Für Anwohner und Unternehmen in Lüdenscheid ist am 2.12.2021 eine Katastrophe ausgebrochen, die seitdem einfach nicht enden will. „Das Leben hat sich dermaßen verändert“, sagt Anwohner Hubert Gerbersmann. Er habe sich zurückgezogen, Besuch komme nur noch selten vorbei.
Denn seit dem Tag der Brückensperrung rollt eine Blechlawine durch Lüdenscheid. Hubert Gerbersmann und seine Mitstreiter der Bürgerinitiative A45 sitzen auf der Terrasse, direkt hinter dem Hoftor stauen sich PKW und LKW auf der Umleitungsstrecke.
Interne Unterlagen zeigen Mängel
Das WDR-Magazin Westpol hat mehr als 200 interne Unterlagen ausgewertet, darunter auch das Brückenbuch. Darin hinterlegt die Behörde alle wichtigen Daten und Prüfberichte über das Bauwerk. Es werden dort auch die Mängel aufgelistet, von „Beulungen am Stahl“, „massiven Rissen“ und „Rost- und Querschnittsschwächungen“ ist die Rede. Als Zustandsnote wird eine 4 notiert. Das heißt Alarmstufe Rot, erklärt Anwalt Ralf Leinemann. Er ist spezialisiert auf Bau-und Vergaberecht und führt eine der größten Kanzleien für Infrastruktur in Deutschland. „Dann muss entweder schnellstens eine Ertüchtigung stattfinden oder der Neubau muss eingeleitet werden.“
Neue Ungereimtheiten um Zustand
Merkwürdig allerdings: bis zur Sperrung im Dezember 2021 hat die zuständige Behörde Straßen NRW stets von einer Zustandsnote 3 gesprochen – so auch zuletzt im Februar im Verkehrsausschuss des Landtags. Dass die Brücke kurz vor dem Kollaps stand sei gegenüber der Behördenspitze nicht thematisiert worden.
Wusste Wüst von der Dramatik?
Auch der damals verantwortliche Verkehrsminister Hendrik Wüst (CDU) will von der Dramatik nichts gewusst haben. Seine Sprecherin lässt gegenüber Westpol mitteilen: „Entsprechend ist gegenüber dem damaligen Verkehrsminister nie eine Problematisierung mit akutem Handlungsbedarf in Bezug auf die Rahmedetalbrücke erfolgt.“ Wie und wann die Zustandsnote 4 ins Brückenbuch kam, bleibt unklar.
Tag der Sprengung – kein Freudentag
Dass die marode Brücke heute gesprengt wurde, wertet Anwohner Thomas Körnich als Fortschritt. Es sei aber „kein Tag besonderer Freude“, weil die neue Brücke noch Jahre auf sich warten lässt. Eigentlich war mal geplant, dass der Neubau längst steht. Doch das Projekt wurde zuletzt immer weiter nach hinten geschoben. Anvisierter Baubeginn erst 2026.
Verdacht auf Planungsfehler
Die neue Brücke ist womöglich auch deshalb noch nicht da, weil die Behörden bei der Planung einer anderen Brücke Fehler gemacht haben könnten. Das vermutet Experte Leinemann. Es geht um die Brücke Brunsbecke auf der A45 bei Hagen Den Zuschlag für einen Neubau bekam 2018 das Bauunternehmen Hochtief. Im April 2019 wurde Spatenstich gefeiert.
Doch seitdem gab es keine Baufortschritte. Die Autobahn GmbH hat das zuletzt mit neuen Bodenuntersuchungen begründet. Daran gibt es inzwischen erhebliche Zweifel. „Die einzige Erklärung, dass man jahrelang nicht baut, obwohl man den Auftrag erteilt hat ist, dass ein schwerer Planungsfehler passiert sein muss“, sagt Baurechtler Leinemann. „Entweder ist die Brücke zu klein oder zu groß geplant worden.“
Die Autobahn GmbH hat sich auf Westpol Anfrage zu dem Vorwurf nicht geäußert. Seit dieser Woche beschäftigt sich ein Untersuchungsausschuss im Düsseldorfer Landtag mit dem Brückendesaster.