OVG-Affäre: Ministerium sah Limbachs Favoritin mit Skepsis

Stand: 02.10.2024, 17:32 Uhr

Die Personalabteilung im NRW-Justizministerium sah den Personalwunsch des Ministers offenbar skeptisch, zeigen interne Unterlagen.

Von Thomas Drescher

In der Affäre um die Besetzung des Chefpostens beim Oberverwaltungsgericht in Münster sind neue Dokumente aufgetaucht. Sie belegen, dass die zuständige Personalabteilung des Justizministeriums die alte Bekannte und Favoritin von Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) nicht gerade als Top-Kandidatin für einen der höchsten Richterposten im Land sah.

In einer Mail an den Leiter der Personalabteilung im Justizministerium schrieb die für die Stellenbesetzung zuständige Referatsleiterin: "Es spricht Überwiegendes dafür, dass die Auswahlentscheidung weiterhin zugunsten von Herrn Dr. C. ausfallen würde , da er auch Frau Jestaedt aufgrund eines Qualifikationsvorsprungs vorgehen dürfte" (Abkürzung durch die Redaktion). Die Mail liegt dem WDR vor.

Nachzüglerin aus dem Innenministerium

Dr. C., Abteilungsleiter im Justizministerium, war der Kandidat, für den noch Limbachs Vorgänger Peter Biesenbach (CDU) einen Personalvorschlag auf den Weg gebracht hatte. Doch nach der Landtagswahl im Mai 2022 hielt der frisch vereidigte Limbach die Stellenbesetzung an und ermöglichte Katharina Jestaedt so eine Teilnahme am Bewerbungsverfahren.

Die Juristin arbeitet seit 2020 im CDU-geführten NRW-Innenministerium, sie ist dort Abteilungsleiterin für Cybersicherheit. Limbach und Jestaedt kennen sich schon lange. Der Minister wollte schließlich sie zur OVG-Präsidentin machen. Doch mehrere Gerichte hielten die Besetzung an. Die Stelle ist seit 2021 weiter vakant.

Referatsleiterin T. kannte die anderen Bewerber für das Präsidentenamt am OVG ziemlich genau. Neben Dr. C. war auch noch der Bundesrichter Dr. G. im Rennen. In ihrer differenzierten Beurteilung vom Oktober 2022 wägt T. die Qualifikationen der Bewerber seitenlang ab. Sie sagt allerdings einschränkend, eine belastbare Aussage sei erst möglich, wenn eine Beurteilung von Jestaedt aus dem Innenministerium vorliegt.

Personalerin sah andere Bewerber vorn

Die Leitung des Oberverwaltungsgerichts, so schreibt sie, habe neben den Aufgaben in der Rechtsprechung auch viele Verwaltungsaufgaben.

Mit Blick auf die bisher ausgeübten Tätigkeiten in der Rechtsprechung sah die Personalerin im Justizministerium einen "Qualifikationsvorsprung von Herrn Dr. G."

Im Bereich der Verwaltungstätigkeit "dürfte hingegen auch im Vergleich zu Frau Jestaedt ein Qualifikationsvorsprung von Herrn Dr. C. festzustellen sein". Es spreche vieles dafür, "dass die komplexen und umfassenden Leistungen von Herrn Dr. C. die Leistungen von Frau Jestaedt überwiegen."

Mit Blick auf das angestrebte Amt in Münster schrieb die Referatsleiterin: "Ob die Prognose hinsichtlich der Rechtsprechungstätigkeit für Frau Jestaedt ebenso günstig ausfällt wie die von Herrn Dr. G. und Herrn Dr. C. ist fraglich". Und auch mit Blick auf künftige Verwaltungsaufgaben "dürfte sich gegenüber Frau Jestaedt ein Qualifikationsvorsprung von Herrn Dr. C. ergeben."

Jestaedt habe zwar einen Vorsprung beim Thema Digitalisierung. Da aber die Verwaltungsgerichte bereits auf digitale Akten umgestellt seien, dürfte dies die Vorsprünge der anderen kaum ausgleichen.

Neue Fragen für den Untersuchungsausschuss

Im parlamentarischen Untersuchungsschuss zur OVG-Affäre hatte am Dienstag die Aussage eines anderen Personalchefs für Aufsehen gesorgt: Dort wurde der Leiter der Personalabteilung des Innenministeriums als Zeuge vernommen. Die Staatssekretärin im NRW-Innenministerium, Daniela Lesmeister (CDU), habe ihn beauftragt, in die Beurteilung von Katharina Jestaedt Bestnoten einzufügen. Ein offenbar ungewöhnlicher Vorgang, der im Ergebnis dazu führte, dass Jestaedt ihre Mitbewerber überholte.

Zusammen mit den Unterlagen aus dem Justizministerium stellt sich eine Frage nun umso drängender: Warum wurde Jestaedt schließlich von Limbach vorgeschlagen - und nicht einer der Konkurrenten mit Qualifikationsvorsprung?

Ministerium nimmt Stellung

In einer Stellungnahme vom Mittwoch schreibt das Justizministerium, das spätere Besetzungsvotum für Jestaedt habe deren Erfahrung bei der Leitung einer Ministerialabteilung als "inhaltlich schwerwiegender eingeschätzt", weil ihre Abteilung "wesentlich größer ist und eine größere Führungsspanne aufweist" als bei ihrem Mitbewerber. Auch ihre Erfahrungen beim Thema Digitalisierung hätten eine Rolle gespielt. Eine Vorgabe von Limbach oder anderen Personen zum Besetzungsvotum habe es nicht gegeben, heißt es weiter.

Das Justizministerium bestreitet jede Einflussnahme auf Jestaedts Beurteilung im Innenministerium. Das sei "unzutreffend und abwegig".

Opposition: "Mauschelei" und "Manipulationsverdacht"

Werner Pfeil, FDP-Obmann im Untersuchungsausschuss, sprach in diesem Zusammenhang von "Mauschelei". Mit einem rechtsstaatlichen Auswahlverfahren nach Eignung, Leistung und Befähigung habe das nichts mehr zu tun.

Die SPD-Abgeordnete Nadja Lüders sagte: "Der Manipulationsverdacht in dem ganzen Besetzungsverfahren verdichtet sich für uns immer mehr."

Unsere Quellen:

  • Eigene Recherchen des Reporters
  • Interne Mails des Justizministeriums
  • Sitzung des Untersuchungsausschusses am 01.10.2024
  • Stellungnahmen von Werner Pfeil und Nadja Lüders