Nachdem das rassistische Gegröle mehrerer Party-Gäste einer Bar auf Sylt für breite Empörung gesorgt hat, gibt es weitere Konsequenzen. Mittlerweile haben die Betreiber der Bar rechtliche Schritte gegen die namentlich bekannten Gäste, die auf dem Video singend zu sehen sind, eingeleitet. Nach Medienangaben sollen bereits zwei beteiligte Partygäste ihre Jobs verloren haben, nachdem das Video öffentlich wurde.
Einer der Männer, der in dem Video eine Geste andeutet, die stark an einen Hitlergruß erinnert, hat sich nun über Social Media geäußert: "Alle, die wir damit vielleicht verletzt haben, bitte ich um Entschuldigung." Er habe einen "ganz schlimmen Fehler" gemacht und schäme sich. Er gab demnach an, sich der Polizei gestellt zu haben und die rechtlichen Konsequenzen tragen zu wollen. Zuerst hatte die "Bild"-Zeitung berichtet.
Auf dem nur wenige Sekunden langen Video, das am Donnerstag viral gegangen war und zu Pfingsten entstanden sein soll, sind junge, durchweg gut situiert aussehende Menschen zu sehen, die in einem Club zum Langzeit-Hit "L'amour toujours" des italienischen DJs Gigi D'Agostino laut ihren eigenen Text singen. Hinzugefügt haben sie dem Partyknaller die Zeilen "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus".
Club-Betreiber reagieren
Die Clubbetreiber konnten besagte Gäste identifizieren und melden. An dem Abend selbst hätten sie den Vorfall nicht bemerkt, schreiben sie auf Instagram. "Hätte unser Personal zu irgendeinem Zeitpunkt ein solches Verhalten mitbekommen, hätten wir sofort reagiert. Wir hätten umgehend die Polizei verständigt und Strafanzeige gestellt. Das haben wir mittlerweile tun können. Wir konnten die besagten Personen identifizieren und melden. Dieses zutiefst asoziale Verhalten dulden wir nicht."
Am Sonntagnachmittag versammelten sich laut Polizei etwa 70 bis 80 Menschen in Kampen auf Sylt zu einer Mahnwache. Zu dem Protest hatte ein Zusammenschluss zivilgesellschaftlicher Gruppe der Insel aufgerufen. Auf einem Plakat war etwa zu lesen: "Sylt. Oben links. Nicht rechts!"
Ermittlungen wegen Volksverhetzung
Die Staatsanwaltschaft Flensburg hat Ermittlungen wegen Volksverhetzung und des Verwendens verfassungswidriger Kennzeichen aufgenommen. Mehrere Politiker äußerten sich am Freitag schockiert. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) vermutete eine "wohlstandsverwahrloste Parallelgesellschaft, die die Werte unseres Grundgesetzes mit Füßen tritt". Die Berliner SPD-Politikerin und Buchautorin Sawsan Chebli sagte, das Video zeige "auf brutale Weise das freundliche, bürgerliche, teilweise auch weibliche Gesicht des Rechtsextremismus".
Rassistische Parolen zum Partyhit kein Einzelfall
Der Staatsschutz ermittelt auch noch in einem weiteren Fall, der an das rassistische Partyvideo auf Sylt erinnert. Es geht um ein Schützenfest in Löningen in Niedersachsen, wo zu Pfingsten offenbar ebenfalls rassistische Parolen zu demselben Lied wie in dem Sylter Lokal gesungen wurden. Zeugen, die das Geschehene gefilmt hatten, zeigten den Vorfall bei der Polizei an.
Fußballfans kennen das Lied aus dem Stadion
Dass sich der mehr als 20 Jahre alte Partyhit offenbar eignet, um neue Inhalte zu transportieren, wissen auch viele Fußballfans. In Stadien wird regelmäßig dazu gegrölt - oft mit passenden Zeilen zum jeweiligen Club. Seine Umnutzung zur ausländerfeindlichen Hass-Hymne ist aber ein relativ neuer Trend, vor allem in den Sozialen Medien.
Auch in NRW gab es solche Vorfälle. Bei einem Karnevalsumzug in Saerbeck grölten Teilnehmer eines Mottowagens die umgeschriebenen Zeilen. Zu einem Auftritt der "Roten Funken", der Tanzgruppe des TuS Belmicke, kamen dieselben Töne aus dem Publikum. Der "Kölner Stadtanzeiger" berichtete im Dezember von einem Vorfall mit dem Lied in der Diskothek Hexagon in Reichshof im Bergischen.
Der Fall auf Sylt allerdings ist in einem Detail besonders: Diejenigen, die dort ausländerfeindliche Parolen grölen, gehören mutmaßlich der gesellschaftlichen Oberschicht an. Das Lokal gilt als beliebter Treffpunkt einer Klientel, die Ferienhäuser auf Sylt besitzt und in der Lage ist, hohe Preise für Getränke und Essen zu zahlen. Der Eintrittspreis für die Party an Pfingsten lag laut Informationen der "Bild" bei 150 Euro.
Wer denkt rechtsextrem? Immer noch viele Klischees
Man müsse "stärker über unsere Klischees über Rassismus nachdenken", sagt Karim Fereidooni, Professor für Didaktik an der Ruhr-Universität Bochum, dem WDR. Viele glaubten, Rassismus gebe es "nur in Ostdeutschland und nur bei älteren Menschen und solchen, die am gesellschaftlichen Rand stehen".
Dieses Video aber führe vor Augen, "dass das junge Menschen sind, die wahrscheinlich viel Geld zur Verfügung haben, und das Ganze ist in Westdeutschland passiert". Schockiert habe ihn besonders, dass offenbar niemand dagegen vorgegangen ist, "dass auch der Betreiber des Lokals in dem Moment nicht reagiert hat".
Rechtsextremistische Gedanken in allen Schichten
Nach Erkenntnissen der Sozialforschung sei eine Anfälligkeit für rechtsextremistisches Gedankengut völlig unabhängig von der sozialen Herkunftsschicht oder dem Bildungsstand, sagt Martin Booms, Professor für Philosophie an der Alanus Hochschule in Bonn. Vielmehr gehe es um eine Frage des Charakters, der inneren Haltung. "Auch in der AfD gibt es einen relevanten Anteil von Akademikern." Eine Beobachtung, die sich mit den Eliten der im aufkommenden Nationalsozialismus decke - "ein beunruhigendes Phänomen", konstatiert Booms.
Was Booms aber für "noch beunruhigender" hält: Tatsächlich müsse bei einer solchen Szene gar nicht unbedingt eine "vertiefte politische Ideologie" dahinter stehen. Rassistische und rechtsextreme Slogans würden offenbar zunehmend salonfähig, es brauche dafür keine radikalen Auftritte mehr, sondern "nur eine Party, wo man das gerade cool findet".
Rechtspopulisten sei es offenbar gelungen, Hürden im Kopf einzureißen, sagt Booms. Er sieht eine "Popularisierung eines extremen und menschenverachtenden Gedankenguts".
Es werde dann scheinbar normal, dass Rassismus nicht mehr skandalisiert wird. "Wenn sich niemand beschwert, gehörten solche Parolen irgendwann zum Feiern dazu", warnt Fereidooni.
Das betont auch Philosophieprofessor Booms: Ein wichtiger Faktor dabei seien die schweigend Zuschauenden, die solche Situationen zwar ablehnen, aber nicht darauf reagieren. Auch in der Situation der Sylter Party dürfe man "nicht nur auf die Grölenden schauen". Möglich würden deren Verhalten "nur, wenn es von anderen geduldet wird".
"Jeder trägt Verantwortung"
Was wäre im Sylter Fall die richtige Reaktion derer gewesen, die die Gesänge nicht guthießen? "Die Betreffenden direkt ansprechen", sagt Booms, "...sagen: Ich will hier in Ruhe meinen Drink trinken und dulde nicht, dass hier so etwas passiert". Zivilcourage und "der Widerstand im Mikroraum" seien entscheidend.
Anmerkung der Redaktion vom 13.06.2024:
Der WDR hat sich entschieden das Video unverpixelt zu zeigen, da es ein zeitgeschichtliches Ereignis darstellt, an dem die Öffentlichkeit ein erhebliches Interesse hatte. Der Begriff der Zeitgeschichte umfasst damit nicht nur Vorgänge von historischer oder politischer Bedeutung, sondern alle Gegenstände, die ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit betreffen. Dazu zählen nicht nur sämtliche Ereignisse, die aus irgendeinem Grund in das Blickfeld der Öffentlichkeit getreten sind, sondern alle Angelegenheiten, die für die Meinungsbildung der Allgemeinheit von Bedeutung sind. Zudem handelt es sich bei den abgebildeten Personen um erwachsene Personen, die gewusst haben, was sie in einem in die Öffentlichkeit hineinragenden Ort taten, und denen auch bewusst war, dass sie gefilmt werden. Durch ihr Verhalten in einer zumindest halb-öffentlichen Situation haben sie sich damit selbst so exponiert, dass sie damit rechnen mussten, dass ihr Verhalten öffentlich wird.
Ziel der Berichterstattung war und ist es, die Vorkommnisse unverblümt darzustellen, um auf dieser Grundlage einen Beitrag zu der durch das Video ausgelösten gesellschaftlichen Debatte zu liefern. Aufgrund der abnehmenden Aktualität haben wir entschieden, die Personen auf dem Video nachträglich unkenntlich zu machen.
Unsere Quellen:
- Gespräch mit Professor Martin Booms
- Gespräch mit Professor Karim Fereidooni
- Nachrichtenagentur dpa
- Tageszeitung "taz"