Radikalisierung bei SocialMedia: Jugendliche unter Terrorverdacht
Aktuelle Stunde . 13.04.2024. 36:25 Min.. UT. Verfügbar bis 13.04.2026. WDR. Von Lucie Jäckels.
Wie Islamisten TikTok nutzen, um Jugendliche zu radikalisieren
Stand: 13.04.2024, 19:36 Uhr
Über TikTok und Co. kommen Jugendliche mit salafistischen und islamistischen Predigern in Kontakt. Diese propagieren ein problematisches Islamverständnis. Das birgt die Gefahr einer Radikalisierung.
Von Katharina Köll
"Allah wird eure Brust eng machen!" So warnt der TikTok-Prediger Abdelhamid in einem seiner Videos mit über 60.000 Likes Muslime davor, Rap-Musik zu hören. Sie müssten den "westlichen" Verführungen des Alltags widerstehen - ein gängiges Motiv in extremistisch-islamistischen Videos.
Ausschnitt eines TikTok-Videos von "Abdelhamid"
Wenn man durch TikTok scrollt, kommt man um sie kaum herum: Islamistische und salafistische "Prediger". Dazu gehören auch gemäßigte Influencer oder "Creator", die islamistische Ideologien in ihre Videos mit einfließen lassen. Die Szene ist männerdominiert und vorwiegend deutschsprachig.
Aufgenommen in Wohnzimmern, in Vereinen oder Moscheen, zum Teil aufwändig produziert, werden die Prediger wie Stars in Szene gesetzt. Sie richten sich vorwiegend an muslimische Jugendliche, doch werden sie inzwischen einer breiten Masse auf TikTok präsentiert. Auch auf anderen Plattformen wie YouTube oder Instagram findet man ähnliche Inhalte - TikTok hat sich aber inzwischen zur Hauptplattform für solche extremistischen Inhalte entwickelt.
Problematische Antworten auf Alltagsfragen
Viele Jugendliche nutzen TikTok inzwischen als Informationsquelle. Sind sie einmal in der "Salafisten-Bubble" gelandet, werden sie mit zahlreichen solcher problematischen Videos überschwemmt. Sie bespielen ein breites Spektrum, von Alltagsthemen bis hin zu Glaubensfragen. Unterlegt mit religiösen Klängen und besonderer Gestaltung, ködern sie Jugendliche mit simplen Schwarz-Weiß Botschaften.
Ausschnitt eines Videos von Abul Baraa, Prediger aus der Salafisten-Szene
Ein immer wiederkehrender Aspekt ist die Unterteilung in "Halal" oder "Haram", also Regeln dafür, was für Muslime erlaubt ist und was nicht. Ihre extremistische Auslegung des Islam instrumentalisieren sie als moralischen Kompass für Muslime in Deutschland. In den Kommentaren finden sich auch immer wieder Nicht-Muslime, die diese Botschaften erreichen.
Jungen Menschen werde so "eine Islamauslegung nahegelegt, die zu einer aktiven Abgrenzung von der Gesellschaft sowie zur Schaffung einer Art ‘Gegenkultur’ auffordert", heißt es in einem aktuellen Bericht der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB).
Videoausschnitt des Kanals "Botschaft des Islam"
Viele der Inhalte spielen mit Alltagsängsten und Identitätskrisen junger Menschen. Auch LGBTQI-Themen und Geschlechterrollen werden häufig thematisiert. Auf dem Account von "Botschaft des Islam" wird zum Beispiel eine "Freizügigkeit" der Frauen als "Versuchung" an den Pranger gestellt.
Stimmungmache mit dem Nahostkonflikt
Die Inszenierung der muslimischen Glaubensgemeinschaft als homogene Gruppe, die sich gegen den "imperialistischen Westen" verteidigen muss, ist seit dem Angriff von Hamas-Terroristen auf Israel am 7. Oktober 2023 auf TikTok allgegenwärtig.
Auch mit dem Leid der Bevölkerung in Gaza wird aktiv Stimmung gemacht. "Das Existenzrecht Israels als Staat wird ausdrücklich als ein zionistisches Vorhaben abgelehnt", heißt es im Monitoring der Peripherie des religiös begründeten Extremismus der BpB.
Auch anti-muslimischen Rassismus nutzen die Creator für ihre Zwecke. Mit dem Vorwurf, als gläubiger Muslim sei man nicht akzeptiert in der Mehrheitsgesellschaft, schüren sie weiter eine Art von "Gegenkultur".
Beratungsbedarf deutlich gestiegen
Vor dem Hintergrund der Festnahmen der drei Teenager am Freitag im Raum NRW geraten solche extremistisch-islamistischen Inhalte wieder ins Visier der Ermittler. Die drei Jugendlichen im Alter von 15 und 16 Jahren sollen sich in einer Chatgruppe über mögliche Anschläge ausgetauscht haben, heißt es aus Sicherheitskreisen.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge stellt einen Anstieg der Beratungsanfragen mit Islamismusbezug fest. Mehr als 300 Anfragen seien 2023 bei der Beratungsstelle Radikalisierung eingegangen, doppelt so viele wie im Vorjahr. Gleichzeitig seien die Beratungsgespräche komplexer geworden, heißt es in der Pressemitteilung. Seit 2012 gibt es dort eine telefonische Erstanlaufstelle für Personen, die Sorge haben, dass eine potenzielle islamistische Radikalisierung in ihrem Umfeld stattfindet.
Empirische Belege, die eine eindeutige Verbindung zwischen dem Konsum religiös-extremistischer Inhalte auf Social Media und einer Radikalisierung von Jugendlichen zeigen, gibt es bislang noch nicht. Solche Inhalte seien aber "ein Bereich, der im Radikalisierungsprozess eine Rolle spielt", sagt Florian Endres, Leiter der Beratungsstelle Radikalisierung im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Allerdings sei der persönliche Kontakt mit der Szene ein wesentlicher Faktor, betont Endres. Angebote auf Social Media oder Chatgruppen wirkten eher wie ein "Katalysator".
"Es kann ein Freund, Mitschüler oder Arbeitskollege sein, der sagt, ‘Komm doch mal mit, schau dir das mal an.’ Und dann geht es über einen persönlichen Kontakt, dass man sich mit der islamistischen Ideologie befasst", erläutert Endres.
Radikalisierung frühzeitig erkennen
Eine Beschäftigung mit dem Islam und auch eine Konvertierung sei noch lange kein Hinweis auf eine Radikalisierung. Wichtig sei, dass Eltern, Freunde oder Lehrkräfte Interesse zeigten oder weiterhin Kontakt hielten, so Endres.
"Für manche Personen ist es ein Weg aus dem Alltag, sie suchen vielleicht etwas Neues und wenn dann jemand da ist, der sich dafür interessiert, ist das Vertrauensverhältnis wieder gestärkt." So könnte man eine Radikalisierung auch frühzeitig erkennen und gegebenenfalls abwenden, führt Endres aus.
Auch Präventionsprojekte und Fortbildungen in Schulen können dort frühzeitig ansetzen. Piotr Suder klärt im Rahmen des Projekts "Extremismusprävention-Online" Lehrkräfte und Schüler und Schülerinnen über Online-Extremismus auf. Wichtig sei es, ins Gespräch zukommen, betont er. Vor allem der Nahost-Konflikt sei gerade für viele muslimische oder arabische Jugendliche ein emotionales Thema.
Hilfreich sei es, nicht nur auf islamistische Inhalte zu gucken, meint der Sozialwissenschaftler. "Das 'Sündenbock-Denken' findet sich sowohl in der rechtsextremen Szene als auch in der islamistischen." Durch das Erklären von Inhalten rechter Influencer sowie islamistischer Prediger könnte man eine Stigmatisierung bei Schülerinnen und Schülern vermeiden.