Die schlechte Nachricht vorweg: Die Zahl der Unfälle im Straßenverkehr hat zugenommen. Rund 640.000 Verkehrsunfälle registrierte die Polizei auf NRW-Straßen 2023 - das sind 4,5 Prozent mehr als im Jahr davor. 450 Menschen starben dabei - in etwa genauso viele wie 2022 mit 452 Verkehrstoten. Die aktuellen Zahlen für das vergangene Jahr stellte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) am Montag in Düsseldorf vor.
Ungewöhnlich war der Auftakt der Pressekonferenz im Innenministerium: Minister Reul ließ die Journalisten zunächst einen kleinen Film schauen, in dem Angehörige von Menschen, die im Verkehr ihr Leben gelassen haben, bewegende Statements abgaben.
Wie zum Beispiel die Mutter, deren Leben seit dem Tag, als ihre 14-jährige Tochter überfahren wurde, "nur noch schwarz und weiß" sei. Oder der Mann, dessen Schwager starb, "weil ein anderer vom Handy abgelenkt war". Es sei wichtig, "die Menschen, die trauern, hinter den Zahlen" zu sehen, erklärte Reul
Mehr getötete Fußgänger
Besonders bedrückend erscheint die gestiegene Zahl der getöteten Fußgänger: 101 Menschen starben, fast doppelt so viele, wie im Vorjahr, wo 65 im Straßenverkehr ums Leben kamen. 7.517 Fußgänger wurden verletzt - 453 mehr als im Vorjahr.
Allerdings hätten 41 Prozent der Getöteten den Unfall selbst verursacht, so die Statistik. Mehr als die Hälfte der Todesopfer waren älter als 65 Jahre. Die allermeisten seien auf die Straße gelaufen, ohne auf den Verkehr zu achten oder seien bei Rot gegangen.
Die Unfallstatistik zeige, dass "die schwächsten Verkehrsteilnehmer, nämlich die Fußgänger", stärker geschützt werden müssten, sagte Roman Suthold, Verkehrsexperte des ADAC, in einer Stellungnahme am Montag. Städte und Kommunen sollten dafür "ein zusammenhängendes Fußwegenetz entwickeln und die Anzahl der Querungsanlagen prüfen". Zu große Umwege verführten Fußgänger dazu, die Straße an unsicheren Stellen zu queren.
Anstieg bei E-Scooter-Unfällen
Der zweite eklatante Anstieg bei den Unfallzahlen betrifft die E-Scooter: 2.115 Menschen verunglückten 2023 mit Elektrorollern, 30 Prozent mehr als im Jahr zuvor - und über 600 Prozent mehr als noch im Jahr 2020. Vier Menschen starben sogar bei E-Scooter-Unfällen.
Auch hier waren deutlich mehr als die Hälfte der Unfälle durch die Fahrer selbst verursacht. Fast ein Viertel der Verunglückten waren alkoholisiert oder standen unter anderen Rauschmitteln. "Da ist viel Leichtsinn im Spiel", so Reul.
Raser rasen weiter
Nach wie vor weitgehend ungebremst ist der Trend außerdem bei gefährlichen Autorennen. 2.144 illegale Rennen registrierte die Polizei in NRW-Städten - statistisch also mehr als fünf pro Tag. Rund ein Viertel davon endeten in Verkehrsunfällen, drei Menschen wurden 2023 von illegalen Rasern getötet. Die Raser waren im Durchschnitt 26 Jahre alt.
"Da sind wir auf keinem guten Weg", räumte Maria del Carmen Fernandez Mendez, Leiterin des Verkehrsreferats im Innenministerium, ein. Auch harte Strafen, verstärkte Kontrollen auf den Straßen und Präventionsveranstaltungen in Schulen hätten bislang offenbar keinerlei positiven Einfluss. Ein Problem dabei sei, dass sich Autorennen - wie etwa auf den Ringen um die Dortmunder oder die Kölner Innenstadt, oft binnen Sekunden ergäben: Zwei Fahrer an der Ampel, ein Blickkontakt, dann der Tritt aufs Gaspedal - und schon startet das spontane Rennen.
Auch vorherige Verabredungen in den sozialen Medien seien eher selten, sagte Fernandez Mendez. Allerdings posteten die Raser häufig bei den Rennen selbst aufgenommene Videos - was dann auch mal dazu führe, dass die Polizei die Täter überführen könne.
Positiv: Weniger verunglückte Radfahrer
Aber auch einige Lichtblicke enthält die Verkehrsunfallbilanz 2023: Immerhin ging die Zahl der schwerverletzen Unfallopfer um 12 Prozent auf 11.300 zurück. Die Zahl der getöteten Radfahrer sank um ein Drittel, mit 36 Todesopfern starben 16 Menschen weniger als im Jahr 2022.
Auch bei den Pedelecfahrern ging die Zahl der Unfälle leicht zurück - auch die der tödlichen. "Die Polizei bietet Fahrtrainig fürs Pedelc an", ermunterte Reul vor allem ältere Menschen, das senke "das Risiko, den wohlverdienten Lebensabend unnötig zu verkürzen".
ADFC fordert bessere Radwege
Der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) sieht aber auch noch deutlich Luft nach oben bei der Radverkehrsinfrastruktur in NRW. "Oft enden Radwege plötzlich auf der Straße oder sind nur mit Farbe auf die Fahrbahn gemalt", heißt es in einer Stellungnahme von Montag. Das führe zu Konflikten zwischen Rad- und Autofahrenden.
Zwar zeigten Umfragen, dass immer mehr Menschen im Alltag mit dem Rad unterwegs sein wollten. Viele fühlten sich aber in den NRW-Städten nicht sicher. Bemängelt würden fehlende, zu schmale oder kaputte Radwege "und dass sie auf der Straße von Autos oft zu schnell und zu dicht überholt werden". Das seien oft Gründe für schwere Unfälle.
Grüne fordern mehr Prävention schon in Grundschulen
Die innenpolitische Sprecherin der Grünen Landtagsfraktion Julia Höller forderte am Montag angesichts der neuen Unfallstatistik mehr Prävention: Verkehrserziehung schon in den Grundschulen, "wenn möglich unter Einbeziehung von Bezirksbeamtinnen und -beamten". Dazu brauche es "einen personell gut ausgestatteten Bezirksdienst, der unter anderem für diese wichtige Aufgabe zuständig ist". Dass die Zahl verbotener Autorennen weiter steigt, sei "alarmierend". Es dürfe nicht sein, dass einzelne Personen durch ihr Verhalten die Gesundheit und das Leben anderer gefährden.
Und der ADAC gibt noch den Rat, mehr Rücksicht aufeinander zu nehmen. "Nicht immer auf sein Recht bestehen, auch mal Fehler verzeihen und sich in Rolle des anderen hineinversetzen.“