Die Schüsse auf ein Nebengebäude an der Alten Synagoge in Essen waren am Mittwoch Thema im Düsseldorfer Landtag. Die Fraktionen verurteilten den Anschlag. Auf der Zuschauertribüne verfolgte neben dem Vorstand der Jüdischen Kultusgemeinde Essen, Schalwa Chemsuraschwili, auch die NRW-Antisemitismusbeauftragte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger die Debatte. Was sie zu dem neuerlichen Vorfall sagt.
WDR: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, was waren Ihre ersten Gedanken, als Sie von den Schüssen auf das Rabbinerhaus an der Alten Synagoge in Essen am vergangenen Freitag hörten?
Leutheusser-Schnarrenberger: Natürlich kamen bei dieser Nachricht sofort Erinnerungen an das Attentat 2019 in Halle oder andere antisemitische Gewalttaten hoch. Ich war erschüttert und bin gleichzeitig froh, dass niemand verletzt wurde. Klar ist aber, dass bei Schüssen auf eine jüdische Einrichtung ein antisemitischer Hintergrund besteht. Angriffe auf jüdische Einrichtungen sind niemals unpolitisch, sie müssen als antisemitisch eingeordnet werden. Es ist gut, dass die Behörden entsprechend ermitteln und am Mittwoch im Landtag eine Debatte mit klarem Signal stattfand.
WDR: Was sagen Sie als NRW-Antisemitismusbeauftragte Jüdinnen und Juden, die Angst um ihre Sicherheit haben?
Leutheusser-Schnarrenberger: In Nordrhein-Westfalen wird viel für die Sicherheit jüdischer Einrichtungen getan. Allerdings wird damit nie ganz verhindert werden können, dass es zu Angriffen und Gewalttaten im öffentlichen Raum und Einrichtungen kommt. Antisemitismus - auch unterhalb strafrechtlich relevanter Gewaltdeliktsgrenzen - ist für Jüdinnen und Juden in Nordrhein-Westfalen leider eine alltägliche Erfahrung. Als Gesellschaft dürfen wir hier nicht weg- oder zuschauen, sondern müssen aktiv bereits bei verletzenden Worten widersprechen, bevor daraus Gewalttaten werden können.
Gleichzeitig müssen Jüdinnen und Juden das Gefühl haben, dass - wenn etwas passiert - die Ermittlungsbehörden umfassend ermitteln und antisemitische Hintergründe von Taten ernst nehmen. Dazu wurden im letzten und in diesem Jahr wichtige strukturelle Maßnahmen in Nordrhein-Westfalen getroffen. Mit der Meldestelle RIAS NRW gibt es eine konkrete und vertrauensvoll arbeitende Anlaufstelle schon für Fälle unterhalb einer Strafbarkeitsgrenze.
Zudem wurden im April bei allen Staatsanwaltschaften und Generalstaatsanwaltschaften 22 Personen benannt, die als Antisemitismusbeauftragte in der Justiz die Sensibilität für antisemitische Hintergründe stärken und entsprechende Kompetenzen verbessern.
WDR: Reicht das?
Leutheusser-Schnarrenberger: Zum Wesen des Antisemitismus gehört es auch, dass er seit über 2.000 Jahren sehr wandelbar auftritt. Alte antisemitische Stereotypen fressen sich über Verschwörungsmythen sowie über judenfeindliche und israelfeindliche Weltbilder bis in die Mitte der Gesellschaft. Aus Worten werden Taten, daher müssen wir das wandelbare Phänomen des Antisemitismus besser beleuchten, um Präventionsmaßnahmen anzupassen. Die kürzlich beauftragte Dunkelfeldstudie für Nordrhein-Westfalen soll hierfür bessere Erkenntnisse bringen.
Die Fragen stellte Sabine Meuter.