Am letzten Sitzungstag des Silvester-Untersuchungsausschusses vor der Sommerpause sorgte die Aussage von Frauke Mahr, Leiterin der Kölner Organisation "Lobby für Mädchen", für unerwartete Aufregung: Sie betreue eine junge Frau, die nach eigenen Angaben in der Silvesternacht auf dem Bahnhofsvorplatz von einem Mann vergewaltigt worden sein soll, berichtete Mahr den Parlamentariern.
Die Tat habe sich inmitten der Tumulte vor dem Bahnhofsgebäude ereignet. Ein Polizist habe den Täter schließlich von der am Boden Liegenden weggerissen, so erinnere sich die junge Frau. Sie habe anschließend stationär im Krankenhaus behandelt werden müssen, wo auch eine anonyme Spurensicherung erfolgt sei, sagte Mahr. Aus Scham habe die traumatisierte 18-Jährige jedoch bisher keine Anzeige bei der Polizei erstattet.
Nach der Tat mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus
Mitte Januar habe sich die Frau telefonisch in der Beratungsstelle gemeldet, sagte Frauke Mahr. Sie habe berichtet, in der Silvesternacht mit mehreren Freunden in Köln unterwegs gewesen zu sein. Auf dem Bahnhofsvorplatz sei die Gruppe in das bereits heftige Gedränge geraten und dort auseinandergerissen worden. Die 18-Jährige habe sich plötzlich zwischen lauter Männern wiedergefunden, die sie hin- und herschubsten. "Irgendwann lag sie dann mit dem Rücken auf dem Boden, ein Mann lag auf ihr drauf. Sie konnte sein Gesicht sehen." Nachdem es dem Mann gelungen war, die junge Frau zu vergewaltigen, sei ein Polizist erschienen, der den Mann von ihr weggerissen hätte. "Sie ist dann in Panik weggerannt", berichtet Frauke Mahr. Mit schweren Verletzungen sei sie in ein Krankenhaus gefahren, wo sie mehrere Tage stationär geblieben sei.
Weitere Vergewaltigung gemeldet
In der Beratungsstelle "Lobby für Mädchen" wird die Frau bis heute betreut. "Wir versuchen, sie zu stabiliseren", sagt Mahr. Dass sie bisher keine Anzeige erstattete, sei ein typisches Phänomen, erklärt die erfahrene Frauenberaterin, besonders nach einer solchen Vergewaltigung inmitten einer Menschenmenge. Doch dieser Fall könnte möglicherweise nicht der einzige sein: Ebenfalls im Januar, so berichtete Frauke Mahr dem Ausschuss, habe eine andere junge Frau in der Beratungsstelle angerufen und auch eine Vergewaltigung in der Silvesternacht beschrieben, am gleichen Ort. "Sie weinte heftig, es ging ihr richtig schlecht." Die Frau habe sich allerdings später nicht mehr gemeldet.
"Wie groß ist das Dunkelfeld noch?"
Im Untersuchungsausschuss sorgte dieser Bericht für Erstaunen und Entsetzen. "Das gibt dem Ganzen eine völlig neue Dimension", sagte die Piraten-Abgeordnete Simone Brand anschließend. Bisher liegen der Polizei zwar acht Anzeigen wegen Vergewaltigung aus der Silvesternacht vor, sie alle beziehen sich allerdings auf ein Vorgehen der Täter mit Fingern. Dies wäre der erste Fall, in dem sich eine Vergewaltigung mit Koitus ereignete.
Nach den Berichten der Frauenberaterin stelle sich die Frage, so Brand, wie groß das Dunkelfeld der Taten aus jener Nacht tatsächlich noch sei. Der Untersuchungsausschuss warte jetzt auf genauere Informationen zu Tatort und Tatzeit, sagte CDU-Abgeordnete Ina Scharrenbach. Vor allem wolle man wissen, wer der Polizist sei, der Zeuge der Tat gewesen sein muss.
Ermittler zeigen sich ratlos
Ebenso wenig ist bekannt, wie der Beamte im weiteren Verlauf mit dem Täter umging. Bei der für die Ermittlungen zuständigen Staatsanwaltschaft Köln sei der Fall bisher nicht bekannt gewesen, sagt Staatsanwalt Ulrich Bremer. "Wir müssen das jetzt akribisch prüfen". Man habe die Polizei um Klärung gebeten. Auch wenn das Opfer weiterhin keine Strafanzeige erstatten würde, müsse ermittelt werden, wer der Polizeibeamte war, der den mutmaßlichen Täter von seinem Opfer wegriss.