Der Schützenplatz in Remscheid-Lüttringhausen liegt im Nebel. 17 Grundstücke gibt es hier zu kaufen. Doch der Andrang auf eines der letzten Neubaugebiete im Bergischen Land ist gering. „Das liegt auch an der hohen Grunderwerbssteuer“, beklagt der Remscheider FDP-Fraktionsvorsitzende Sven Chudzinski. Was ihn besonders ärgert: Das Land hat ein entsprechendes Förderprogramm für Hauskäufer im Sommer „abrupt“ eingestellt. Warum? „Eine richtige Begründung habe ich nicht gehört“, sagt Kommunalpolitiker Chudzinski. „Außer, dass der Finanzminister die Situation zu den Selbstbewirtschaftungsmitteln des Landes gezogen hat“.
Extra-Gelder schaffen finanzielle Spielräume
Inzwischen ist klar: Finanzminister Markus Optendrenk (CDU) verfügt über rund 8,5 Milliarden Euro an Selbstbewirtschaftungsmitteln. Das sind Gelder, über die die Landesregierung frei verfügen kann – ohne zeitliche Befristung und ohne Nachweispflicht. Damit können beispielsweise Förderprogramme finanziert oder plötzlich auftretende Kosten getragen werden. Die Mittel werden mit dem Haushaltsplan bewilligt.
Anders als bei anderen Haushaltsposten können Restsummen mit ins nächste Jahr genommen werden. Werden beispielsweise Gelder aus Förderprogrammen verschiedener Ministerien über längere Zeit nicht abgerufen, können sich so stattliche Summen ansammeln. Auch das Landesförderprogramm zur Entlastung bei der Grunderwerbssteuer sollte über 2022 hinaus aus Selbstbewirtschaftungsmitteln bezahlt werden.
Rechtliche Bedenken wegen Riesen-Volumen der Mittel
Nach Westpol-Recherchen betrugen die Selbstbewirtschaftungsmittel im Jahr 2018 noch 1 Milliarde Euro. Bis heute sind sie auf mehr als 8 Milliarden Euro angewachsen. Zum Vergleich: Das entspricht fast 8 Prozent der Summe des Landeshaushalts. Bezahlt werden damit aber längst nicht mehr nur langfristige Projekte, sondern auch der Anteil des Landes an der Finanzierung des Forschungszentrums Jülich, verschiedenste Personalkosten von Einrichtungen oder die Verpflegung für die Deutsche Hochschule für Polizei.
Das sei eine „ungewöhnliche Haushaltspraxis“, stellt Verwaltungswissenschaftler René Geißler fest. Er ist Professor für öffentliche Verwaltung und hat sich den NRW-Haushalt genauer angeschaut. „Man kommt auf mindestens 100 Titel, wahrscheinlich sogar viel mehr bei allen möglichen Ausgabearten“, so Geißler. Darin erkennt er eine „inflationäre“ Nutzung, die durchaus problematisch ist. Denn sie entzieht sich völlig der parlamentarischen Kontrolle und verfälscht die eigentliche Haushaltssituation.
SPD und FDP fordern Aufklärung
Die Opposition spricht deshalb von einer „Schattenhaushaltspolitik“ und einem „Demokratieproblem“. Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Ralf Witzel fordert im Interview mit dem WDR-Magazin Westpol eine Obergrenze für Selbstbewirtschaftungsmittel. Auch der Landesrechnungshof NRW sieht diese Art der schwarz-grünen Haushaltsführung kritisch. Die obersten Rechnungsprüfer warnen vor einem „Charakter von Dauerfonds“ neben den bereits bewilligten Haushaltsausgaben.
Finanzminister nutzt Selbstbewirtschaftung für die schwarze Null
Finanzminister Markus Optendrenk (CDU) hat die Selbstbewirtschaftungsmittel nun angezapft, um Haushaltslöcher zu stopfen. Von 900 Millionen Euro, die insgesamt für den Haushalt 2024 eingespart werden mussten, kommen fast 700 Millionen Euro aus den Selbstbewirtschaftungsmitteln. Die Sparrunden hat das Landeskabinett bereits im Sommer beschlossen, also zu dem Zeitpunkt, als das Landesförderprogramm zur Entlastung der Grunderwerbssteuer gestoppt wurde. Kommunalpolitiker Sven Chudzinski blickt in Remscheid-Lüttringhausen betroffen aufs leere Baufeld. Ihm wird klar, wie fragil Förderprogramme bezahlt aus Selbstbewirtschaftungsmitteln sind. „Wenn solche Programme spontan eingestellt werden, geht immer ein bisschen Vertrauen verloren“, sagt er.
Schuldenbremse umgangen?
Verwaltungswissenschaftler Rene Geißler hält eine mögliche Klage gegen das Land NRW für möglich und zieht Parallelen zum jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse. Gerade der Bruch bestimmter Haushaltsgrundsätze wie Transparenz und Jährlichkeit sei dabei kritisiert worden, so Geißler. Problematisch sei außerdem, dass die Gelder, die ursprünglich einmal für einen konkreten Zweck ausgegeben werden sollten, jetzt in den allgemeinen Haushalt zurückfließen, "das widerspricht dem Willen des damaligen Landtags".
Eine genaue Aufstellung, in welchem Ministerium wie viele Selbstbewirtschaftungsmittel schlummern, konnte das Finanzministerium auf Westpol-Anfrage nicht zur Verfügung stellen.
Das WDR-Fernsehen berichtet am 17. Dezember um 19.30 Uhr über dieses Thema in der Sendung Westpol.