WDR: Wie sieht die Parteienlandschaft in NRW aus?
Stefan Marschall: Was wir sehen können, ist, dass die Parteienlandschaft bei uns sehr ausdifferenziert ist, sehr bunt. Es gibt nicht nur die großen Parteien, die einigermaßen sicher ins Parlament kommen, sondern eine ganze Reihe von kleinen, teilweise sogar klitzekleinen Parteien, die mitunter nur ein Thema haben oder eine bestimmte Gruppe vertreten wollen.
WDR: Gibt es eine Erklärung dafür, warum es so viele verschiedene kleine Parteien gibt?
Stefan Marschall: Es ist durchaus sinnvoll, kleine Parteien zu gründen oder überhaupt Parteien zu gründen. Denn damit kann man einem Anliegen ein besonderes Gewicht verleihen. Man ist bei Wahlen präsent, man kann Wahlwerbung machen, man taucht vielleicht auch beim Wahl-o-Mat auf und wird damit bekannter und macht damit auch sein Anliegen präsenter in der Öffentlichkeit.
WDR: Wie unterscheiden sich die kleinen Parteien?
Stefan Marschall: Es gibt die Parteien, die durchaus ideologisch sind, die also irgendwo im politischen Spektrum verortet sind. Dann gibt es die Single Issue Parteien, die verfolgen nur ein Thema und nur eine Fragestellung, die ihnen wichtig ist. Und was wir in den letzten Jahren gesehen haben, ist auch eine Zunahme von sogenannten selbsternannten Spaß- oder Protestparteien.
WDR: Woran liegt es, dass es solche Parteien zunehmend gibt?
Stefan Marschall: Es ist ja durchaus sinnvoll, eine Partei zu gründen, auch wenn diese nicht direkt ins Parlament kommt. Denn tatsächlich kann man auch bereits bei einem Prozent Stimmenanteil bei einer Landtagswahl Parteienfinanzierung bekommen. Das heißt, dann fließt schon das Geld und dazu braucht man gar kein Parlamentsmandat.
WDR: Hat sich die Landschaft der kleinen Parteien in den letzten Jahren verändert?
Stefan Marschall: Das ist so seit 20 Jahren ungefähr schon der Fall. Das finden wir nicht nur auf der Landesebene. Das finden wir auch auf der Bundesebene. Das ist ein Trend, der tatsächlich nicht ganz neu ist, aber in den letzten Jahren noch einmal etwas an Schwung dazu bekommen hat. Was wir sehen können, ist, dass der Stimmanteil der kleinen Parteien in den letzten Jahren zugenommen hat, das heißt, die Wählerinnen und Wähler sind eher mal bereit zu experimentieren und kleinere Parteien zu wählen.
WDR: Bei der letzten Bundestagswahl bekamen kleine Parteien mehr als acht Prozent der Stimmen. Woran kann das liegen?
Stefan Marschall: Was wir beobachten können ist insgesamt ja eine Volatilität. Also die Wählerinnen und Wähler entscheiden von Wahl zu Wahl anders. Und da kann es durchaus sein, dass auch kleine Parteien davon profitieren und das haben wir bei den letzten Wahlen immer wieder auch beobachten können. Insgesamt nimmt die Zahl der Menschen, die eine ganz starke Parteibindung haben, ab. Und dann schaut man von Wahl zu Wahl, wie man wählen möchte. Dann kann es sein, dass eine Partei dann über den Weg läuft, die doch, obwohl sie klein ist und vielleicht nicht ganz chancenreich, attraktiv erscheint und die man dann wählt.
WDR: Welchen Zweck erfüllen sie in der Demokratie grundsätzlich?
Stefan Marschall: Es geht darum, dass in der Parteienlandschaft verschiedene Interessen auch reflektiert, gespiegelt werden und sich wiederfinden. Insofern haben die kleinen Parteien auch eine wichtige Aufgabe, die verschiedenen Gruppen in der Gesellschaft in das politische System und in den politischen Prozess einzubinden, beispielsweise im Rahmen von Wahlen.
WDR: Warum engagieren sich Menschen in kleinen Parteien, investieren Zeit und Geld, wenn sie am Ende nicht gewählt werden?
Stefan Marschall: Wie bei anderen Vereinen auch, spielt bei kleinen Parteien vielleicht auch eine Rolle, dass es um Geselligkeit und Veranstaltungen geht. Letzten Endes geht es darum, auch Community-Bildung zu betreiben, die eigenen Anliegen mit anderen zu teilen und damit auch ein wenig Geselligkeit zu pflegen.
WDR: Zum Teil versprechen die kleinen Parteien das Blaue vom Himmel, Dinge die kaum einzulösen sind. Führen sie die Demokratie damit nicht vor?
Stefan Marschall: Die kleinen Parteien haben das Privileg, wahrscheinlich nie ihre Forderungen umsetzen zu müssen. Denn sie werden höchstwahrscheinlich nicht an einer Regierung teilnehmen. Aber sie signalisieren, dass es wichtige Themen gibt, die vielleicht von den anderen Parteien nicht so gesehen werden und die vielleicht damit auch in den politischen Diskurs hineinkommen.
Über das Thema berichtet das WDR Fernsehen am Samstag, 30.04.2022, um 16 Uhr in der Sendung "Wahl 2022 - Die Chancen der kleinen Parteien"