Deutsche Wirtschaft bangt vor Weggang tausender Syrer:innen Aktuelle Stunde 10.12.2024 35:11 Min. UT Verfügbar bis 10.12.2026 WDR Von Nils Rode

So viele Syrerinnen und Syrer leben und arbeiten in NRW

Stand: 10.12.2024, 17:02 Uhr

Den Sturz des Diktators al-Assad feiern auch Syrer in NRW. Hunderttausende leben und arbeiten inzwischen hier. Ein Überblick.

Von Thilko Gläßgen und Ute Schyns

In Syrien hat nach dem Sturz von Assad eine neue Zeitrechnung begonnen. Am vergangenen Wochenende hat eine Rebellenkoalition unter der Führung der Miliz Haiat Tahrir al-Scham (HTS) die Kontrolle in Damaskus übernommen. Machthaber Assad ist nach Moskau geflohen.

Damit endet vorrausichtlich jener Bürgerkrieg, vor dem hunderttausende Menschen aus dem Land geflohen sind - auch zu uns nach Nordrhein-Westfalen. Wir klären, wie viele Syrer mittlerweile in NRW leben, welchen Status sie haben und welche Jobs sie haben.

Wie viele Syrer leben in NRW?

286.035 Menschen aus Syrien lebten zum Stichtag 31. Dezember 2023 in Nordrhein-Westfalen. Sie sind damit die zweitgrößte Gruppe hierzulande nach Menschen aus der Türkei. Besonders viele Menschen aus Syrien leben in Essen, nämlich 14.000 (Stand: 2021).

Wie gut sind Syrer in NRW integriert?

Einerseits beziehen fast 18.000 von ihnen Sozialleistungen nach dem Asylbewerbergesetz. Andererseits wurden in NRW aus keinem Land mehr Berufsabschlüsse anerkannt als aus Syrien: Über 1.500 waren das im Jahr 2022.

Außerdem hatten über 2.200 Auszubildende die syrische Staatsangehörigkeit. Mehr als 6.000 Ärztinnen und Ärzte in ganz Deutschland kommen aus Syrien, mehr als aus jedem anderen Land außerhalb der EU.

Wie viele Syrer haben die deutsche Staatsbürgerschaft?

Insgesamt haben mittlerweile 160.000 Syrerinnen und Syrer die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. Allein im Jahr 2023 waren es 22.720. Das sind laut IT-NRW fast 44,4 Prozent aller Eingebürgerten. Schon 2022 (14.081) und 2021 (5216) waren Menschen aus Syrien die am häufigsten eingebürgerte Nationalität in NRW.

Welchen rechtlichen Status haben Syrer in NRW?

Die meisten Syrer genießen kein Asyl in Deutschland, sondern Schutz als Kriegsflüchtlinge. Im Juli hatte das Oberverwaltungsgericht NRW in Münster allerdings geurteilt, dass Asylbewerbern aus Syrien keine pauschale Gefahr mehr durch den Bürgerkrieg drohe und sie nicht mehr so einfach als Flüchtlinge anerkannt werden müssen.

Damit wurde die vorherige Praxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) aufgehoben. Als Reaktion auf den Sturz des syrischen Diktators al-Assad hat das BAMF Asyl-Entscheidungen von Syrern grundsätzlich erstmal gestoppt.

Wie viele Syrer arbeiten in Deutschland?

Zum Stichtag 30. Mai 2024 waren rund 220.000 Menschen mit syrischer Staatsangehörigkeit in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt, schreibt die Bundesagentur für Arbeit. Dazu kommen nochmal etwa 65.000 Mini-Jobber.

Die Beschäftigungsquote bei Geflüchteten aus Syrien liegt im Schnitt bei etwa 40 Prozent. Das liegt deutlich unter dem bundesweiten Schnitt in der Bevölkerung.

Untersuchungen des Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigen, dass sich der Beschäftigungsanteil unter den Geflüchteten, die mit der großen Flüchtlingswelle 2015/2016 gekommen sind, etwa so hoch ist wie in der deutschen Bevölkerung.

Das heißt: Beschäftigungsquoten gleichen sich mit der Zeit an. Wobei es da ein großes Gefälle zwischen Männern und Frauen gibt. Bei syrischen Frauen liegt die Quote nur bei 19 Prozent, während sie bei Männern bei 52 Prozent liegt.

Welche Jobs haben Syrer bei uns?

Die meisten arbeiten im Dienstleistungsbereich (80 Prozent). Ein Fünftel etwa sind im produzierenden Gewerbe unterwegs, also in der Produktion, in der Industrie, sagt die Bundesagentur für Arbeit. Die größte Gruppe ist im Bereich Handel tätig. Dazu zählen auch Kfz-Werkstätten.

Gut 28.000 Syrer arbeiten im Gesundheits- und Sozialwesen. Etwa genauso viele sind in der Logistikbranche zum Beispiel als Fahrer oder Paketbote.

Im Vergleich zu anderen Flüchtlingsgruppen sind syrische Geflüchtete relativ gut qualifiziert. Fast die Hälfte der Menschen, die zwischen 2015 und 2017 nach Deutschland gekommen sind, hatten ein Gymnasium oder eine Hochschule abgeschlossen. Bei Geflüchteten, die später nach Deutschland kamen, waren es mehr als ein Drittel.

Ist das für den Arbeitsmarkt ein Problem, wenn sie zurückkehren?

Dazu gibt es unterschiedliche Einschätzungen. Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, hat in einem Zeitungsinterview gesagt, dass viele von den Geflüchteten in Deutschland dringend gebraucht würden. Vor allem in Krankenhäusern in kleineren Städten würden syrische Ärzte eine wichtige Rolle spielen.

Enzo Weber, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, IAB | Bildquelle: picture alliance / SZ Photo/Leonhard Simon

Allerdings ist der Anteil der Syrer unter den Beschäftigten in Deutschland insgesamt extrem niedrig, sagt Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung: "Der Gesamtanteil am deutschen Arbeitsmarkt ist 0,6 Prozent. Auch in fast allen Berufen ist der Anteil deutlich unter 1 Prozent. Aber es gibt bestimmte Schwerpunkte, wo es auch mehr sein kann als 1 Prozent, in der Logistik oder bei den Ärzten zum Beispiel."

Weber geht nicht davon aus, dass der Arbeitsmarkt in Deutschland "ausbluten" würde, wenn die syrischen Arbeitskräfte in ihre Heimat zurückgehen würden.

Wenn Menschen, die in Deutschland Erfahrung gemacht haben, in Syrien zum Aufbau beitragen können, dann ist das im Sinne des Erfinders. Wir sollten sie dabei unterstützen und die Kontakte halten. Das kann für Deutschland wirklich wertvoll sein. Enzo Weber, Arbeitsmarktforscher

Mehrere Studien zeigen, dass Deutschland wegen des demographischen Wandels darauf angewiesen ist, dass in Zukunft deutlich mehr Menschen nach Deutschland kommen, um hier zu arbeiten.

Unsere Quellen:

  • Eigene Recherche
  • Statistikportal des Landes NRW
  • Bundesärztekammer
  • Stadt Essen
  • Legal Tribune Online
  • Gespräch mit Enzo Weber
  • Bundesagentur für Arbeit