich weiß nicht, wieviel Raum da noch ist für neue Gestaltung." Zwar wünschenswerte, aber nicht zwingend notwendige Projekte sollten nicht mehr umgesetzt werden. Die neue Landesregierung stehe jetzt vor der großen Frage: "Schafft sie es, für solide und generationengerechte Staatsfinanzen zu sorgen?"
Neues Finanzministerium hält sich bedeckt
Auch hier antwortet das Finanzministerium auf Nachfrage in floskelhaften Sätzen: "Der Zukunftsvertrag stellt die Grundlage der gemeinsamen Arbeit für Nordrhein-Westfalen dar. Leitbild ist eine verlässliche, nachhaltige und generationengerechte Haushaltspolitik."
Oder: "Kernelemente der Haushaltspolitik werden daher eine strikte Ausgabendisziplin, eine entschlossene Priorisierung der Ausgabenschwerpunkte, eine solide Gegenfinanzierung von Mehrausgaben und eine konjunkturgerechte Schuldentilgung sein. Auch eine angemessene Risikovorsorge sowie ein Augenmerk auf die nachhaltige Anlage von Finanzmitteln des Landes sind Teile dieser Strategie."
Die ohnehin schon angespannte Lage des NRW-Finanzhaushalts werde sich weiter zuspitzen, so das Fazit des Landesrechnungshofs - durch die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie, steigende Zinsen, den Ukraine-Krieg und die Energiekrise. Aber auch die Folgen des Hochwassers würden noch bis 2050 zu Steuermindereinnahmen von bis zu 100 Millionen Euro jährlich führen. Jede einzelne Ausgabe müsse kritisch hinterfragt werden.
Grüne: Mehr "Effizienzgewinne"
"Wir nehmen die Kritik des Landesrechnungshofs sehr ernst", sagte der finanzpolitische Sprechers der Grünen Landtagsfraktion, Simon Rock, der sparsame Umgang mit Steuermitteln sei für die Grünen "zentral". Im Koalitionsvertrag habe man daher mehr "Effizienzgewinne" im Landeshaushalt vereinbart. Im Vertrag heißt es dazu, "Prozesse, Strukturen und Zuständigkeiten auf allen Ebenen der Landesverwaltung" sollten überprüft werden und Effizienzgewinne "beispielsweise bei den Bezirksregierungen durch eine stärkere Zusammenarbeit" bewirkt werden.
Gleichzeitig müsste weiter "in die Zukunft Nordrhein-Westfalens" investiert werden, sagt Rock – besonders in die Bereiche Klimaschutz, Bildung und Infrastruktur. "Denn wenn wir diese Investitionen in die Zukunft unseres Bundeslandes jetzt nicht tätigen, werden die Folgen für die Menschen nach uns umso teurer."
"Weckruf" an die Landespolitik
Der Bund der Steuerzahler NRW begrüßt die klaren Aussagen der LRH-Präsidentin. Das Land stehe vor großen Herausforderungen, sagte der Vorsitzende Rik Steinheuer. Der Landesrechungshof habe jetzt "einen Weckruf an die Landespolitik abgesetzt, der im kommenden Haushalt berücksichtigt werden muss".