Hände eines Gerichtsvollziehers, der einen Auktionshammer betätigt.

Anhörung zu Asylverfahren: NRW-Gerichte brauchen mehr Personal

Stand: 17.09.2024, 15:54 Uhr

Kann Rheinland-Pfalz ein Vorbild für NRW sein, um Asylverfahren vor Gericht zu beschleunigen? Eine Anhörung von Sachverständigen im Landtag hat ergeben: Zur Beschleunigung der Asylgerichtsverfahren braucht NRW mehr Personal.

Von Sabine TentaSabine Tenta

In Rheinland-Pfalz hat es funktioniert: Die Dauer der Gerichtsverfahren zu Asylfragen wurde mit einer Zentralisierung aller Fälle in Trier deutlich gesenkt. Kann das ein Vorbild für NRW sein? Das steckt im Kern hinter dem Antrag der FDP-Fraktion mit dem Titel: "Asylgerichtsverfahren dauern in Nordrhein-Westfalen viel zu lange. Justizminister Limbach muss endlich die organisatorischen Voraussetzungen für deutlich kürzere Verfahrensdauern schaffen!"

Am Dienstag fand im Rechtsausschuss eine Anhörung von Sachverständigen statt. Eingeladen waren unter anderem mehrere Richterinnen und Richter, ein Fachanwalt für Verwaltungsrecht und der Flüchtlingsrat NRW.

Experten: Bisherige Maßnahmen reichen nicht aus

Alle Sachverständigen waren sich einig: Will NRW die Dauer von Asylverfahren vor Gericht beschleunigen, braucht es mehr Personal. Am pointiertesten brachte es Nadeschka Wilkitzki zum Ausdruck. Sie ist Richterin am Verwaltungsgericht Düsseldorf und antwortete auf die Frage nach den drei wichtigsten Maßnahmen: "Personal, Personal, Personal."

Wilkitzki vertritt auch die "Vereinigung der Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichter NRW". In ihrer vorab veröffentlichten Stellungnahme erklärte sie, die Erfolge aus Rheinland-Pfalz gingen "ganz wesentlich auf die erhebliche Personalaufstockung" dort zurück. Niedersachsen gehe ebenfalls mit gutem Beispiel voran und habe 15 neue Stellen geschaffen. Auf NRW übertragen, müsse es 35 neue, zusätzliche Stellen geben.

Andere Sachverständige wollten sich nicht auf eine konkrete Zahl bezüglich des Personalbedarfs festlegen, da dies immer abhängig sei von der Anzahl der Fälle vor den Verwaltungsgerichten. Aber alle sind sich einig: Die jüngst von der Landesregierung angekündigte weitere personelle Stärkung der Verwaltungsgerichte durch die Schaffung von drei weiteren Asylkammern in NRW reiche nicht aus.

Reibungsverluste durch neue Organisation

Die Sachverständigen warnten davor, von Umstrukturierungen in der Justiz schnelle Erfolge zu erwarten. So verwies die Verwaltungsrichterin Nadeschda Wilkitzki auf die "Reibungsverluste", die entstünden, wenn sich durch Zentralisierungen die Zuständigkeiten änderten. Verfahren im vierstelligen Bereich müssten übergeben werden. Mit Blick auf die Größe von NRW plädierte sie dafür, keine weiteren Konzentrationen von Asylgerichtsverfahren anzustreben. Ähnlich schätzte es Jochen Heide ein, er ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht.

So regelt Rheinland-Pfalz das Asylgerichtsverfahren

Stefan Jacobs ist Richter am Oberverwaltungsgericht in Koblenz. In seiner Stellungnahme schilderte er die Lage in seinem Bundesland Rheinland-Pfalz: Dort ist für alle erstinstanzlichen Asylverfahren zentral das Verwaltungsgericht Trier zuständig - und das bereits seit 2010. Seitdem habe man das System, mit niedrigen Fallzahlen startend, langsam aufgebaut.

Es gebe eine Zentralisierung am Verwaltungsgericht Trier und für die zweite Instanz am Oberverwaltungsgericht Koblenz. Beim OVG sei ein Senat ausschließlich mit Asylverfahren befasst. Laut Stefan Jacobs konnten durch die Zentralisierung "erhebliche und entscheidende Synergieeffekte" erzielt werden. Richterinnen und Richter hätten eine hohe Expertise "im Asylrecht im Allgemeinen und in Bezug auf einzelne Herkunftsländer im Besonderen". Zudem gebe es nun eine Vereinheitlichung der Rechtssprechung.

Die Personalausstattung der Gerichte werde der jeweiligen Lage angepasst. Dabei gebe es eine vorausschauende Planung in enger Abstimmung mit dem Justizministerium. Gebe es mehr Asylanträge beim BAMF, werde bei den Gerichten das Personal aufgestockt.

Erhöhter Reiseaufwand bei Zentralisierung

Jochen Heide, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, gibt zu bedenken, dass die Terminfindung durch den Reiseaufwand bei den Prozessvertretern und Asylsuchenden erschwert wird. Und Stephan Schmidt von der "Neuen Richtervereinigung" gab zu bedenken, dass es möglicherweise schwerer wird, für Klagende eine Anwältin oder einen Anwalt zu finden, weil es sich für sie angesichts der langen Reisewege finanziell nicht mehr lohnen könnte, den Fall zu übernehmen.

Auch der Flüchtlingsrat NRW weist auf diese Problematik hin. Damit seien die in der Mehrheit mittellosen Asylsuchenden gezwungen, weite Wege auf sich zu nehmen, die nicht durch die Prozesskostenhilfe abgedeckt seien. Würden Gerichte auf die mitunter langen Anfahrtswege der Prozessbeteiligten Rücksicht nehmen, sei es zudem fraglich, ob dies zu einer Beschleunigung der Verfahren führe.

Rheinland-Pfalz hat deutlich weniger Verfahren

Die Lage in Rheinland-Pfalz lässt sich nach Auffassung des Flüchtlingsrats auch deshalb nicht mit NRW vergleichen, weil es dort viel weniger Fälle gebe. Ende März habe es in NRW 26.7356 anhängige Asylklageverfahren gegeben, in Rheinland-Pfalz hingegen nur 2.118.

Dass sich die beiden Bundesländer Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen schon allein wegen ihrer Größe kaum miteinander vergleichen lassen, unterstrichen fast alle Sachverständige.

Warnung, dass andere Verfahren leiden könnten

Fachanwalt Jochen Heide sah zudem die Gefahr, dass alle anderen Gerichtsverfahren unter einer Priorisierung von Asylverfahren leiden könnten. Bereits jetzt liege die Verfahrensdauer bei Verwaltungsgerichten zwischen 18 und 24 Monaten: "Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz muss auch für die rechtssuchenden Bürger erreichbar bleiben", mahnte Heide in seiner Stellungnahme.

Nadeschka Wilkitzki von der "Vereinigung der Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichter NRW" äußerte sich ähnlich: "Jede etwaige Beschleunigung der Asylverfahren ginge ohne Personalaufstockung zulasten der Verfahren in anderen Rechtsgebieten." Und die "Neue Richtervereinigung", ein Zusammenschluss von Richterinnen und Richtern sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälten, warnte eindringlich vor "einer verzögerten Bearbeitung von verwaltungsgerichtlichen Verfahren außerhalb des Asylrechts".

Die Unabhängigkeit der Gerichte

Die "Neue Richtervereinigung" betonte in ihrer Stellungnahme auch die Unabhängigkeit der Gerichte. Es dürfe keine Zeitvorgaben für gerichtliche Entscheidungen geben, "weil die rechtsprechende Gewalt den Richtern anvertraut ist". Die Rechtssprechung kenne auch keine Differenzierung der Verfahrensdauer "nur aufgrund einer prozentualen Schutzquote" des Herkunftslandes: Eine geringe Anerkennungsquote sage nichts über den Einzelfall aus.

Hintergrund zu Asylgerichtsverfahren und ihrer Dauer

Im November 2023 hatten sich Bund und Länder darauf verständigt, Asylverfahren in Deutschland deutlich zu beschleunigen. Für Angehörige aus Herkunftsstaaten mit einer Anerkennungsquote unter fünf Prozent soll bereits in drei Monaten klar sein, ob sie Asyl erhalten. In allen anderen Fällen soll diese Klarheit nach sechs Monaten bestehen. Das umfasst die Asylverfahren und eventuelle Klagen gegen einen negativen Asylbescheid.

Mitte des Jahres wurden in NRW bereits Asylgerichtsverfahren für bestimmte Herkunftsländer gebündelt.


Nach Angaben des NRW-Justizministeriums ist die durchschnittliche Verfahrensdauer für Hauptverfahren der Asylkammern bei Verwaltungsgerichten in NRW seit 2021 rückläufig. Sie habe im zweiten Quartal 2024 im Durchschnitt 16,4 Monate betragen. Das Verwaltungsgericht Münster meldete ebenfalls sinkende Zahlen: 2021 habe es im Schnitt eine Verfahrensdauer von 23,3 Monaten gegeben, 2022 von 17,4 Monaten und 2023 von 16,7 Monaten.

Ganz anders sind die Zahlen in Rheinland-Pfalz: Nach Angaben von Stefan Jakobs, Richter aus Rheinland-Pfalz, wurden 2023 asylrechtliche Hauptverfahren in Trier durchschnittlich innerhalb von 3,9 Monaten entschieden. Verfahren von Asylsuchenden aus sicheren Herkunftsstaaten seien in 2,2 Monaten erledigt worden. Beim OVG Rheinland-Pfalz dauerten laut seinen Angaben Berufungsverfahren im Schnitt 6,8 Monate.

Über dieses Thema berichtet der WDR am 17.9.2024 auch im WDR Hörfunk: WDR 5 Westblick ab 17.04 Uhr.

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