Die Hinrichtung des Deutsch-Iraners Jamshid Sharmahd am Montag hat auch in Köln Trauer ausgelöst. In der Nähe der Altstadt stellten Menschen am Montagabend spontan Kerzen für den Getöteten auf.
Der Journalist und Aktivist war im Sommer 2020 vom iranischen Geheimdienst in Dubai entführt und in den Iran gebracht worden. Seitdem saß er in Teheran im Gefängnis. Ein Revolutionsgericht hatte den 69-Jährigen im Februar 2023 wegen "Korruption auf Erden" zum Tod verurteilt. Nach Informationen der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) wurde Sharmahd gehängt.
Der CDU-Parteivorsitzende Friedrich Merz hatte im Januar 2023 eine "Politische Patenschaft" für Jamshid Sharmahd übernommen. Zu dem Zeitpunkt saß Sharmahd bereits fast 900 Tage in Einzelhaft in einem iranischen Gefängnis und erwartete seinen letzten Prozesstag.
Was ist eine "politische Patenschaft"?
Die Idee dahinter ist, dass sich deutsche Politiker öffentlich für Menschen engagieren, die in Unrechtsstaaten mutmaßlich unschuldig im Gefängnis sitzen. Organisiert und vergeben werden solche Patenschaften durch die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) mit Sitz in Frankfurt.
Besonders viele Patenschaften bestehen zu Inhaftierten in Iran, China und Russland. Aber auch Fälle in der Türkei, in Belarus, Kuba oder Nicaragua sind dabei.
Wie funktioniert das konkret?
Interessierten Abgeordneten schlage die IGFM einen Menschen vor, der zurzeit als politischer Gefangener mutmaßlich zu Unrecht in einem Gefängnis sitzt, erklärt IGFM-Sprecher Valerio Krüger. Meist handelt es sich um Aktivisten oder Aktivistinnen beziehungsweise Journalistinnen und Journalisten, die sich gewaltlos für Menschenrechte, Frauenrechte oder Umweltschutz eingesetzt haben oder Angehörige verfolgter Minderheiten sind. Die IGFM stellt dann Informationen über den Gefangenen zusammen und liefert Updates, sobald es Veränderungen gibt.
Welche Aufgabe ist damit verbunden?
Abgeordnete, die eine politische Patenschaft übernommen haben, sollen "ihren" Fall so oft wie möglich publik machen. Das können Informationsveranstaltungen über den Gefangenen im eigenen Wahlkreis sein oder Unterschriften-Listen für den Gefangenen. "Je mehr Öffentlichkeit für den Gefangenen, umso besser", beschreibt die IGFM die Idee. Vor allem aber soll der oder die Abgeordnete sich an den Botschafter und die Regierung des entsprechenden Landes wenden und immer wieder Fragen zu dem politischen Gefangenen stellen.
Was kann eine politische Patenschaft bringen?
Ziel ist grundsätzlich die Freilassung des jeweiligen Menschen. Die Aufmerksamkeit deutscher Politiker für einen inhaftierten Aktivisten soll die jeweilige Regierung in Zugzwang bringen. "Selbst Folterstaaten wie die Islamische Republik Iran oder die Volksrepublik China wollen nach außen einen Anschein von Rechtmäßigkeit aufrechterhalten", schreibt die IGFM. Für beide Länder sei Deutschland "politisch und wirtschaftlich ein außerordentlich wichtiges Land".
Die Erfahrung zeige, dass Länder wie der Iran "Wünsche von deutschen Abgeordneten und Vorgänge, die den Iran betreffen, sehr aufmerksam wahrnimmt". Der Einsatz von Politikern habe bereits für viele der betreuten Gefangenen zu erheblichen Verbesserungen geführt, sagt Krüger: Zur Umwandlung von Todesstrafen in Haftstrafen, zur deutlichen Reduzierung der willkürlichen Gefängnisstrafen, zu einem Ende von Misshandlungen und vielfach auch zur Freilassung.
Die hessische Landtagsabgeordnete Martina Feldmayer (Grüne) beispielsweise sei besonders aktiv. Unter ihrer Patenschaft kam die iranische Umweltwissenschaftlerin Niloufar Bayani frei, ebenso die iranische Schriftstellerin Golrokh Iraee.
Wer hat eine politische Patenschaft übernommen?
Derzeit gebe es etwa 80 solcher Patenschaften von Politikern aus CDU, CSU, SPD, Bündnis90/Die Grünen und der FDP, so IGFM-Sprechr Krüger - vom Landtagsabgeordneten bis zum Präsidenten des Europäischen Parlaments. Darunter sind viele unbekanntere Landtagsabgeordnete, aber auch etwa der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil, die grüne Bundestagsabgeordnete Katrin Göring-Eckardt, der FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai oder NRW-Umweltminister Oliver Krischer von den Grünen.
Rund 35 SPD-Abgeordnete im NRW-Landtag haben nach Angaben der Fraktion jeweils eine "politische Patenschaft" für einen Gefangenen im Iran übernommen. Im Mai dieses Jahres tat das auch der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf für den Iraner Mahmoud Mehrabi, der während der "Frau, Leben, Freiheit"-Proteste im Iran festgenommen und zum Tode verurteilt wurde.
Wie sah das Engagement von Friedrich Merz aus?
Merz hatte die Patenschaft für Sharmahd 2023 als Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion übernommen. Auf WDR-Anfrage sagte sein Sprecher am Dienstag, Merz habe in einem persönlichen Gespräch mit dem iranischen Botschafter in Deutschland die Freilassung von Jamshid Sharmahd gefordert - und das in mehreren Briefen an den Botschafter wiederholt.
Außerdem zählte er weitere Aktionen des CDU-Fraktionschefs auf: öffentlichkeitswirksame Petitionen, Videostatements, Treffen mit den Angehörigen, Interviews und Stellungsnahmen. Merz habe die Tochter Gazelle Sharmahd in Kalifornien besucht und telefonisch mit ihr Kontakt gehalten.
Der Kanzlerkandidat der CDU habe versucht, seine politische Prominenz für den inhaftierten Sharmahd zu nutzen, bestätigte IGFM-Sprecher Valerio Krüger dem WDR: Merz habe sich sogar um ein Visum für den Iran bemüht, "er wollte Sharmahd im Gefängnis besuchen". Doch das Visum sei nicht bewilligt worden. "Merz ist eben nicht in Regierungsverantwortung", sagt Krüger - das könne den Druck solcher Patenschaften etwas mindern.
Wie reagiert die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte auf die Hinrichtung?
Die IGFM fordert eine Erklärung der Bundesregierung, "warum es ihr im Vergleich zu anderen europäischen Regierungen nicht gelungen ist, einen eigenen Staatsbürger zu retten", heißt es in einer Stellungnahme. Sharmahds Hinrichtung sei "ein Mord mit Ansage". Viel zu lange hätten Deutschland und die USA "tatenlos zugeschaut oder nur halbherzige Versuche unternommen, ihren unschuldigen Bürger aus dem Griff des Terrorregimes im Iran zu befreien". Außenministerin Annalena Baerbock müsse sich "nun erklären oder zurücktreten", forderte Matthias Böhning, Generalsekretär der IGFM.
Zwar habe das Auswärtige Amt "viel versucht", sagt Krüger, doch kraftvolle Maßnahmen wie die Ausweisung von Diplomaten oder Sanktionen gegen iranische Regimevertreter seien nicht erfolgt. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) habe sich "nicht öffentlich zu einer Unterstützung bekannt" oder sich etwa mit der Familie Sharmahds getroffen.
Quellen:
- Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM)
- Sprecher IGFM
- Sprecher des CDU-Fraktionschefs Friedrich Merz
Über dieses Thema berichtet der WDR am 29.10.2024 im Hörfunk auf WDR 5 und im Fernsehen.