Versalzene Flüsse: Wie Wasser aus der Erdgasförderung in NRW entsorgt wird

Stand: 04.12.2022, 13:00 Uhr

In mehrere Flüsse in NRW wird salzhaltiges Wasser geleitet. Es stammt aus Niedersachsen, wo Erdgas gefördert wird. Westpol-Recherchen zeigen, dass auch die frisch renaturierte Emscher dazu gehört.

Von Anett SelleAnett Selle und Alexa Höber

Die Lutter im Kreis Gütersloh ist ein idyllisches kleines Flüsschen. Doch der Eindruck trügt. Wasser- und DNA-Proben, die im Sommer im Auftrag des NDR aus der Lutter genommen wurden, zeigen, dass dort nahezu nichts mehr lebt.

Ausgewertet wurden die Proben an der Uni Duisburg-Essen. Besonders fehlen in der Lutter viele Insekten, die in ihrem Bestand gefährdet oder teilweise sogar vom Aussterben bedroht sind. Der Grund: der hohe Salzgehalt im Wasser. Er liegt konstant über dem Richtwert für einen gesunden Fluss. Im trockenen Sommer 2022 war er sogar gut dreimal so hoch.

104 Tonnen Salz sind in der Lutter gelandet

Das Salz kommt über Umwege in den Fluss. Es stammt aus der Erdgasförderung in Niedersachsen: Stark salzhaltiges Wasser kommt dabei aus dem Untergrund mit an die Oberfläche. Dieses Wasser wird aus dem Gas herausgefiltert und als sogenanntes Lagerstättenwasser in Tanklastzügen nach Nordrhein-Westfalen gefahren.

Allein 104 Tonnen Salz hat das Erdgasunternehmen Wintershall Dea seit Januar 2021 so entsorgt und über das Entsorgungsunternehmen Zimmermann in die öffentliche Kanalisation einleiten lassen. So landet das Salz schließlich im Fluss. Es wird anders als andere Schadstoffe nicht aus dem Wasser geholt, weder beim Entsorger noch in der Kläranlage.

Landkreis in Niedersachsen nimmt Wasser nicht an

Der niedersächsische Landkreis Nienburg, in dem das Abfallunternehmen Zimmermann ebenfalls einen Standort zur Behandlung von Industrieabwasser hat, hat sich vor Jahren komplett gegen eine Einleitung von behandeltem Lagerstättenwasser aus der Erdgasindustrie in eine Kläranlage ausgesprochen.

Daraufhin wurde das behandelte Lagerstättenwasser als Industrieabwasser deklariert und in Tanklastzügen nach NRW gefahren. Auch die für die Genehmigung der Einleitung von Industrieabwässern in die Kläranlage bei Gütersloh zuständige Bezirksregierung Detmold erfuhr erst durch einen NDR-Bericht davon, dass Lagerstättenwasser des Erdgaskonzerns Wintershall Dea den Fluss Lutter erreicht.

Salziges Wasser landet auch in der Emscher

Westpol-Recherchen zeigen: Die Lutter ist nicht der einzige Fluss in NRW, in dem aufbereitetes Lagerstättenwasser aus Niedersachsen eingeleitet wird. Es landet auch im Ruhrgebiet in der Emscher, über die es dann den Rhein erreicht.

Das Abfallentsorgungsunternehmen Remondis bestätigt auf Anfrage, dass Lagerstättenwasser von Wintershall Dea beim Remondis-Standort in Herne angenommen wird. Das gereinigte Abwasser werde dann in der Kläranlage Bottrop entsorgt. Damit gelangt es in den Teil der Emscher, der in den vergangenen Jahren aufwändig renaturiert wurde.

Wasserverband wusste offenbar nicht, woher Abwasser stammt

Der Wasserverband Emschergenossenschaft/Lippeverband, der die Kläranlage in Bottrop betreibt, erfuhr offenbar erst durch die WDR-Recherchen davon. Der Salzgehalt im Auslauf der Kläranlage sei aber derzeit unauffällig, so der Pressesprecher der Emschergenossenschaft.

Sollten die Werte aber einmal nicht akzeptabel sein und ein Zusammenhang mit einem Abwasser einleitenden Betrieb erkannt werden, dann würde man gemeinsam mit dem Einleiter besprechen, wie diese Belastungen abgestellt werden können. Der Schutz von Flora und Fauna habe Priorität. Man wolle in den kommenden Jahren die Biodiversität steigern und Salz wirke im Grunde genommen wie Gift auf einen Fluss, sagte der Pressesprecher des Wasserverbands im Interview mit dem WDR

Vor Jahren leitete Wintershall Dea das aus dem Gas herausgefilterte Lagerstättenwasser noch in Niedersachsen wieder in den Untergrund. Doch "die Rückführung von Lagerstättenwasser in den tiefen Untergrund war von Politik und Gesellschaft nicht gewünscht", teilt der Konzern schriftlich mit. So interpretierte Wintershall Dea offensichtlich eine Gesetzesänderung 2016. Damals sei die Rückführung in tiefe Gesteinsschichten stark eingeschränkt worden, so Wintershall Dea. 

70 Prozent des Lagerstättenwassers landet in Flüssen

Tatsächlich wurde 2016 auf Bundesebene ein Fracking-Gesetzpaket verabschiedet, das auch den Umgang mit Lagerstättenwasser neu regelte. So durfte das Wasser, das mit viel Salz, krebserregendem Benzol, Quecksilber und radioaktiven Stoffen belastet sein kann, nicht mehr in Wasserschutzgebieten verpresst werden.

So sollte der Schutz der Umwelt verbessert und mehr Öffentlichkeitsbeteiligung beim Umgang mit Lagerstättenwasser ermöglicht werden. In der Politik wurde aber offensichtlich versäumt in Erfahrung zu bringen, wie Erdgasunternehmen damit umgehen, wenn aufgrund der verschärften Umweltauflagen einige Bohrungen für die Versenkung von Lagerstättenwasser nicht mehr nutzbar sind.  

Laut Wintershall Dea wurden 2021 und 2022 nur noch 30 % des anfallenden Lagerstättenwassers wieder in den Untergrund verpresst, obwohl der Konzern auf Anfrage schreibt: "Diese Lösung ist hinsichtlich Nachhaltigkeit und Größe des ökologischen Fußabdrucks die beste."

NRW-Umweltminister spricht von "Gesetzeslücken"

Trotzdem werden 70 % des Lagerstättenwassers obertägig behandelt und anschließend über Kläranlagen in Flüsse eingeleitet. Dieser Entsorgungsweg laufe über zertifizierte Entsorger und sei behördlich genehmigt. Nur noch extrem stark mit Salz belastetes Wasser werde zurück in die Tiefe verpresst, so Wintershall Dea gegenüber dem WDR.

Der nordrhein-westfälische Umweltminister Oliver Krischer (Grüne) spricht dagegen von "merkwürdigen Umwegen" und "Gesetzeslücken", die genutzt würden: "Ich finde es problematisch, wenn aus Niedersachsen Lagerstättenwasser nach Nordrhein-Westfalen gebracht wird und hier am Ende in Oberflächengewässern landet. Das sollte da verpresst werden, wo es herkommt." Aber im Moment gebe es keine Möglichkeit, dagegen vorzugehen. Die Einleitungen seien legal und genehmigt.

Klimakrise und Trockenheit verschärfen das Problem

Auch der niedersächsische Umweltminister Christian Meyer sieht in der Klimakrise Handlungsbedarf beim Umgang mit Industrieabwässern. Auf der Konferenz der Umweltminister Ende November sei beschlossen worden, die bestehenden Regeln zur Einleitung von Industrieabwässern zu ändern.

Angesichts des Klimawandels seien viele alte Einleitgenehmigungen von Schadstoffen in Flüsse und Gewässer nicht mehr zeitgemäß: Wenn es in den Gewässern nach Dürreperioden deutlich weniger natürliches Wasser gebe, dürfe nicht mehr die gleiche Menge an Schadstoffen eingeleitet werden. Deshalb müsse ermöglicht werden, in bestehende Genehmigungen einzugreifen. 

So sieht es auch die Bundesumweltministerin. Die Katastrophe in der Oder im Sommer müsse ein Weckruf sein, so Steffi Lemke (Grüne). Das massenhafte Fischsterben war offenbar durch einen hohen Salzgehalt im Fluss ausgelöst worden, das wiederum das Wachstum einer giftigen Brackwasseralge begünstigt hat. Diese Ursachen seien längst nicht nur ein Problem der Oder, sagte Lemke. Mit Blick auf die Klimakrise müsse die Einleitung chemischer Substanzen in Flüsse neu bewertet und reduziert werden.

Die Recherche wurde gefördert und unterstützt durch ein Stipendium des Netzwerks Recherche und der Olin gGmbH.

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