NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) ist bekannt dafür, dass er offensiv mit Fehlern bei der Polizei umgeht. Und so regelmäßig fast wie der oberste Aufklärer für die eigenen Behörden auftritt. Ganz besonders trifft das auf den Missbrauchsskandal von Lügde zu.
"Das hat uns die Versäumnisse von Jahrzehnten vor Augen geführt", sagte Reul am Freitag im NRW-Landtag als Zeuge im Untersuchungsausschuss zum Lügde-Komplex. Die Dimension sexueller Gewalt an Kindern hätten viele bis dahin nicht vor Augen gehabt, sagte Reul: "Ich auch nicht, das gebe ich zu."
Reul räumt Fehler ein - und hebt Verbesserungen hervor
Danach zählte der Innenminister auf, was er seitdem geändert hat: Deutlich mehr Personal und neue Technik für Ermittlungen zu Kindesmissbrauch, die auch nicht mehr in den kleineren Polizeibehörden in NRW geführt werden dürfen, sondern nur noch in den größeren Präsidien. Maßnahmen, die auch von Fachleuten gelobt werden. CDU und Grünen im Ausschuss genügte es erkennbar, Reul diese positiven Veränderungen beschreiben zu lassen.
Reul räumte noch einmal ein, dass die Kriminalpolizei am Anfang der Ermittlungen im Fall Lügde schwere Fehler gemacht hatte und es besser gewesen wäre, die Leitung früher von der Kreispolizeibehörde Lippe in Detmold an Bielefeld zu übertragen. Dies passierte im Januar 2019, nach einer Pressekonferenz in Detmold, auf der der Fall öffentlich gemacht wurde.
Dimension des Falls erst durch Pressekonferenz erkannt
Bis dahin, so Reul, sei ihm die Dimension des Falls nicht bekannt gewesen. Allerdings hatte die Polizei in Lippe schon gut zwei Wochen davor das Landeskriminalamt darüber informiert, dass der Fall größere Ausmaße hat und sie schon da von mehr als 30 betroffenen Kindern ausging.
Später kam heraus, dass nicht nur jahrelang konkreten Hinweisen auf die Haupttäter auf dem Campingplatz in Lügde nicht konsequent nachgegangen worden war, sondern dass während der Ermittlungen auch noch Beweismittel aus dem Gebäude der Polizei in Detmold verschwunden waren. Ein Koffer und eine Mappe, jeweils mit DVDs. Reul hatte damals reagiert und einen Sonderermittler des LKA nach Detmold geschickt.
SPD bezweifelt, ob konsequent nach weiteren Täter gesucht wurde
Die SPD hatte im Untersuchungsausschuss darüber hinaus auch noch kritische Fragen an den Innenminister, vor allem dazu, ob die Polizei Bielefeld konsequent genug nach möglichen weiteren Tätern gesucht hat. Dabei geht es auch um einen Fall in Niedersachsen, der sich aus den Lügde-Ermittlungen ergeben hat.
Eine Spur führte zu einem Mann im Kreis Northeim, der ebenfalls über Jahre Kinder missbraucht hat und dafür später zu mehr als sechs Jahren Haft verurteilt wurde. Einem der betroffenen Kinder war auch schon von Andreas V. auf dem Campingplatz in Lügde sexuelle Gewalt angetan worden.
Weitere Spur führte nach Niedersachsen
Hinweise auf diesen und einen weiteren Mann hatte die Polizei in Bielefeld tatsächlich schon Monate vor der Festnahme. Aber die Aussage eines Kindes wurde zunächst von einer Betreuerin untersagt. Für die Staatsanwaltschaft Detmold reichte die Spur nicht für einen Durchsuchungsbeschluss. Den Durchbruch brachte danach erst eine Vernehmung des Haupttäters vom Campingplatz, Andreas V., der den Mann aus dem Kreis Northeim konkret beschuldigte.
Aus Sicht des SPD-Abgeordneten Andreas Bialas hätte die Polizei in Bielefeld mehr unternehmen müssen, um die Ermittlungen voranzutreiben. Er fragte Reul damals, ob der Minister informiert worden war, dass die Ermittlungen mehrere Monate dauerten, bis zu einem Erfolg führten. "Das müssen Sie die ermittelnden Beamten fragen", entgegnete Reul, "mir sind die Details nicht bekannt".
Ausschuss auf der Zielgeraden?
Insgesamt war die Befragung des Innenministers sachlich und kam ohne größere parteitaktische Manöver aus. Ungewöhnlich ist, dass ein Untersuchungsausschuss so lange wartet, bis ein verantwortlicher Minister geladen wird. Normalerweise ist das der Moment, auf den eine Opposition nur gewartet hat.
Doch im Fall des Lügde-U-Ausschusses ist das bisher anders gewesen. Die Abgeordneten hatten vereinbar, von unten nach oben vorzugehen, also mit einfachen Polizeibeamten und Jugendamtsmitarbeitern anzufangen und die politisch Verantwortlichen erst am Ende zu befragen.
Dass es für den Innenminister Reul so lange gedauert hat, liegt daran, dass der Ausschuss insgesamt schon mehr als 200 Zeugen befragt hat, die Mehrzahl davon schon in der vergangenen Legislaturperiode. Geht es nach der CDU, dann könnte es jetzt dem Ende zugehen. Doch die SPD hat vor, mehrere Polizeibeamte noch einmal zu laden.
Über das Thema berichten wir am 10. November 2023 u.a. im Westblick auf WDR 5.